Samstag, 24. Januar 2009
 
Kraut und Rüben zu Volkswirtschaft und Volksgesundheit PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Rosi Krenn   
Montag, 2. April 2007

Eine vom Betriebsrat der Lebenshilfe Salzburg organisierte Fahrt führte am 31. März ins Schloss Hartheim, die größte Euthanasieanstalt im „Dritten Reich“. Dort sind dem „rassenhygienischen“ Handeln während der Nazizeit etwa 30.000 Personen zum Opfer gefallen. Die Ausstellung macht ein Plakat sichtbar, auf dem gezeigt wird, dass sich „minderwertiges Leben“ im Vergleich zu ‚hochwertigen’ Menschen überproportional vermehren könnte, die Botschaft war unmissverständlich: würde es kein Regulativ geben, würden nur noch wenige ‚hochwertige’ Menschen die Gesellschaft bilden. Sehr unmittelbar fällt auf, dass Rechenbeispiele wie diese heute Gültigkeit besitzen.

Vielerorts wird vorgerechnet, wie die demographische Entwicklung verlaufen könnte, wenn die Geburtenrate von Menschen mit migrantischem Hintergrund einen höheren Prozentsatz erreicht. Ein Bedrohungsbild wird geschaffen. Gleichzeitig wird die „Überalterung“ der Gesellschaft in einer Art und Weise kommuniziert, die Menschen hohen Alters als Belastungskriterium und Kostenfaktor definiert. „Alte“ Menschen kosten, ohne nützlich im Sinne der kapitalistischen Verwertbarkeit zu sein. Ein weiteres Bedrohungsbild wird inszeniert. „Menschen mit Behinderung“ werden zunehmend im Kontext einer Nützlichkeitsdebatte betrachtet. Eugenische Maßnahmen, wie die pränatale Diagnostik bedingen nicht die Solidarität der Gesellschaft, sondern eine Haltung, die es als Selbstverständlichkeit erscheinen läßt, ein Kind mit einer Behinderung als persönliche Überlastung zu definieren, bedingen eine Haltung, die eine Legitimität erzeugt, diesem Kind erst gar keine Lebenschance zu bieten. Um nicht missverstanden zu werden: es geht nicht darum, dass jede Frau für sich entscheiden muss, ob sie sich ihr Leben mit oder ohne Kinder vorstellen möchte, es geht darum, dass die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass „Menschen mit Behinderung“ als Belastung definiert sind. Die Gesetzgebung sichert eine Orientierung ab, die darauf abzielt, dass „Menschen mit Behinderung“ nicht unbedingt geboren werden müssen. Dem individuellen Entscheidungsrecht der betroffenen Frau stellt sich eine Gesellschaft entgegen, die Verantwortung personalisiert. Sichtbar geworden ist dies etwa in der aktuellen Budgetdebatte zur Verteilung der Mittel. Die Ausgaben im Bereich des Sozialen seien jetzt schon viel zu hoch und würden eine gesunde Volkswirtschaft gefährden.

Volkswirtschaft und Volksgesundheit: Krankheiten gehören geheilt, ausgemerzt (wie die Pest oder Cholera), im Vorfeld verhindert. Wie gesund sind Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, für’s Volk?

Beinahe nahtlos schließt sich daran die Debatte um die neue fremdenpolizeiliche Eingreiftruppe in Salzburg an, die ihre Dienstwaffe perfekt beherrscht. Seit Montag, dem 12. März 2007 erreicht die Hetze gegen Menschen mit migrantischem Hintergrund eine neue Ebene staatlicher Gewalt. Radio ‚Antenne Salzburg’ dröhnte Montag morgen, dass illegalisiert lebende Menschen nichts mehr zu lachen hätten. Der Lokalteil der ‚Salzburger Nachrichten’ titelte mit: „Neuer Polizeitrupp gegen kriminelle Ausländer“, um auf den Seiten 4 und 5 noch deutlicher zu werden: „Ein Mann gegen kriminelle Ausländer“.

Manfred Ottenbacher, ehemaliges Mitglied des Mobilen Einsatzkommandos wird Kommandant einer Spezialeinheit, der neuen fremdenpolizeilichen Eingreiftruppe, der fünf Beamte mit der „notwendigen Einschreitequalität“ zugeordnet sind. Die ‚SN’ beschreibt ihn heroisierend: „ ... durchtrainiert bis in die letzte Faser, militärischer Haarschnitt, harter Blick ...“. Laut Kommandant Ottenbacher sei es notwendig, dass seine Beamten „harte Knochen“ seien. Weder die Kriminalisierungsmuster, die sich auf eine angeblich „schockierende Gewaltbereitschaft“ oder ein „Ansteigen der kriminellen Energie“ beziehen, noch ihre unreflektierte Übernahme bzw. gezielte Verfestigung durch die bürgerlichen Medien sind neu. Neu sind die Qualität der Demaskierung, sowie die offene Ankündigung und Aggressivität der positiven Bestätigung künftiger Verfolgung aufgrund vermuteter Herkunftskriterien.

Die Polizisten werden in Zivilfahrzeugen mit Laptop unterwegs sein, in den Computern sind europäische Fahndungslisten gespeichert. Pro Einsatztag sollen 300 bis 400 Menschen durchsucht und überprüft werden, schwerpunktmäßig in Lokalen, am Bahnhof, in Wohnungen und auf der Straße, die Verfolgung illegalisiert lebender Menschen wird für die Spezialeinheit eine Hauptaufgabe werden.

Zu einem ungewöhnlich hohen Ausmaß haben sich die bürgerlichen Medien in ihrer die offizielle Politik bestärkenden Fremdenhetze bis zur Kenntlichkeit entblößt. Künftige Polizeigewalt wird auf der Titelseite des Lokalteils der ‚SN’ am 12.3.07 vermittels eines indirekten Zitats des Kommandanten Ottenbacher positiv konnotiert: „Nun seien Beamten gefragt, die längere Verfolgungsjagden überstünden und im schlimmsten Fall ihre Dienstwaffe perfekt beherrschten.“ Die Erzeugung eines Klimas der Angst wurde nicht einfach hingenommen. Menschen aus den unterschiedlichsten Menschenrechtszugängen heraus haben sich zusammengefunden, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen: „Wir sehen nicht widerspruchslos zu, wenn pro Einsatztag 300 bis 400 Menschen aufgrund einer angenommenen Herkunft durch eine Spezialeinheit mit hohem Aggressionsniveau bis in ihre privaten Wohnungen hinein verfolgt werden sollen. Wir möchten nicht in einer Stadt leben müssen, in der Fremdenhetze durch eine weitere Hochrüstung des staatlichen Repressionsapparates gesellschaftlich – insbesondere medial - legitimiert wird. Entwickeln wir gemeinsam eine Strategie gegen das Herrschaftssystem Staat – Polizei – Medien, entwickeln wir Perspektiven eines Zusammenlebens, das dem Grundbedürfnis jeder Person auf Wahrung ihrer Menschenwürde gerecht wird.“Was haben Nationalsozialismus, Faschismus, Menschen mit migrantischem Hintergrund, Menschen mit „Behinderung“ und ältere Menschen miteinander zu tun? Werden da nicht Kraut und Rüben durcheinandergemischt? Die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie sorgt dafür, dass im kollektiven Gedächtnis Normen und Werte bestehen bleiben. Im „Dritten Reich“ waren die Jüdinnen und Juden die Gruppe, die aufgrund des tradierten Antisemitismus der Schlachtbank preisgegeben wurden. Heute werden MigrantInnen, abgesichert durch menschenverachtende Fremdenrechtspakete Not, Elend und dem Tod ausgesetzt. Sie sind jene an den Rand gedrängte Gruppe, die offen der Verfolgung preisgegeben wird. Andere Gruppen werden schleichend infolge spezifischer Regulative an den Rand gedrängt: ältere Menschen werden dafür verantwortlich gemacht, der Gesellschaft einen ‚Pflegenotstand’ zuzumuten, wieder und verstärkt wird die Frage gestellt, ob es denn wirklich nötig sei, dass „Menschen mit Behinderung“ zur Welt kommen. Vorarlberg hob in seinem Bericht „Die natürliche Bevölkerungsbewegung im Jahre 2001“ hervor: „17 Kinder wurden mit Missbildungen geboren ... Mit dem Down-Syndrom wurden im Jahr 2001 keine Kinder geboren.“ Die Mittel und Methoden verändern sich. Ihnen liegt eine Geisteshaltung zugrunde, der wir in der Menschheitsgeschichte immer wieder begegnen, eine Geisteshaltung, die Menschen in Brauchbare und Unbrauchbare teilt, als nützlich definiert, wenn sie als verwertbares Humankapital funktionieren. Es drängt sich die Frage auf, wer von dieser Geisteshaltung profitiert. Es drängt sich die Frage auf, welche gesellschaftlichen Kräfte ein Interesse daran haben, die Unmenschlichkeit zur Norm zu erklären.Thomas Mann hatte in einer seiner Erzählungen den Juden und den Nazionalsozialisten einen Dialog führen lassen: der Jude argumentierte weitreichend, warum die Radfahrer an allem schuld wären. Der Nazi fragte: „Warum die Radfahrer?“ Der Jude antwortete: „Warum die Juden?“

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