Samstag, 24. Januar 2009
 
Filmkunst statt Sängerknaben PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Tina Leisch   
Montag, 10. Dezember 2007

In der Debatte über den Neu- Und Zubau für die Wiener Sängerknaben im Augarten plädiert die Künstlerin Tina Leisch in einem offenen Brief an die Verantwortlichen für Gegenwartskunst statt Tourismusfolklore.

Sehr geehrte Frau Bildungsministerin Schmied, sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,   sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister Bartenstein,

Als Bewohnerin der 2.Bezirkes möchte ich Sie hiermit ersuchen, für die Sängerknaben eine hübsches Plätzchen am Kahlenberg oder im Schönbrunner Schloßpark zu finden und unser Grätzel damit zu verschonen.

Die Sängerknaben sind eine Touristenattraktion, tote Kultur vergangener Jahrhunderte, so tot wie die Monarchie und die Steine von Schönbrunn. Ich weiß nicht, wer sich das freiwillig anschaut, ich nehme an: ein kleinbürgerlich reaktionäres Publikum aus den Bundesländern auf Wienbesuch, neuseeländische, texanische und sächsische Touristen und vielleicht ein paar Pädophile aller Weltgegenden.  Für die Bewohnerinnen des Bezirks bedeutet eine millionenschwere Sängerknabenvitrine am Augartenspitz nur Lärmbelästigung durch Reisebusse und Verdienstmöglichkeit für Souvenirhändler.

Im Gegensatz dazu ist die Filmkunst, - sollte sich das in den letzten 110 Jahren nicht bis zu Ihnen herumgesprochen haben?- eine klassen-, schichten- und sozietätenübergreifende lebendige Kunst,  die tatsächlich für ALLE BewohnerInnen des 2. und 20.Bezirks etwas zu bieten hat.

Das Filmarchiv hat sich in den letzten Jahren mit seinen sommerlichen Openair Kinoreihen schon darum bemüht, ein internationales Programm, das auch für den nicht unbeträchtlichen Teil der MigrantInnen imViertel interessant  ist, anzubieten.

Davon gar nicht zu reden, daß ein Haus der Filmkunst, das nicht nur eine Bibliothek und ein Kino, sondern die Möglichkeit der filmischen Recherche am Bildschirm bzw per Sofortscreening vorsieht, im 21.Jahrhundert zur Grundausstattung  einer halbwegs zivilisierten Großstadt gehört.

Kurz gesagt: das Projekt des Filmarchivs ist eines, dem es gelingen kann, Hochkultur und Populärkultur, Bedürfnisse wissenschaftlicher Arbeit und Volksbildung, internationales Interesse und lokalen Kulturhunger zu bedienen.

Die Sängerknaben sind ein für unser Grätzel völlig uninteressantes Museumsstück, das man überall anders genauso vermarkten kann.

Ich ersuche Sie, in diesem Sinne zu entscheiden.

Mit freundlichen Grüßen

Tina Leisch
(Film-, Text- und Theaterarbeiterin)

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