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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 7. Juli 2021; 19:56
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Arbeit/Soziales/Recht:

> Replik zu Kocher: Mehr Verbindlichkeit bei Grund- und Menschenrechten!

*Aktive Arbeitslose Österreich* fordern Abschaffung der Bezugssperren sowie
Wiederherstellung der Selbstverwaltung der Arbeitslosenversicherung

Wenn Arbeitsminister Martin Kocher das alte Lied der arbeitsunwilligen
Arbeit Suchenden anstimmt und im ansonsten relativ sachlichen Statement
gegenüber der ,Zeit im Bild 2' ,mehr Verbindlichkeit' in Form schärferer
Umsetzung des Existenz bedrohenden Sanktionenregims fordert, dann soll
Minister Kocher endlich dafür sorgen, dass dieses Sanktionenregime
wenigstens den in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des
Deutschen Verfassungsgerichts (BVerfG) konkretisierten Anforderungen
entspricht: Dass Totalsperren mit Grundrechten unvereinbar sind und eine
menschenwürdige Existenz in jedem Fall gesichert werden muß!

Systematischen Rechtsbruch beim AMS beenden und Täter*innen zur Rechenschaft
ziehen!

Wir stellen in unserer Beratungstätigkeit fest, dass tagtäglich beim AMS
systematisch grundlegende Verfassungs- und Verfahrensrechte gebrochen
werden: Bereits auf bloße Rückmeldungen von Unternehmer oder Kursinstituten
wird den Versicherten ihre Versicherungsleistung eingestellt und die
Versicherten müssen ihre Unschuld beweisen! Obwohl der
Verwaltungsgerichtshof bereits mehrmals Bezugssperren aufgehoben hat, weil
das AMS keine förmlichen Einvernahmen der Beschuldiger gemacht hat und so
Arbeit Suchende generell vorverurteilt, setzen die Mitarbeiter des AMS sich
nach wie vor systematisch über grundlegende Verfahrensgrundsätze hinweg.

Selbst wiederholte und grobe Rechtsverletzungen führen nicht dazu, dass
AMS-Mitarbeiter*innen das Gehalt eingestellt wird oder diese in irgendeiner
Form dienstrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Erst recht werden
Unternehmer*innen nicht zur Verantwortung gezogen, die falsche Aussagen über
Arbeit Suchende gegenüber dem AMS machen. Und schon gar nicht bekommen die
Opfer der AMS-Bürokratie eine Entschädigung oder wenigstens eine
Entschuldigung seitens des AMS.

Tagtäglich suchen zahlreiche Opfer von Rechtsverletzungen durch
AMS-Mitarbeiter*innen bei "Aktive Arbeitslose Österreich" oder bei
Rechtshilfeeinrichtungen Unterstützung. Unserer Erfahrung nach, sind etwa
90% der verhängten Bezugssperren der Rat Suchende rechtswidrig. Diese werden
zumeist nach Aufklärung der Betroffenen oftmals vom AMS selbst aufgehoben
oder erst Monate später vom Bundesverwaltungsgericht.

Keine Änderung unserer Arbeitslosenversicherung ohne volle Mitsprache der
Arbeitslosengewerkschaften!

Minister Martin Kocher ist offenbar noch nicht darüber informiert worden,
dass entsprechend dem ILO Übereinkommen 122 (BGBl 355/1974) und der ILO
Empfehlung 202 die Betroffenen bei der Planung, Umsetzung und Evaluation der
Sozial- und Beschäftigungspolitik einzubeziehen sind. Die UNO hat schon bei
der 5. Staatenprüfung Österreich über die Umsetzung des "UNO-Sozialpaktes"
(WSK-Pakt) das Sanktionenregime als Verletzung des Menschenrechts auf FREI
gewählte Arbeit kritisiert und regelmäßige Gespräche mit Vertreter*innen der
Langzeitarbeitslosen eingefordert!

Die Arbeitslosengewerkschaft "Aktive Arbeitslose Österreich" würde sich
daher freuen, wenn der aus der Wissenschaft kommende Arbeitsminister Martin
Kocher dafür sorgen würde, dass das AMS endlich geltende Gesetze und
menschenrechtlichen Konventionen einhält.

Hände weg von UNSERER Arbeitslosenversicherung!

Schließlich haben wir alle als Versicherte und Steuerzahler*innen das AMS
und seine mit der Sanktionenpeitsche befüllten Zwangsmaßnahmen selbst
bezahlt. Die Arbeitslosenversicherung ist nicht dazu da, um Unternehmen, die
zu einer zeit- und demokratiegemäßen Personalführung nicht in der Lage sind
oder am Markt vorbei produzieren, durch die Saktionenpeitsche oder gar auf
Kosten der Versicherungsgemeinschaft durch unbezahlte Arbeit in Form
rechtswidriger Arbeitstrainings und sonstiger Geschenke künstlich am Leben
zu erhalten. Statt unser Geld mit einer aufgeblähten Bürokratie und auf der
strukturellen Gewalt der Sanktionen beruhenden Kursbranchen
("Arbeitslosenindustrie") zu verschwenden, wäre eine Erhöhung des
Arbeitslosengeldes, der Wiedereinführung der Wertsicherung angesagt ebenso
wie die freie Wahl der AMS-Kurse. In einer Demokratie sollte das doch
selbstverständlich sein!

Aktive Arbeitslose Österreich fordern daher:

· Soziale Menschenrechte endlich in den Verfassungsrang aufnehmen,
insbesondere die Grundrechtecharta der Europäischen Union (Artikel 14), die
Sozialcharta des Europarates (Artikel 1) und den Internationalen Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Artikel 6) (inklusive
Zusatzprotokoll für Individualbeschwerden bei der UNO)!

· Umsetzung der Urteile des EuGH und des BVerfG: Menschenwürdige Existenz
sichern - keine Sanktionen unter die Armutsgefährdungsschwelle (bisher:
Totalkürzung und kein Anspruch auf Mindestsicherung/Sozialhilfe mehr!),
keine Sanktion vor Abschluss eines fairen Verfahrens sowie sofortige
Aufhebung der Bezugssperren wenn tatsächlich vorhandenes regelwidriges
Verhalten beendet wird.

· Selbstverwaltung der Arbeitslosenversicherung entsprechend den Beschlüssen
des 2. und 3. Gewerkschaftskongresses wieder herstellen: Selbstorganisation
der Arbeitslosenversicherung durch die Gewerkschaften und
Betroffenenselbstorganisationen! Unternehmen sollen nur beratende Stimmen
haben, der Staat Mindeststandards der Rechte der Versicherten festlegen.

· Gleiches Recht für Alle: Gleich scharfe Sanktionen für
AMS-Mitarbeiter*innen und diskriminierende Unternehmen wie für Arbeit
Suchende statt Geschenke an die Unternehmen auf Kosten der Arbeiter*innen!

· Freie Rechtsanwaltswahl bei der Verfahrenshilfe und längere Fristen für
Rechtsmittel (einheitlich 6 Monate), die schon in der ersten Stufe beim AMS
ansetzt. Bezahlung der Verfahrensanwälte in Form eines Beratungsschecks!

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