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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 20. Mai 2021; 03:12
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Medien/Parteien/Politik:

> Der JVP-Bundestag -- ein Zeitdokument

Die Liveübertragung der jungtürkisen Feierstunde war schon erhellend -- auch
als Mahnung an Andere
*

Große Aufregung gab es über eine weitere als solche ungezeichnete
Belangsendung der ÖVP im ORF, genauer gesagt, auf dessen
Internetstreaming-Portal "TVThek". Der "Bundestag" der JVP wurde live
übertragen und zwar komplett unter der Kontrolle der Partei. Aber derlei
Kürzlichkeiten sind ja nichts Neues im ORF (siehe Kasten unten).

Doch eigentlich ist diese Übertragung des JVP-Bundestags irgendwo auch ein
Zeitdokument. Deswegen mußte es nicht in die TVThek, Youtube-Stream hätte
gereicht. Man kann diesen Event auf Youtube aber auch nachschauen -- für
Leute mit gutem Magen und schrägem Humor durchaus emfehlenswert!

Ich weiß ja nicht, wie sonst Bundestage der JVP ablaufen -- wenn sie nicht
halbvirtuell sondern mit live anwesenden Delegierten passieren und man nicht
etwas für eine Fernsehkamera inszenieren muß. In diesem Fall sah das so
aus -- das Ganze sei jetzt ausführlich geschildert, um die Absurdität
deutlich zu machen -- :

*

Eppinger begrüßt die Zuschauer vulgo Delegierten zuhause an ihren
Digitalgeräten und läßt sie per Zoom auf der Videowall erscheinen, wo sie
alle mal winken dürfen. Ein JVP-Wichtiger wird zugeschalten und erklärt, wie
die Delegierten jetzt per Knopfdruck den neuen Bundesvorstand wählen dürfen.
Groß ist die Auswahl nicht, es gibt nur den Vorschlag des bisherigen
Bundesvorstands. Außerdem könne man der Tagesordnung zustimmen. Dann kommt
wieder der Herr Eppinger und interviewt prominente ÖVP-Mitglieder, natürlich
auch die für Jugend zuständige Ministerin Raab. Dazwischen gibts immer recht
nervige und lautstarke Fanfaren -- die sind ein bisserl rockig-jugendlich,
aber so, daß es noch so klingt, wie man das bei der ÖVP für anständig
erachtet. Der bisherige JVP-Obmann darf eine Rede halten. Die Delegierten
werden wieder über Videowall zugeschaltet und dürfen klatschen --
ausnahmsweise wird da sogar der Ton aufgedreht, damit man den Applaus auch
hört. Die designierte JVP-Obfrau darf auch per Zoom eine Rede halten. Es
wird verkündet, daß die Tagesordnung digital angenommen wurde -- zu diesem
Zeitpunkt fragt man sich allerdings: Welche Tagesordnung? Macht doch eh
alles der Eppinger! Und Diskussionen gibts ja keine. Es folgt das total
spannende Interview mit dem Bundeskanzler, in dem er erklärt, daß er ganz
viel in der JVP gelernt habe und sich sicher sei, daß er aus dieser ganzen
Anpatzerei gestärkt hervorgehen werde.

Das Ergebnis der "Wahl" wird verlesen -- auch mit viel Trara und Fanfare und
Spannung: Ja, alle Kandidaten sind gewählt, die meisten mit über 90%, da
freuen sich jetzt alle. Okay, die bösen Delegierten, die Streichungen
vorgenommen haben, vielleicht nicht, aber sicherheitshalber dreht man die
Videowand mit den Zoom-Gesichtern nicht nochmal auf.

Der Leitantrag kommt zur Abstimmung -- mit einem lustigen Video präsentiert,
inhaltlich aber nix anderes als das Programm der Mutterpartei inclusive der
Forderung der Erhöhung des Regelpensionsalters.

Während man auf das Abstimmungsergebnis wartet kommen noch ein paar
Grußadressen, unter anderem von Philipp Amthor, CDU-Junghoffnung, die auch
schon erfahren hat, wie es ist, wenn die Staatsanwaltschaft gegen einen
ermittelt. Das erwähnt er aber selbst nicht, sondern beglückwünscht die ÖVP
für ihren Umgang mit den Grünen. Das würde er sich für die CDU auch
wünschen, die ja, seiner Meinung nach, eher bereit sei, das Programm der
Grünen zu kopieren.

Die Annahme des Leitantrags wird verkündet und -- o wunder! -- er ist
angenommen worden. Dann bekommt der scheidende Obmann noch einen Baum
geschenkt, den er setzen möge, weil ein Haus gebaut und ein Kind gezeugt
habe er ja schon, und die neue Obfrau fordert die Delegierten auf, ein
Packerl mit Gin-Tonic, das sie nebst Strohhalm mit den Parteitagsunterlagen
zugeschickt bekommen hätten, auszupacken und virtuell anzustossen.

Das wars, Eppinger verabschiedet sich nach etwas mehr als zwei Stunden und
dann kommt noch ein JVP-Werbespot.

*

Ja, man kennt das -- Parteitage sind heute durchinszeniert und wie immer es
möglich ist, versucht man, Mißtöne zu vermeiden. Da läßt man vor allem die
Wichtigen reden und auch gerne länger, damit dann weniger Zeit für
Diskussion bleibt -- so haben wir es ja auch beim grünen
Koalitions-Bundeskongress erlebt.

Dank Corona ist das jetzt aber auch viel einfacher, weil da niemand
rausschreien oder die Bühne stürmen oder in letzter Minute unbequeme Anträge
stellen kann -- weil man eh nur zugeschalten wird, wenn es dem Master of
Ceremony gefällt, je nach Bedarf mit oder ohne Ton. Und was anderes als den
Leitantrag gibt es eh nicht zum Abstimmen. Aber ist das nur so bei der JVP?
Der Junggrünen-Parteitag war ja erst neulich und auch nur online und da
durften wir dann nachträglich recht seltsame Beschlüsse zur Kenntnis nehmen.
Hat das auch nur geklappt, weil es eben online war? Oder weil man sich schon
daran gewöhnt hat, daß Bundesveranstaltungen von Parteien oder deren
Teilorganisationen Feierstunden ohne Debatten sind?

Was wir auf diesem JVP-Tag gesehen haben, war ein Kasperltheater, eine
Travestie innerparteilicher Demokratie, ein So-tun-als-ob, eine Überhöhung
des Fraktionenverbots, ein Hochamt, etwas, was die ÖVP bei anderen wohl als
"Demokratie im DDR-Stil" verhöhnen würde.

Aber es bleibt die Frage: Es ist bei diesen anderen wirklich so viel anders?
Daher ist das eben ein Zeitdokument und ein mahnendes Beispiel für andere
Parteien wie Jugendorganisationen: Wenn es so abläuft, dann stimmt da etwas
ganz gehörig nicht.

*Bernhard Redl*


*


Kasten:


> Österreichischer Volksfunk


Daß der ORF gerne schlecht getarnte OVP-Werbesendungen präsentiert, ist ja
nichts Neues. Wir erinnern uns an "Wer ist Sebastian Kurz?" im
Hauptabendprogramm, pünktlich zum Antritt von Schwürkis-Grün, wo man
eigentlich nur erfahren konnte, wie toll denn der Gesalbte sei. (Basti hat
diese "Doku" so gut gefallen, daß er sie auch gleich auf seinen
Youtube-Kanal stellen ließ.) Neulich hatten wir eine "ZiB-Spezial",
ebenfalls im Hauptabendprogramm, deren einziger Zweck darin gelegen zu sein
scheint, daß der Kanzler einmal eine Extra-Viertelstunde zu reden bekommt,
ohne Koalitionspartner oder blöde Journalistenfragen.

Und genau mit dieser Begründung "Kurz muß ins Bild" wurde jetzt auch der
"Bundestag der JVP" über die ORF-TVThek gestreamt. Nämlich: "aus
journalistischen Gründen, da im Programm des Bundestags ein Auftritt von
Bundeskanzler Kurz angekündigt war", sagt Thomas Prantner, stellvertrender
Technik-Direktor und verantwortlich für diese Entscheidung. Was der
Redakteursrat des ORF in einer Aussendung mit der spöttischen Bemerkung
quittiert: "Es ist unrealistisch zu erwarten, dass der Parteichef in einem
Gespräch mit dem 'Bewegungssprecher' der ÖVP, Peter L. Eppinger inhaltlich
mehr sagt, als in einem langen ZiB2-Interview mit Armin Wolf."

Generell ist der Redakteursrat nicht der Meinung, daß ein solcher Beitrag
irgendwas mit Journalismus zu tun habe: "Vielmehr wurde von der TVThek das
von der ÖVP selbst produzierte Signal übertragen, und die Regie der Partei
direkt übernommen. Inklusive einem Werbespot für die JVP. Das ist aus
journalistischer Sicht völlig untragbar. Es entsteht der Eindruck der
politischen Wunscherfüllung und das schadet der Glaubwürdigkeit unserer
Berichterstattung."

Man könnte es aber auch als Vorleistung des Herrn Prantner sehen -- der
wollte schon vor zehn Jahren Generaldirektor des Staatsfunks werden und will
es diesmal auch versuchen. Seine Chance stehen gut, denn er gilt nicht nur
als ÖVP-nahe sondern auch als gut vernetzt mit der FPÖ (und früher sogar
auch ein wenig mit der SPÖ, als das noch nützlich war). Ein Brückenbauer
quasi, das ist ja jetzt gerade en vogue bei der ÖVP. -br-



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