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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 29. April 2021; 05:30
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Festung Europa:

> Bosnien: Polizeigewalt und Solidarität

Von *Heike Schiebeck*, Europäisches BürgerInnenforum, 18.04.2021

Trotz Kriminalisierung unterstützen Menschen weiterhin Geflüchtete an der
kroatischen EU-Außengrenze.
*

Über das unbewohnte, hügelige Hochland südlich von Bihac pfeift eisiger
Wind, Mitte März keine Spur von Frühling. Hier, an der Landstraße nach
Sarajevo, 26km ausserhalb der Stadt, liegt der verlassene Weiler Lipa, ein
Ort, der letzte Weihnachten traurige Berühmtheit erlangte: Das IOM
(International Organisation for Migration) stellte seine Arbeit im
provisorischen Flüchtlingslager ein, etwa 1.000 Menschen waren plötzlich
sich selbst überlassen. Bilder vom brennenden Camp und verzweifelt im Schnee
umherirrenden Flüchtlingen erreichten unsere Medien. Die UN-Organisation IOM
betreibt mit EU-Geldern mehrere Camps in Bosnien.

Nach Monaten sind wir wieder nach Bosnien aufgebrochen, um zu sehen, wie die
Situation sich verändert hat, was wir tun können und um Freund*innen zu
besuchen. Einer davon ist Daka, Geograph, Umwelt- und
Menschenrechtsaktivist, der Friends of the Earth Bosnia gründete und viele
Jahre leitete. Er ist derzeit der einzige bosnische Einwohner von Lipa und
besitzt Land und Ruinen drei km vom Camp entfernt. Während des Krieges
vertrieb die kroatische Armee hier die serbische Bevölkerung, so auch seine
Familie. Als das Flüchtlingslager letztes Jahr errichtet wurde, hat er sich
in einem Wohncontainer zwischen den Ruinen der Bauernhäuser niedergelassen,
Wasser schöpft er aus einer Quelle in der Nähe, zwei Photovoltaik-Panele
spenden Strom. Im Januar und Februar, nachdem das IOM die Versorgung
eingestellt hatte und die Not am größten war, hat er, finanziert vom
Kochkollektiv Zürich, auf seinem Gelände viermal wöchentlich
Lebensmittelpakete mit Mehl, Öl, Zwiebeln und andere Hilfsgüter an die
Geflüchteten ausgegeben. Sie laden ihre Handys bei ihm auf. Er wurde
mehrfach von der Polizei aufgesucht, aber das hat ihn nicht eingeschüchtert.

Im Herzen von Sarajevo hat Ines den gemeinnützigen Verein Compass mit einem
Begegnungszentrum für Geflüchtete und Einheimische ins Leben gerufen. Fünf
Freiwillige, in der Mehrheit Frauen, halten den Raum von Montag bis Freitag
geöffnet, mit einem Free-shop für Nahrungsmittel, Kleidung und manchmal auch
Smartphones. Man kann dort auch Wäsche waschen und duschen. Der hintere Raum
dient derzeit als Lagerfläche, soll jedoch zu einem größeren Begegnungsraum
umgebaut werden, wo die Leute auch verweilen können. Die Kommunikation mit
den Geflüchteten läuft über Messenger, WhatsApp und Instagram, damit nicht
alle gleichzeitig kommen. Am Anfang haben sie 30 Leute täglich erwartet,
momentan kommen im Schnitt 120 am Tag. Compass ist mit anderen
Organisationen gut vernetzt, wie etwa dem Taucher-Verein, wo die
Geflüchteten schwimmen lernen können, oder der Schwulen-Lesben Bewegung. Der
Verein arbeitet aber auch mit dem Danish Refugee Coucil, dem roten Kreuz und
IOM zusammen.

In Velika Kladusa, dem nordwestlichsten Städtchen Bosniens direkt an der
kroatischen Grenze, hat sich die Situation seit unserem letzten Besuch
merklich verschlechtert. Die von internationalen Freiwilligen geführte
Erste-Hilfe-Station in einer ehemaligen Bar und die Kleiderausgabe sind aus
dem öffentlichen Raum verschwunden. Die Hilfe kann nur noch heimlich und
nachts geleistet werden. Mehrere Gruppen einheimischer und internationaler
Freiwilliger teilen sich die Arbeit auf und machen trotz Kriminalisierung
und rassistischer Übergriffe weiter. Im Flüchtlingslager Miral, das für 700
Personen gedacht ist, leben 1.100 alleinreisende Männer auf engstem Raum,
die Krätze grassiert, die medizinische Versorgung ist äusserst schlecht. In
der Umgebung hausen weitere 300 bis 400 Menschen in verlassenen Gebäuden,
den Squats, ohne Wasser, Strom und Fenster, oder im Wald unter freiem
Himmel. Die Corona-Pandemie ist hier nur eines von vielen Problemen. Die in-
und ausländischen Ehrenamtlichen versorgen die Menschen so gut es geht mit
Lebensmitteln, Brennholz, Kleidung und verarzten sie. Das muss heimlich
geschehen, weil in Bosnien nur offizielle Hilfsorganisationen dazu
berechtigt sind. Werden Ausländer*innen von der Polizei erwischt, müssen sie
Geldstrafen zahlen und werden des Landes verwiesen.

Um ihre Arbeit zu legalisieren, hat Alma, eine junge Lehrerin, mit
bosnischen Freundinnen den Verein Rahma gegründet, auf Arabisch Mitgefühl.
Alma hat schon Morddrohungen erhalten. Rahma betreibt ein gut geführtes
Lager mit Kleidung, Schuhen und Hygieneartikeln. Die Mitglieder fahren in
ihren privaten PKWs zu den Squats, um Lebensmittel auszuteilen. Andere
Bosnierinnen spenden etwas Geld, lassen Geflüchtete bei sich duschen oder
waschen ihre Kleider. "Bosnian people are good people, but croatian police
is terrible," sagt uns ein junger Flüchtling, der abends mit anderen auf dem
Weg zur Grenze ist. Werden sie abgefangen, weigert sich die kroatische
Polizei, ihr Asylgesuch entgegen zu nehmen, zerstört ihre Handys, nimmt
ihnen Ausrüstung, warme Jacken oder gar die Schuhe weg und jagt sie zurück
nach Bosnien. Oft werden die Flüchtlinge verprügelt, durch den eiskalten
Grenzfluss getrieben oder gefoltert.

Diese Menschenrechtsverletzungen an den EU-Aussengrenzen beobachtet und
dokumentiert Border Violence Monitoring Network (BVMN), ein Zusammenschluss
von 14 Organisationen, in dem Freiwillige seit 2017 mit Betroffenen der
illegalen Pushbacks Interviews führen und in monatlichen Berichten
dokumentieren. Auf dem Rückweg treffen wir in Zagreb Aktivistinnen von Are
You Syrious (AYS) und Center for Peace Studies (CPS), die bei BVMN
mitarbeiten. Milena (AYS) macht die Menschenrechtsarbeit gegenüber dem
EU-Parlament und hat im Dezember mit BVMN das Blackbook of Pushbacks
herausgegeben, eine 1.500 Seiten starke Dokumentation. 900 Fälle von
illegalen Pushbacks an den EU-Außengrenzen mit mehr als 12.000 betroffenen
Personen sind darin dokumentiert.

Wegen ihrer engagierten Menschenrechtsarbeit sind diese mutigen, jungen
Frauen unglaublichen Repressionen und Verleumdungen vom kroatischen Staat
ausgesetzt. Mitglieder werden der Schlepperei bezichtigt, ohne Angabe von
Gründen stundenlang auf Polizeistationen festgehalten und persönlich
bedroht, weil sie die Arbeit der Grenzpolizei kritisieren. Diese
Einschüchterungsversuche machen auch vor dem Privatleben nicht Halt. So
wurde der Lebensgefährte von Tajana Tadic, der Geschäftsführerin von AYS,
von der kroatischen Geheimpolizei vorgeladen. Omer ist Iraker und erhielt
2018 Asyl - was in Kroatien äusserst selten passiert. Als er die
Aufforderung, mit der Geheimpolizei zusammenzuarbeiten, ablehnte, wurde Omer
unter dem Vorwand, er gefährde die Sicherheit, der Asylstatus aberkannt. Da
ihm jederzeit die Abschiebeung in den Irak droht, hat er Kroatien inzwischen
verlassen. Nach den Dublin-Vereinbarungen kann er jedoch nach Kroatien
zurückgeschoben werden, wo er nicht sicher ist.
(Aus Archipel 303)

https://forumcivique.org/artikel/bosnien-herzegowina-polizeigewalt-und-solidaritaet/

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