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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 3. Februar 2021; 22:19
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International:

> Zum Putsch in Myanmar

[Zum Thema siehe auch Terminkalender: Kundgebung in Wien, 5.2.]

Der Westen zieht nach dem Putsch in Myanmar Sanktionen in Betracht. Wie
ernst er es damit meint, ist abzuwarten -- immerhin hat sich die
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nicht als die Lichtgestalt
erwiesen, als die sie vor ihrem Machtantritt immer dargestellt worden war.
Und im Machtkampf eben dieses Westens gegen China war sie auch nicht immer
sehr hilfreich. Die Plattform *german-foreign-policy.com* analysiert das
ambivalente Verhältnis der westlichen Regierungen -- mit Focus auf
Deutschland -- zu Myanmar seit dem Kalten Krieg:
*

Die Bundesrepublik hat im Laufe der Zeit recht wechselvolle Beziehungen zu
den myanmarischen Militärs unterhalten. Im Kalten Krieg unterhielt sie gute
Kontakte zu den Generälen, die sich 1962 an die Macht geputscht hatten --
ihr Land war ein wichtiger Verbündeter in der Systemkonfrontation. Die
Bundesrepublik war zeitweise größter Handelspartner und stärkster
Entwicklungshelfer des Landes außerhalb Asiens; bis 1988 war sie zudem laut
dem Myanmar-Experten Andrew Selth seine "bedeutendste Quelle für
Waffentechnologie und ein Schlüsselfaktor beim Aufbau einer einheimischen
Rüstungsindustrie". Das Militärregime durfte unter anderem das Sturmgewehr
G3 von Heckler & Koch in Lizenz produzieren. Die Beziehungen änderten sich
mit dem Ende der Systemkonfrontation. Myanmar hatte mit den tiefen Umbrüchen
der Jahre von 1989 bis 1991 seine vormalige geostrategische Bedeutung
verloren; die westlichen Staaten gingen nun dazu über, das Regime, das 1988
ein Massaker an seinen Gegnern mit Tausenden Toten angerichtet sowie 1990
die Ergebnisse der damaligen Parlamentswahlen ignoriert hatte, als eine Art
Demonstrationsobjekt für ihre menschenrechtlich legitimierte
Sanktionspolitik zu nutzen. Sie verhängten im Lauf der Zeit Zwangsmaßnahmen
aller Art gegen Myanmar.

Die Burma Road

Die Interessenlage verschob sich in den 2000er Jahren erneut. Im Jahr 2003
hatte China begonnen, systematisch nach alternativen Transportrouten für
seine Rohstoffimporte aus Afrika und Mittelost zu suchen. Diese müssen zum
Großteil per Schiff die Straße von Malakka passieren; weil aber die Meerenge
zwischen dem indonesischen Aceh und Malaysia bzw. Singapur im Konfliktfall
leicht von den USA gesperrt werden kann, entwickelte Beijing unter anderem
Pläne, eine Transportroute direkt aus dem Indischen Ozean durch Myanmar in
die südwestchinesische Provinz Yunnan zu errichten. Historisches Vorbild war
die "Burma Road", die von 1937 bis 1939 aus der damaligen britischen Kolonie
Burma bis nach China gebaut worden war, um das Land im Krieg gegen Japan zu
versorgen. Nach mehrjährigen Planungen und Bauarbeiten konnten im Jahr 2013
eine Gas-, im Jahr 2017 dann eine Ölpipeline von der Küste Myanmars bis nach
China in Betrieb genommen werden; ergänzend wird der Bau einer parallel
verlaufenden Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge angestrebt. Myanmars
strategische Bedeutung für China, das im Lauf der Jahre zum wichtigsten
Wirtschaftspartner des Landes wurde, macht es seit Mitte der 2000er Jahre
für die westlichen Staaten in ihrem Machtkampf gegen die Volksrepublik
interessant.

Der Deal mit dem Westen

Entsprechend begann Washington, zunächst geheim -- im Windschatten von
Hilfslieferungen nach dem Zyklon Nargis im Jahr 2008 --, ab Ende 2009 dann
auch offiziell, Gespräche mit Myanmars Militärregime aufzunehmen. Die
Verhandlungen führten schließlich zu einem Deal, der einerseits eine
wirtschaftliche und in gewissem Maß auch politische Öffnung des Landes für
den Westen, andererseits eine vorsichtige Demokratisierung vorsah. Myanmars
Generäle haben sich dabei stets die politische Kontrolle des Prozesses
gesichert; so haben sie sich per Verfassung ein Viertel der Parlamentssitze
sowie die Ministerien für Inneres, für Verteidigung und für
Grenzangelegenheiten fest zusprechen lassen. Zugleich verfügen sie mit
Unternehmenskonglomeraten wie der Myanma Economic Holding Limited (MEHL)
über erheblichen ökonomischen Einfluss. Leitfigur der vorsichtigen
Demokratisierung war -- und ist bis heute -- Aung San Suu Kyi, die zu Zeiten
der Militärdiktatur insgesamt rund 15 Jahre in Hausarrest verbringen musste,
nach dem förmlichen Ende der Diktatur dann aber als "Staatsrätin" 2015 zur
De-facto-Regierungschefin wurde. Suu Kyi gilt der Bevölkerungsmehrheit
Myanmars bis heute als überaus populäre Führungsgestalt.

"Nicht reformorientiert"

Aus Sicht der westlichen Staaten ist der erhoffte Durchbruch in Myanmar im
Machtkampf gegen China bislang ausgeblieben. Trotz anfänglich starken
Interesses sind Handel und Investitionen etwa deutscher Firmen in dem Land
immer noch gering. Im Frühjahr vergangenen Jahres hat das
Bundesentwicklungsministerium beschlossen, seine im Sommer 2012 neu
gestartete Kooperation mit Myanmar wieder einzustellen; als Grund wird eine
unzureichende "Reformorientierung" im deutschen Sinne genannt. Auch
politisch ist es nicht gelungen, Beijings Einfluss in Naypyidaw
zurückzudrängen. So unterzeichneten im September 2018 Vertreter Chinas und
Myanmars ein Memorandum of Understanding über den Aufbau des China-Myanmar
Economic Corridor (CMEC), eines Verkehrskorridors, der Mandalay, Myanmars
zweitgrößte Stadt im Zentrum des Landes, mit der Metropole Kunming in der
südwestchinesischen Provinz Yunnan verbinden wird. Der CMEC wird Chinas
Neuer Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) zugerechnet. Dabei
urteilen Experten, vor allem Aung San Suu Kyi sei, um Myanmars möglichst
rasche Entwicklung zu fördern, an einer weiteren Stärkung der Kooperation
mit China interessiert. Die Generäle hingegen, heißt es, sorgten sich um
allzu großen Einfluss Beijings.

Die nächste Runde im Einflusskampf

Mit ihrem Putsch vom frühen Montagmorgen haben sich Myanmars Generäle wieder
die alleinige Macht in Naypyidaw gesichert; Suu Kyi, zahlreiche Politiker
ihrer National League for Democracy (NDL) sowie weitere Gegner der Militärs
sind inhaftiert oder in Hausarrest. Die westlichen Mächte haben gegen den
Putsch protestiert; Außenminister Heiko Maas etwa erklärte am Montag, er
"verurteile die Machtübernahme und die damit einhergehenden Verhaftungen
durch das Militär in Myanmar auf das Schärfste". US-Präsident Joe Biden hat
mittlerweile eine Neuauflage von Sanktionen gegen Myanmar ins Gespräch
gebracht; in Deutschland hat schon am Montag der FDP-Außenpolitiker
Alexander Graf Lambsdorff wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen das Land
verlangt. Die EU wiederum hat gestern erklärt, sie werde "alle ihr zur
Verfügung stehenden Optionen in Erwägung ziehen, um sicherzustellen, dass
sich die Demokratie durchsetzt". Dabei sind unter anderem Sanktionen gegen
die Unternehmenskonglomerate der Streitkräfte im Gespräch. Zugleich heißt es
aber, man werde darauf achten, Myanmar nicht noch mehr "in die Arme Chinas"
zu treiben. Die Sanktionsfrage wird damit -- wie üblich -- von
machtpolitischen Erwägungen dominiert.
(gek.)

Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8511/



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