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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 14. Mai 2020; 07:00
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> Kommentierte Widerstandschronik


Am 1.Mai war so einiges los. Der Kurier meinte zwar in seiner
Feiertagsausgabe, daß der Wiener Rathausplatz heuer leer sein werde -- mit
entsprechender Photoillustration --, aber so war dem dann doch nicht. Denn
Wiens Straßen sind am 1.Mai traditionell eben nicht nur von
SPÖ-Veranstaltungen belegt, was heuer ziemlich deutlich wurde.
Nochrichten.net twitterte folgende Zählungen:

- #MAYDAY 2020 in Wien: Rund 850 Menschen ziehen mit Abstand, Masken und
Solidarität vom Praterstern in die Innenstadt - für ein gutes Leben für
alle, transnational und global. #leavenoonebehind #precarity #prekär

- Mehr als 600 nahmen an der 1.-Mai-Kundgebung von @linkswien am
Rathausplatz teil. Für Solidarität, gegen Ausgrenzung und Ausbeutung.

- Solidarität statt "neue" Normalität: Rund 570 nehmen an Fahrrademo zum 1.
Mai in Wien teil.

Und am Ballhausplatz beim Dessi-Mahnmal präsentierte Kurt Winterstein sein
"Coronalied" -- nachzuhören unter: https://youtu.be/3u6K2gOSQpE. Eine
aktualisierte Textfassung liegt dieser Ausgabe des akin-pd bei.
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Radldemo-Eskalation

Bekanntermaßen eskalierte die Polizei die Fahrraddemo. Das allerdings nicht
erst im Prater, sondern von Anfang an versuchte die Staatsmacht die Demo
mittels Sperren und auch Rempeleien mittels ihrer Motorräder die Demo zu
verhindern. Was in der Berichterstattung untergegangen ist: Tatsächlich
handelte es sich formal gar nicht um eine Demo, sondern um eine "Critical
Mass"-Aktion, wie sie in nicht nur Wiens Straßen seit vielen Jahren üblich
ist, also das massenhafte Aufkommen von Radfahrern im Straßenverkehr.
(siehe: solidaritaet4alle.noblogs.org)

Die Zeitungs- und Fernsehberichte, die alle rein auf Polizeiaussendungen
beruhten, schilderten eine chaotische Radltour zum Teil auch gegen die
Einbahn -- Demonstrantenberichten zufolge dürften das aber nur Umwege
gewesen sein, weil die Polizei reguläre Wege sperrte. Umgekehrt sind
Gefährdungen der Allgemeinheit vor allem von Motorradpolizisten
dokumentiert, die meinten, die Demo auf dem Gehsteig überholen zu müssen.

Daß die Sache dann mittels Runtertreten von Radfahrern aus dem fahrenden
Polizeiauto sowie weiteren Tritten auf Menschen am Boden sowie zwei ruppigen
Festnahmen im Prater endete, ist wohl der Hoffnung der Polizei geschuldet,
daß dort weniger Öffentlichkeit vorhanden war. Doch die Versuche von
Polizisten, durch Sichtverstellen die Dokumentation mancher dieser Vorkommen
per Handy zu unterbinden, waren erfolglos. Folgender Tweet wird daher wohl
in die lange Geschichte lächerlicher Polizeirechtfertigungen eingehen:

"POLIZEI WIEN @LPDWien
Der Fußtritt gg. die am Boden sitzende Person wurde zur Verhinderung einer
Angriffshandlung gesetzt und vom Kollegen entsprechend dokumentiert.
Offensichtlich wollte die Person eine Glasflasche aus d. Rucksack nehmen.
Eine Überprüfung d. Vorfalles wurde bereits eingeleitet. #1Mai"

Dokumentationen:
https://www.bonvalot.net/video-so-tritt-der-polizist-am-1-mai-in-wien-zu-811/
https://twitter.com/PresseWien/status/1256614952724508674
Interview mit einem Getretenen von F.Klenk: https://youtu.be/5WEGlFWg8pw
Die nächste reguläre Critical Mass findet in Wien übrigens am 15.Mai statt.
Treffpunkt 17h Schwarzenbergplatz ( http://www.criticalmass.at/ )
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Anderswo

Weitere Maidemos gab es am ersten Mai zumindest in Innsbruck und in
St.Pölten, wo sich die Gruppe "St.Pöltner Gutmenschen" und die
SPÖ-Bezirksorganisation trafen und gemeinsam die Internationale sangen.

Die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen in Berlin waren vorprogrammiert.
Die traditionelle "Revolutionäre 1.Mai-Demo" wurde lediglich genehmigt unter
der Bedingung, daß nur 20 Personen daran teilnehmen. Die Berliner Polizei
hatte schon am Vortag mitgeteilt, härter vorzugehen als sonst. Der
SPD-Innensenator Andreas Geisel hatte im öffentlich-rechtlichen Lokalradio
dazu am 30.April gemeint, die sogenannte Politik der ausgestreckten Hand und
der Deeskalation durch die Polizei werde "diesmal nicht so einfach
funktionieren".
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Vor dem 1.Mai

Schon am 26.April gab es die österreichweit erste nicht untersagte
Kundgebung in Linz von AktivistInnen der Gruppe AUTOFREItag. Bis dahin waren
lediglich ein paar Kundgebungen entweder informell zeitweilig geduldet (wie
etwa die LeaveNoOneBehind-Spaziergänge am 19.4. zum Polizeianhaltezentrum
Rossauer Lände) oder überhaupt unterbunden worden -- unabhängig
davon, ob sie als Kundgebungen der Behörde angezeigt worden waren oder
nicht.
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Und danach: Protest gegen für Flüchtlingsmassenquartiere

Am 10.Mai protestierten rund 100 Personen "vor den Wiener Messehallen in
Solidarität mit den mehr als 300 geflüchteten Menschen, die aktuell dort in
geschlossener Quarantäne festgehalten werden, da sie mögliche CoVid 19
Kontaktpersonen sein könnten. Die meisten der Personen in den Messehallen
wurden dorthin gebracht, nachdem sie vor einigen Tagen aus dem Lager für
Asylwerber*innen in Wien Erdberg wegen dort aufgetretenen
Covid-19-Infektionen evakuiert wurden." (www.rueckkehrzentrenschliessen.org)

Nach Ansicht der Protestierenden ist dieses Lager im Messezentrum weitaus
weniger für Quarantäne geeignet als die Unterkünfte in Erdberg, die über 1-
und 2-Bett-Zimmer verfügten. Generell seien Massenunterkünfte statt
Wohnungen sowohl menschenunwürdig als auch infektionsgefährdender.

Nähere Infos gibt es dazu auch unter:
https://gesundheitfueralle.noblogs.org/

Michael Bonvalot berichtete außerdem auf seinem Blog, daß man den
Internierten per Flugblatt "strengstens" verboten hatte, sowohl zu
fotografieren als auch irgendwelche Statements über Social Media "über Ihren
Aufenthalt" zu posten. Offensichtlich will der das Lager betreibende
Samariterbund verhindern daß mehr über die Bedingungen in der Messe bekannt
wird -- zumindest nicht mehr als bislang: "So zeigen Fotos in sozialen
Netzwerken Menschen, die teils ohne Mundschutz dichtgedrängt in der
Quarantänehalle zusammengefasst sind. Nachdem rund 300 geflüchtete Menschen
aus dem Haus Erdberg übersiedelt wurden, wurde muslimischen Menschen gar ein
Gericht mit Schweinefleisch angeboten, berichtet der ORF. Die Übersiedlung
aus Erdberg gestaltete sich überhaupt dubios. Die Stadt Wien hatte zuerst
öffentlich nur davon gesprochen, dass einige Menschen mit COVID-19-Verdacht
übersiedelt würden. Mitten in der Nacht wurde dann aber das gesamte Haus
geräumt."

https://www.bonvalot.net/social-media-verbot-fuer-quarantaene-betroffene-in-der-messe-wien-942/
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Die im Dunkel sieht man nicht

Am 11.Mai mobilisierten diejenigen aus dem Kulturbereich, die man
üblicherweise am Besten gar nicht sieht, damit sie die Künstler ins
Rampenlicht setzen können, die Eventveranstalter und Techniker, auf den
Wiener Rathausplatz. Diesmal wollten sie, daß man sie sieht. Vorher drehten
sie noch zwei Runden über den Ring mit ihren teilweise alles andere als
dezenten Gefährten. Dazu kamen dann aber auch noch die Schausteller -- bei
denen stellt es sich nämlich so dar, daß sie genau mit Beginn der Saison den
Lockdown hatten und sie wahrscheinlich erst wieder aktiv werden könnten,
wenn im Herbst ihre Saison vorbei ist. Daß denen mit maximal 6000 Euro aus
dem Härtefallfonds, die sie auch nicht sicher haben, kaum geholfen ist beim
Ausfall der gesamten Jahreseinnahmen, sollte eigentlich klar sein. Denen
geht es noch schlechter als jenen zum Teil prominenten Künstler, die diesen
Protest auch mittragen, die aber wenigstens in der Öffentlichkeit leichter
Gehör bekommen, weil man sie eben kennt.

Dazu gibt es ein sehr schönes, professionelles Video einer ebenso
betroffenen Filmfirma unter: https://youtu.be/_5zEI49mhaQ
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Resümee

Der Protest obgenannter Gruppe von selbständig und unselbständig
Erwerbstätigen -- die ja viel mehr saisonabhängig agieren und oft über Jahre
hinweg planen müssen -- ist vor allem deswegen erwähnenswert, weil er
deutlicher als sonst wo zeigt, daß dieses "Was immer es kostet" des
Finanzministers und die früheren zeitlichen Begrenzungen des Lockdowns nur
dazu da waren, die Maßnahmen problemlos durchzusetzen -- eine
Beruhigungspille also. Jetzt werden ganze Branchen an die Wand gefahren und
die Regierung tut immer noch so, als würden ihre Pressekonferenzen alleine
das Kulturbedürfnis im Land decken.

Nein, man wird nicht alle Arbeitslosen jetzt zu Erntehelfern umschulen
können. Die Koglersche Privatmeinung, daß es eine Millionärssteuer braucht,
um nicht nur die Existenzen der Beschäftigten in der Kulturbranche in ihrer
Existenz zu retten, wird wohl irgendwann einmal auch in die Hirne des
Gesalbten und seiner Groupies eindringen müssen.

Es sei denn, man sucht nach einer anderen Lösung des Problems. Die
Parlamentskorrespondenz meldete am 12.Mai:

"Budget 2020: Verstärkte Sicherheitsmaßnahmen und Aufnahmeoffensive bei der
Exekutive ... Zusätzliche Budgetmittel sollen 2020 in die Sicherheit
fließen, um insbesondere den Herausforderungen im Cyber-Bereich und Gefahren
organisierter Kriminalität mit einer modernen Polizei begegnen zu können.
... Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) soll
2020 eine umfassende Neuaufstellung erfahren."

Mehr Polizei wäre natürlich auch eine Möglichkeit, die Krise und die
Proteste zu bewältigen.
-br-

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