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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. April 2020; 08:39
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Die Kunst des Regierens:

> Mechaniker der Macht

Hauptsache ist doch: Es funktioniert
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In der Debatte um die Rauchverbote im Beisl kam öfters das Argument, man
sehe doch, daß es auch in anderen Ländern funktioniere, warum sollte das in
Österreich nicht möglich sein. Ich habe mir immer gedacht: Was soll denn das
für ein Argument sein -- es funktioniert? Sollte es nicht darum gehen, ob
etwas richtig oder falsch, ob es also von einem bestimmten Standpunkt
sinnvoll ist oder nicht? Oder gar moralisch rechtfertigbar?

Schließlich "funktioniert" jedes Gesetz und jeder Befehl, wenn nur
ausreichend Macht dahinter ist. In Österreich hat das ja Tradition. Man kann
schummeln und betrügen und man kann sich sogar dabei erwischen lassen, man
muß nur dafür sorgen, daß es keine Konsequenzen hat und man damit
durchkommt. Bekanntermaßen fälschten die Habsburger ein Dokument, daß sie
"Privilegium Majus" nannten unter Zuhilfename eines Siegels, daß sie von
einem älteren, echten Dokument nahmen. Quasi als Krönung bastelten sie auch
noch was, was Rechte belegen sollte, die von Julius Cäsar und Nero
höchstpersönlich gewährt worden wären. Die Fälschung war völlig
unglaubwürdig, trotzdem wurde sie vom Kaiser akzeptiert, wohl deswegen, weil
er die real schon recht mächtig gewordenen Habsburger brauchte. So konnten
sie sich selbst zu "Erzherzögen" erhöhen -- einem Titel, den sie auch gerade
erst erfunden hatten, weil es sowas sonst nie gegeben hatte, und was so was
ähnliches wie König bedeuten sollte. Wobei sie dann auch gleich verfügten,
daß nicht nur der Regent, sondern gleich alle Familienmitglieder diesen
Titel tragen dürfen -- sowas kommt sonst nicht einmal in den besten anderen
Adelsfamilien vor. Durch diese Hochstapeleien erhielten sie später die
Möglichkeit, selbst einmal den Kaiser zu stellen -- der dann prompt das
Erzherzogtum auch beglaubigte, wodurch das Dokument plötzlich keine
Fälschung mehr war. Auch das hat, eben, "funktioniert".

So muß man aber auch Machiavellis "Il Principe" lesen. Da steht nämlich
nicht einfach drinnen, wie meist verkürzt behauptet, daß ein Fürst
effektiver und länger regieren könne, wenn ihn das Volk haßt statt ihn zu
lieben, sondern der "Vater der Politikwissenschaft" erklärt ganz genau an
Hand historischer Beispiele, in welcher Situation man die Peitsche anwenden
sollte und in welcher das Zuckerbrot. Auch wann man lügen soll, ist dort zu
lesen, und daß es törricht wäre, sich an ein Versprechen zu halten, wenn der
Grund, warum man es gegeben hat, weggefallen sei.

Machiavellis Buch ist völlig moralfrei -- schließlich war es ja für einen
Medici verfaßt worden, der das Werk allerdings nicht zu schätzen wußte.
George Orwells Romane "1984" und "Animal Farm" waren hingegen eindeutig
Anklagen. Wilhelm Reichs kleine Schrift "Rede an den kleinen Mann" war vor
allem eine Verspottung des unterwürfigen Kleinbürgers. Aber auch diese Texte
lassen sich trocken als Handlungsanweisungen verstehen: Wie man Macht
aufbaut, Gemeinwesen usurpiert und dann erfolgreich herrscht.

Moderne Zeiten

Womit wir beim Gesalbten wären. Oder besser beim Politprojekt "Sebastian
Kurz", das ja neben dem Darsteller der zentralen Kunstfigur auch seine
Erzherzöge, also: seine Berater und Experten umfaßt. Bei diesem Projekt geht
es nie darum, was denn richtig oder auch nur korrekt wäre, sondern was
funktioniert. Es ist eine Politfabrik -- durchaus im Sinne des englischen
"fabricated", was ja sowohl "gefertigt" als auch "fingiert" bedeuten kann.
Nun kann man sagen, daß das ja andere genauso machen -- wie eben jene oben
angeführten Fakeherzöge. Nur bei diesem aktuellen Kanzlerdarsteller handelt
es sich schon fast um ein industrielles Habsburgertum. Während
beispielsweise noch ein Jörg Haider virtuos mit Ängsten spielte, ist beim
Kurzprojekt nichts dem Zufall überlassen -- außer wenn Basti I. wiedermal
zum Leidwesen seiner Erzherzöge extemporiert und sich nicht ans Script hält.
Aber glücklicherweise gibt es ja nichts, was der Bundesmaturant nicht
schelmisch weglächeln könnte -- auch da ist das Industriedesign gut
erkennbar: Form follows function -- an der Spitze des Projekts muß natürlich
ein guter Freundlichlächler montiert sein, sonst funktioniert das ganze
Gerät nicht.

Und diese Spitze muß dann alles erklären können! Ja, wir haben Polizei und
Volk eingeredet, daß etwas anderes Recht sei, als wirklich geschrieben
worden ist. Ja, wir haben was beschlossen, was das Höchstgericht
wahrscheinlich aufhebt, aber bis dahin gilt es dann eh nimmer. Und ja (da
allerdings nur bedingt zugegeben, weils selbst fürs Basti-Projekt ein wenig
grenzwertig ist), wir wollten den Leuten Angst machen, damit die auch das
tun, was wir wollen. Aber da braucht sich doch niemand darüber beschweren,
schließlich hat es doch funktioniert. Und das bei dem Zeitdruck!

Natürlich sagt das vorne montierte Lächelmodul das nicht so -- aber so
verstehen das alle und zwar nicht nur im Sinne von "Kapieren" sondern auch
so: Man hat dafür Verständnis!

Die 4.Gewalt

So ist das auch mit der Message Control: Auf dem ersten Blick soll man die
natürlich nicht sehen, sondern die soll erst von den klugen Kommentatoren
entdeckt werden. Das ist so wie bei den Ostereiern, da freuen sich die
Kinder auch mehr darüber, wenn sie sie selber finden, weil sie doch so klug
sind.

Denn allen professionellen Beobachtern ist klar, wie Kurz funktioniert --
trotzdem entschuldigen sie alles. Oder vielleicht auch genau deswegen, weil
sie sich dann besser fühlen, weil sie das ja alles so toll durchschauen.
Wenn sie dann noch quasi als "embedded journalists" huldvoll zu
Hintergrundgesprächen eingeladen werden, werden sie selbst Teil des Projekts
"Sebastian Kurz" -- nicht obwohl, sondern genau deswegen, weil sie doch "so
kritisch" sind. Aus der 4.Macht im Staat wird plötzlich der vierte Teil des
Machtprojekts und sie fühlen sich auch noch gut dabei. Genau, man lese nach
bei Wilhelm Reich, wie das Gefühl der Selbsterhöhung funktioniert, wenn man
sich als Teil von etwas Größerem betrachten kann.

Ein praktisches Beispiel lieferte dieser Tage Gernot Bauer im "profil": "Um
sein Krisenmanagement zu verstehen, muss man das Politikverständnis des
Bundeskanzlers analysieren. In der Praxis glaubt Kurz nicht an eine
Gewaltenteilung, sondern eine Gewaltenreihung. Die Exekutive steht aus
seiner Sicht nicht neben, sondern vor Legislative und Rechtsprechung, daher
auch sein schnoddriger Umgang mit Parlament und Justiz. Und er glaubt an
straffe Führungsmethoden und die Notwendigkeit eines geschlossenen
Auftretens nach außen." Wer das allerdings als "autoritär" oder
"paternalistisch" betrachte, der vergebe lediglich "unpolitische Stilnoten",
so Bauer.

Ach, was ist das doch für ein kluger Kopf, dieser Bauer -- der analysiert
den Kurz und seine Kritiker gleichzeitig: Der Kanzler hätte einfach keine
guten Stil, wenn er an die Prinzipien Montesquieus "nicht glaube", aber das
sei ja nicht weiter tragisch.

Wie um doch die Meinungsvielfalt in unserer klugen Qualitätspresse zu
demonstrieren twittert Florian Klenk (Falter) dazu: "Ich sehe es wie Gernot
Bauer". Oliver Pink (Die Presse) meint dazu: "Schließe mich vollinhaltlich
an." Rainer Nowak, Pinks Chef, muß das natürlich auch retweeten und Thomas
Mayer vom Standard schreibt "Hat völlig recht, trifft die Sache auf den
Punkt. Brillanter, gelassener Analytiker!"

Ecco! Es funktioniert!

*Bernhard Redl* (27.4.2020)




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