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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. März 2020; 20:28
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> Corona als Vorwand und die Gefahr der Repression

Warum erteilt die Regierung Versammlungsverbot während in vielen Betrieben
weiter gearbeitet wird, auch wo das nicht nötig ist?
Eine Analyse von *Franz Neuhold* von der Sozialistischen Linkspartei:
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Wer die Medien verfolgt (und das sind aktuell sehr, sehr viele) sieht
zweierlei: erstens eine Bevölkerung die weitgehend von selbst auf "Social
Distancing" (wobei es eigentlich nur um physische Distanz geht) setzt und
viel tut, um andere nicht in Gefahr zu bringen. Zweitens Regierungen die
eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzen beschließen, die nicht nur die
Bewegungsfreiheit, sondern auch demokratische Grundrechte außer Kraft
setzen. Orban will überhaupt das Parlament ausschalten, doch auch in
Österreich wird Zwangsarbeit ermöglicht und Wahlen sowie das
Versammlungsrecht ausgesetzt. Notwendige Maßnahmen oder Corona als Vorwand
zur autoritären Wende?

Ursache und Wirkung vertauscht

Kurz formulierte in einer ORF-Ansprache zur Rechtfertigung der gerade
beschlossenen Maßnahmen: "Die Ausbreitung des Coronavirus . trifft
Österreich und die Europäische Union in unglaublicher Härte." Und kurz
danach: "In Italien steht das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch."

Der Kanzler verdreht Ursache und Wirkung. Die eigentliche Härte der
Situation in Italien ist nicht dem Virus an sich geschuldet. Vielmehr ist es
ein Mix aus neoliberalem Trümmerhaufen, fehlendem bzw. falschem
Krisenmanagement und dem Umstand, dass Italien strukturell überaltert ist.
Tatsache ist, dass viele der Intensivpatient*innen, die gestorben sind,
(noch) nicht sterben hätten müssen, wenn z.B. ausreichend Beatmungsgeräte
zur Verfügung stehen würden. Das Virus deckt dies alles lediglich auf.

Hart durchgreifen nach Jahrzehnten des Kaputtsparens

Zuerst muss man verstehen, dass eine Durchseuchung der gesamten Bevölkerung
inzwischen unausweichlich ist. Es gibt zu viele Fälle um das Virus ganz zu
stoppen und mit einem Impfstoff ist allerfrühestens in mehreren Monaten zu
rechnen, wenn überhaupt. Wie Fachleute auf dem Gebiet der Virologie
erklären, ist dies an sich normal und nichts Bedrohliches. Der entscheidende
Faktor ist die Geschwindigkeit, mit der dies abläuft (und der Zustand des
Gesundheitswesens). Denn hier tritt die Frage von Politik und
Wirtschaftssystem auf die Bühne: Tatsache ist, dass trotz Pandemien in der
Vergangenheit (wie die Schweinegrippe 2009) die kapitalistischen Eliten da
wie dort nicht viel getan haben, um sich auf ein Virus mit unangenehmeren
Eigenschaften (Ansteckungsrate, Inkubationszeit und Sterblichkeitsrate)
vorzubereiten. Dies ist umso skandalöser, da 2012 das Robert-Koch-Instituts
ein Risikoszenario einer Pandemie mit einem modifizierten SARS-Virus (was
das nunmehrige Corona ja auch ist) durchgespielt hat. Ein ausführlicher
Bericht wurde dem deutschen Bundestag 2013 vorgelegt und veröffentlicht -
ohne Konsequenzen offensichtlich. Mehr noch findet seit Jahrzehnten eine
neoliberale Angriffswelle statt. Diese hat auch in den reichsten Ländern die
Gesundheitssysteme ausgehöhlt. Selbst im regulären Betrieb sind die dort
arbeitenden Kolleg*innen oftmals überlastet. In starken Grippe-Saisonen
stoßen die Möglichkeiten der Intensivbetreuung an ihre Grenzen. Dafür
verantwortlich ist jene kapitalistische Politik der Kürzungen und
Umverteilung von unten nach oben, für die auch die aktuelle österreichische
Regierung steht.

Dabei passt es gut ins Bild, dass in allen Regierungs-Erklärungen der
letzten Tage kein einziges Mal die Ausfinanzierung des Gesundheitswesen
angesprochen wurde. Man würde ein Minenfeld offenlegen. Stattdessen sorgt
man sich darum, "wie Geld im Wirtschaftskreislauf" gehalten werden kann. Die
Lockerung der Arbeitszeit-Regeln lag sofort am Tisch. Auf dauerhaft mehr
Geld für die Spitäler warten wir weiterhin. Und hier haben wir einen der
Hauptgründe, warum die Regierung derart scharf handelt: orf.at titelte am
Sonntag: Wirtschaftsministerin "Schramböck warnt vor massivem Einbruch der
Wirtschaft".

Aufklärung und Durchtesten statt Ausgangssperre

Um es klar zu sagen: ein gefährliches Virus verlangt von uns eine Änderung
des Verhaltens. Wir lehnen unsoziales Verhalten wie "Corona-Parties" etc. ab
und sind für umfassende Aufklärungsmaßnahmen an alle Haushalte, um zu
erklären, wie man sich und andere vor einer Ansteckung schützen kann.
Zuhause bleiben wenn es irgendwie geht und nur den gelegentlichen Einkauf
oder Spaziergang zu unternehmen ist der beste Weg das Gesundheitssystem und
seine Beschäftigten vor einem Zusammenbruch zu bewahren. Information und
Aufklärung helfen stets mehr als Verbote und Strafen. Beispiel Parks: Eine
Schließung der Parks führt nur dazu, dass sich Menschen auf dichterem Raum
drängen. Die Regierung setzt nach und auf mehr Einschränkungen. Bessere
Aufklärung und kostenlose Desinfektionsmittel-Stellen (z.B. in
Öffi-Stationen, Park Ein- und Ausgängen und Supermärkten) sowie die
kostenlose Öffnung ALLER Outdoor-Freizeitanlagen führt zu einer größeren
Streuung der Menschen und macht es leichter, einen Sicherheitsabstand
einzuhalten. Das Problem ist nicht, wenn sich Menschen außerhalb ihrer
Wohnung aufhalten. Das Problem entsteht, wenn es zum Kontakt mit Infizierten
kommt. Weiß man aber nicht, wer infiziert ist (wegen der geringen
Testungsrate) und kommen Menschen dann zu dicht zusammen, wird es
gefährlich.

Niemand käme jetzt auf die Idee, eine Demonstration mit tausenden Menschen
auf dichtem Raum zu organisieren. Doch ein Versammlungsverbot zu erlassen,
während gleichzeitig Betriebe weiter arbeiten und Flüchtlinge auf engstem
Raum in Einrichtungen zusammengepfercht sind, zeigt die Verlogenheit der
Regierungsmaßnahmen auf.

Wenn auch früher als andere, so hat auch die schwarz-grüne Regierung zu spät
reagiert. Wären frühzeitig die Testungs-Kapazitäten massiv ausgeweitet
worden und ausreichend Schutzbehelfe wie Masken, Handschuhe aber auch
Beatmungsgeräte bereitgestellt worden (und das nicht weitgehend dem privaten
Markt überlassen worden), dann gäbe es weniger oder vielleicht kaum eine
Notwendigkeit für weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Diese
sind letztlich die Reaktion der Regierung auf ihr eigenes Versagen und der
Versuch, im Nachhinein die Folgen ihrer Fehler abzumildern bzw. zu
verzögern.

Es scheint aufgrund internationaler Beispiele, als ob großflächige
Testungen, auch von Tür zu Tür, eine sehr sinnvolle Maßnahme sind. Diese
könnten und sollten demokratisch unter der Beteiligung von Organisationen
wie dem Roten Kreuz und Gewerkschaften organisiert werden, um möglichst
viele Menschen einzubinden. Angemessene Bezahlung und Schutzausrüstung
vorausgesetzt, würde sich so zeigen, dass durch kollektives Handeln die
nötigen Ziele am besten erreicht werden können. Wir brauchen dazu keinen
'starken Staat' oder Verordnungen per Dekret wie Orban es vorhat.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zwar
für das Privatleben gilt, nicht aber für die Wirtschaft. Betriebe sind nicht
zur Schließung verpflichtet und können nach wie vor selbst entscheiden, ob
die Beschäftigten ins Home-Office (das auch nicht unproblematisch ist)
"dürfen". Doch Ersteres hat man verabsäumt und Zweiteres versucht um jeden
Preis verhindern. Das zeigt in brutaler Form, dass einmal mehr gilt: Profite
gehen vor Demokratie und Gesundheit.

Austesten für den (nächsten) Ernstfall?

Was Kurz manch anderen Partei- und Regierungschefs in Europa tatsächlich
voraus hat, ist die Einsicht von Teilen des Kapitals, dass es so wie bisher
nicht mehr weitergehen kann. Dem stimmen auch wir zu. Der Unterschied: Kurz
macht Klassenkampf von oben. Bezüglich der drohenden Wirtschaftskrise
spielen zwei Überlegungen für dieses Corona-Gesetzespaket eine Rolle: Schutz
und Erhalt eines Wettbewerbsvorteils für die stärkeren Teile des Kapitals,
sowie Vorbereitung auf kommende soziale Kämpfe und Massenbewegungen
angesichts steigender Arbeitslosigkeit und Verlusten bei den Einkommen.

Die ursprünglichen Maßnahmen sind medizinisch weitgehend sinnvoll (immer
davon ausgehend, dass sie bei rechtzeitigem Handeln der Regierung
wahrscheinlich nicht in dieser Form nötig gewesen wären) und wären wohl
ausreichend, wenn Menschen bei voller Bezahlung zuhause bleiben könnten und
nicht mehr in die Arbeit fahren müssten, wie es immer noch Unzählige tun
müssen, weil die Regierung diese Entscheidung den Unternehmen überlässt. In
Kombination mit einer umfassenden Informations- und Aufklärungskampagne,
Massentestungen (und einer entsprechenden Verarbeitung dieser Daten) und der
kostenlosen Ausgabe der entsprechenden Mittel (Masken, Desinfektionsmitteln
an öffentlichen Plätzen etc) könnte so eine weitgehende Abflachung der
Durchseuchungs-Kurve erreicht werden. Aber warum legt die Regierung nun mit
Drohungen, Versammlungsverbot und Polizei am Spielplatz nach?

1.) Die Regierung weiß, dass das Gesundheitssystem sehr schnell überfordert
sein kann bzw. sein würde. Es würde das dieser Krise vorausgehende Versagen
aller neoliberalen Regierungen der letzten Zeit offenbaren oder zumindest
eine Abkehr vom neoliberalen Aushungern dieser Sektoren erzwingen. Unter
anderem deshalb ist man zu rigiden Maßnahmen gezwungen.

2.) Es reichern sich enorme ökonomische & soziale Probleme an. Der über die
letzten 30 Jahre gewachsene Vertrauensverlust in das herrschende System
wird, verbunden mit sozialen Protesten unzähliger Beschäftigter und
Erwerbsarbeitsloser, vor dem Hintergrund einer Weltwirtschaftskrise zu einer
ernsten Gefahr für den Kapitalismus. Darauf wollen sich Kurz & Co. so gut es
eben geht vorbereiten.

Deshalb das Austesten von Versammlungsverbot und einer österreichischen
Variante der Ausgangssperre. Es ist auch eine günstige Gelegenheit, mit
solchen Begriffen und auch realen Aktionen in der öffentlichen Wahrnehmung
zu arbeiten und Menschen daran zu gewöhnen, dass so etwas in Krisen nun mal
'nötig' sein kann. Wir glauben nicht, dass die Herrschenden das Virus
"geschaffen" haben - aber sie nutzen es im Rahmen ihrer Möglichkeiten für
ihre Zwecke. Das übernächste Mal wird es kein Virus mit hoher
Ansteckungsgefahr und rascher Ausbreitung sein, sondern eine Streikbewegung
oder Massendemonstration gegen Bankenrettungspakete und für
Arbeitnehmer*innen-Interessen, gegen die harte Repressionsmaßnahmen
eingesetzt werden könnten.

Breite Zustimmung?

Das Maßnahmen-Paket der Regierung enthält auch viel Gefährliches. Die breite
Zustimmung zeigt den Wunsch nach Sicherheit und die Bereitschaft, sich dafür
auch selbst zurück zu nehmen. Laut ORF halten sich 95% der Bevölkerung an
die Bestimmungen! Das widerspricht auch allen Behauptungen vom angeblichen
Egoismus der Menschen.

Doch die bereits während der ÖVP-FPÖ-Regierung sichtbar gewordenen
autoritären Tendenzen tauchen nun wieder in potentiell anti-demokratischem
Gehabe auf. Die Ironie der Gegenwart ist, dass sich die Grünen dabei
besonders hervortun, so als ob sie etwas aufzuholen hätten. Unmittelbar
werden viele Menschen die Regierungsbeschlüsse wohl nicht als akute
anti-demokratische Gefahr wahrnehmen. Teilweise wird das (über weite
Strecken) angemessen erscheinende Vorgehen der Regierung gelobt werden. Und
im Vergleich zur italienischen oder britischen Regierung hat sie tatsächlich
früher agiert - wobei natürlich die Frage bleibt, ob Entscheidungen, die auf
einer breiten demokratischen Basis gefällt werden, nicht wesentlich
tragfähiger wären und v.a. warum die Regierung nicht früher gehandelt hat
und viele wichtige Maßnahmen nicht setzt. Doch das ändert nichts an den
zugrunde liegenden Widersprüchen, die von der Covid19-Krise verschärft
werden.

Wenn wir aber den öffentlichen Raum aufgeben, wenn wir uns das Recht nehmen
lassen gegen den Umgang der Regierung mit der Corona-Krise und ihren
wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu protestieren (bis hin zu Streiks),
dann hat die herrschende Klasse ihre Ausgangsposition für kommende
Auseinandersetzungen deutlich verbessert.
(gek.)


Volltext:
https://www.slp.at/artikel/corona-als-vorwand-und-die-gefahr-der-repression-9974


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