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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 20. Februar 2020; 00:52
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Zeitgeschichte/Glosse:

> No na net

Späte Erkenntnisse ändern nichts mehr am Faktischen

"Denn ein Haifisch ist kein Haifisch, wenn mans nicht beweisen kann" -- so
formulierte das Lied über Mackie Messer in Brechts Dreigroschenoper die
andere Seite der Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung ist schon lange
auch eine Unmutsverschuldung.

Man sollte nicht den Fehler begehen, dieses Grundprinzip der Rechtssprechung
zu ignorieren oder abschaffen zu wollen. Allerdings gibt es so etwas wie den
Klassencharakter der Unschuldsvermutung auch: Sie gilt in der Öffentlichkeit
meist nur dann, wenn zu befürchten ist, daß ein Verdächtiger in der Lage
ist, sich gerichtlich gegen eine Vorverurteilung zu wehren.

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Womit wir bei der Causa Eurofighter wären: Seit mittlerweile fast zwei
Jahrzehnten pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß
EADS/Eurofighter/Airbus damals bestimmte Kreise der österreichischen
Bundesverwaltung geschmiert hat. Der ganze Bestellungsvorgang war schon ab
2002 als nicht koscher offensichtlich -- aber wer genau wann und wo
geschmiert worden ist, konnte bislang genausowenig ermittelt werden wie
überhaupt irgendwas davon bewiesen. Daß Airbus nun erst gegenüber
US-Behörden zugegeben hat, "politische Zuwendungen" getätigt zu haben, aber
mit österreichischen Behörden darüber auch jetzt noch nicht darüber reden
will, macht klar, wie die Machtverhältnisse liegen. In Österreich hingegen
will die neue Regierung jetzt doch Airbus klagen, um Geld zurückzubekommen.
Das Interesse, genauer nachzufragen, wer denn damals diese Schmiergelder
erhalten hat und wer die politische Verantwortung dafür trägt, ist höchstens
beim Vizekanzler ehrlich vorhanden -- herauskommen wird da trotzdem nichts.
Und auch deswegen wird auch diesmal die Klage gegen Airbus im Sand
verlaufen -- weil Airbus damit drohen könnte, genau das zu tun, was die
jetzige Regierung angeblich möchte, nämlich Namen zu nennen. Danach wird man
schön brav die nächsten Flieger bei Airbus bestellen, damit die auch
wirklich die Pappen halten.(1) Man erinnere sich daran, daß der erste
diesbezügliche U-Ausschuß im Parlament abgedreht worden ist, als die ersten
greifbaren Verdachtsmomente auftauchten, oder daran, daß eigentlich
aufklärungsbedürftige diesbezügliche Vorfälle in der Justiz nie wirklich
ernsthaft abgehandelt wurden.

Für sämtliche Mitglieder früherer Regierungen seit 2000 sowie die damit
befaßten Spitzenbeamten gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.

*

Eine ganz andere Sache ist die "Reform" der österreichischen
Sozialversicherungen. Wobei auch das auf die Schüssel-Regierungen
zurückgeht -- man erinnere sich an die Reform des Hauptverbands 2001, wo es
darum ging, die Macht der Sozialdemokratie zu brechen. Die Regierung Kurz I
fusionierte die Gebietskrankenkassen und versprach -- weniger sich denn der
Bevölkerung -- davon massive Einsparungen. Jetzt gibt es die donnernde, weil
völlig unerwartete Erkenntnis, daß die Kosten der Krankenkassen
explodieren -- damit konnte ja wirklich niemand rechnen. Daran ist sicher
die SPÖ schuld! Die Folge: "Wir werden ausgabenseitig den Gürtel enger
schnallen müssen." Sagt der Generaldirektor der ÖGK, sicher der beste Kopf
für die neuorganisierte Krankenkasse. Es ist nur Zufall, daß er von der ÖVP
ist.

*

International gibt es da aber auch schöne Sachen: Dieser Tage wurde bekannt,
wie konstruiert die Vorwürfe bezüglich Vergewaltigung gegenüber Julian
Assange waren. Damit hat ja auch niemand rechnen können. Zur Erinnerung: Im
März 2010 veröffentlichte WikiLeaks CIA-Bemühungen eben diese Organisation
zu zerstören und im April das Video "Collateral Murder". Im Mai wurde
deswegen Bardley (heute Chelsea) Manning verhaftet. Im Juli erschienen das
"Afghan War Diary", im August siedelten die WikiLeaks-Server nach Schweden
um. In diesem Monat gab es dann auch die erste Anzeige wegen eines
Sexualdelikts gegen Assange in Schweden. Das war zwar nicht haltbar, aber
Assange wurde im Oktober ein Daueraufenthalt in Schweden verwehrt. Darauf
reiste er ungehindert aus Schweden aus. Im selben Monat veröffentlichte
WikiLeaks aber einen großen Packen US-Dokumente. Kurz darauf erließ die
schwedische Justiz im November 2010 einen internationalen Haftbefehl gegen
Assange wegen Vergewaltigung.

Auch hier gilt: Alles nur Zufall. Und man hat es ja schon immer gewußt, daß
der Assange kein Guter ist. Selbst fortschrittliche Kreise wollten nichts
mehr mit ihm zu tun haben -- mit einem Vergewaltiger will man doch nicht
solidarisch sein. Ja, man weiß schon seit dem Palme-Mord 1986 und diverser
Enthüllungen über Nazi-Kreise in der schwedischen Polizei, daß die dortigen
Ermittlungsbehörden nicht so ganz seriös sind -- aber niemand mochte eine
Vergewaltigung anzweifeln.

Und jetzt? Seit 2012 kann sich Assange nicht mehr frei bewegen und sitzt
jetzt seit April 2019 wegen der Verletzung von Kautionsauflagen im
Gefängnis, während der diesen zu Grunde gelegene Haftbefehl aufgehoben
worden ist. "Mission accomplished" kann man da nur sagen.

So what? Jahre und Jahrzehnte später stellen sich Schlagzeilen und
Regierungsstatements auch offiziell als Fake-News und eiskalte Machtausübung
heraus -- obwohl es schon zu ihren Entstehungszeiten klar war, daß sie nicht
koscher sind. Aber sowohl die damals geäußerten Bedenken als auch die
späteren unleugbaren Erkenntnisse ändern irgendetwas an den gesetzten
Maßnahmen. Da kann man aufarbeiten, was man will, zurückgenommen oder auch
nur ansatzweise wiedergutgemacht wird nichts davon. Da kann man dann
hundertmal sagen: "No na net" oder "Wir haben es euch ja gleich gesagt".

Macht zählt im Moment ihrer Ausübung, sonst nichts. Tatsachen werden
vollendet. Spätere öffentliche Erkenntnis ist einerlei.

*Bernhard Redl*

(1) [Anm.: Text verfaßt vor der Meldung, Airbus habe doch tatsächlich der
WKStA die Namen der Empfänger der "Zuwendungen" genannt. Aber warten wir mal
ab, ob es wahr ist.]



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