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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Februar 2020; 22:42
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Arbeit:

> Die "kalte Arbeitszeitverkürzung"

Alle reden von der "kalten Progression". Viele wollen dieses neoliberale
Schauermärchen gerne glauben und hoffen auf die wundersame
Steuererleichterung. Niemand dagegen spricht von der "kalten
Arbeitszeitverkürzung".

Ist die "Abschaffung der kalten Progression" das trojanische Pferd des
Neoliberalismus, ist die kalte Arbeitszeitverkürzung der "schwarze Schwan"
des Arbeitsmarktes. Was ist gemeint mit "kalte Arbeitszeitverkürzung"?

Um es deutlich und einfach zu benennen: eine schleichende
Arbeitszeitsverkürzung ohne vollen Lohnausgleich. Seit Beginn der
Industriellen Revolution wurden Arbeitszeiten regelmässig bei vollem
Lohnausgleich verkürzt. Bis 1985.

Ähnliches zeigt sich bei den ebenfalls in die Arbeitszeit einzuberechnenden
gesetzlichen Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmer*innen.

Bis zum 1. Juli 1973 betrug der gesetzliche Urlaubsanspruch nur 12 Werktage
pro Arbeitsjahr (bei einer 6-TageWoche inkl. Samstag), ab 1976 waren es 24
Werktage. 1981 wurde eine stufenweise Anhebung des gesetzlichen
Urlaubsanspruches auf den heutigen Stand von 30 Werktagen beschlossen.

Aktueller Stand: Der gesetzliche Urlaubsanspruch beträgt für Beschäftige mit
weniger als 25 Dienstjahren: Bei einer 5-Tage Woche: 25 Arbeitstage.
6-Tage-Woche: 30 Werktage.

Seit 1986 hat sich also auch am Urlaubsanspruch nichts geändert.

Was sich seit 1994 aber geändert hat, ist das Verhältnis von
Arbeits-/Haushaltseinkommen und Unternehmen-/Vermögenserträgen am
gesamtgesellschaftlichen Volkseinkommen. Zuungunsten von Arbeitnehmer*innen.

Diese Verschiebung des Produktivitätsgewinnes von den lohnabhängigen
Beschäftigten hin zu Unternehmen und Reichen hat nicht nur (aber auch) mit
Steuergeschenken für Unternehmer zu tun, sondern mit Veränderungen an den
Dienstverhältnissen. Vor allem für Arbeitnehmerinnen.

Wenn wir uns den "Arbeitsmarkt" ansehen, zeigen sich vordergründig
beeindruckende Zahlen: Die Zahl der unselbständig Beschäftigten hat sich in
Österreich in den letzten 71 Jahren von 1,918 Mio (1948) auf 3,797 Mio
(2019) verdoppelt. Seit dem Jahr 2000 ein Plus von 664.000 und seit Beginn
des Konjunkturaufschwungs 2015 eine Zunahme von 263.000 Jobs.

Die Zunahme an Arbeitsplätzen sieht aber nur auf den ersten Blick
beeindruckend aus. Beim genauen Hinsehen zeigt sich, dass dieses Wachstum
fast ausschliesslich aus Teilzeitarbeitsplätzen besteht. "Jobs" eben und
keine vollwertigen, existenzsichernden Vollarbeitszeitplätze.

Bei einer Zunahme der Gesamtbevölkerung um 11,3 % und einem Wachstum bei den
unselbständig Beschäftigten um 20,98 % seit 1994 zeigt sich bei der
Gesamtanzahl von unselbständig Vollbeschäftigten ein kleiner Rückgang um
0,91 %. Bei Frauen sogar um 5,67 %.

Immense Steigerungen dagegen bei Teilzeitbeschäftigungen: Bei Frauen um
152,67 %, gesamt um 169,98 % und bei Männern um 282,33 %.

Vereinfacht dargestellt bedeutet das eine Verteilung der zu leistenden
bezahlten Strukturerwerbsarbeit auf mehr Beschäftigte. Eine Verkürzung der
durchschnittlichen Arbeitszeit, ohne Lohnausgleich, bei gleichzeitiger
Flexibilisierung von Arbeitszeit und Minimierung von
Arbeitnehmer*innenrechten.

Diese Behauptung wird auch durch eine Stellungnahme der WKO bestätigt, die
Teilzeitarbeit vorwiegend positiv sieht: Sie sei ein Gewinn für Beschäftigte
und Unternehmen, fördere Flexibilität und Wohlstand. Was Wunder, bringt
diese Flexibilisierung doch eine Umverteilung hin zu den Gewinneinkommen
zulasten von Löhnen und Gehältern.

1930 schrieb John Maynard Keynes, dass die Menschen in 100 Jahren nur noch
drei Stunden am Tag arbeiten müssen. Davon sind wir weit entfernt.

Warum?

Die notwendige Länge der Arbeitszeit hängt nicht mit der Produktivität
zusammen, sondern auch mit der Höhe des Einkommens. Und genau da lag Keynes
Irrtum.

Festzuhalten ist: Arbeitszeitverkürzung war schon immer eine
Verteilungsfrage und ist normalerweise eine Massnahme zur Umverteilung der
gemeinsam erwirtschafteten Gewinne.

Und diese Verteilung erfolgt neoliberalen Wünschen zufolge gegen die
Interessen der lohnabhängigen Menschen.

Diskussionen um eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem
Lohnausgleich und gleichzeitig über alternative Formen der
Existenzsicherungen wie das bedingungslose Grundeinkommen sind nicht nur
erwünscht, sondern höchste Notwendigkeit.

Und es darf dabei nicht nur bei Diskussionen bleiben.

P.S.: Angesichts der geschlechtlichen Verteilung von Arbeitszeiten zwischen
Männern und Frauen ist das ein Kampf, der vor allem Frauen zugute kommen
wird.

*Hagerhard*


Original unter:
https://www.hagerhard.at/blog/2020/01/die-kalte-arbeitszeitverkuerzung/
Dort gibts auch einige weiterführende Links sowie ein paar hübsche
Graphiken, die wir aus technischen Gründen nicht übernehmen konnten.


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