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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 23. Januar 2020; 04:11
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EU/Zeitgeschichte:

> Die revisionistische Resolution

Die Resolution "Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die
Zukunft Europas", die am 19. September 2019 mit breiter Mehrheit vom
Europäischen Parlament beschlossen wurde, trägt zwar einen unverdächtigen
Titel, hat es aber in sich. In Österreich ist es jetzt den
Lagergemeinschaften Ravensbrück und Dachau zu verdanken, dass sie öffentlich
wahrgenommen werden muss. Die beiden Lagergemeinschaften protestieren
nämlich heftig gegen Inhalte dieser Resolution, die das Geschichtsbild über
Nationalsozialismus und Faschismus massiv verändern würden.

Mit einer Online-Petition und einem Inserat im "Standard" wollen die beiden
Lagergemeinschaften darauf aufmerksam machen, dass die in der Resolution
enthaltene Geschichtsdarstellung nicht nur Ergebnissen der
zeitgeschichtlichen Forschung widerspricht, sondern auch den
antinazistischen Konsens angreift, "der den Sieg über Nationalsozialismus
und Faschismus in Europa erst ermöglichte".

Was die beiden Lagergemeinschaften damit besonders ansprechen, sind jene
Teile der Resolution des EP, in denen der Nationalsozialismus mit dem
Stalinismus gleichgesetzt und damit die zeitgeschichtlichen
Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte, aber eben auch der
antifaschistische Konsens auf politischer Ebene verräumt werden. Es ist kein
Zufall, dass die Resolution von den konservativen polnischen Abgeordneten
der Regierungspartei PiS eingebracht und dann von den großen Fraktionen im
EP (Christdemokraten, Liberale, Sozialdemokraten) adaptiert und getragen
wurde.

So kommt es auch zur deutlichen Überhöhung des Hitler-Stalin-Paktes, der in
der Resolution faktisch ursächlich für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich
gemacht wird (B und C) und dessen Unterzeichnung am 23. August 1939 ab jetzt
jährlich als "Europäischer Tag des Gedenkens an die Opfer totalitärer
Regime" gedacht werden soll. Dass Hitler-Deutschland vor dem Pakt schon
etliche Länder und fremde Landesteile okkupiert hatte, seine aggressive und
auf Eroberung von "Lebensraum" im Osten orientierte Aufrüstung und Politik
ebenso erkennbar und klar waren wie seine Vernichtungspolitik gegenüber der
jüdischen Bevölkerung (Novemberpogrome), während Großbritannien und
Frankreich abwarteten und einen möglichen Zweifrontenkrieg gegen Deutschland
ablehnten, das alles spielt in der Resolution keine Rolle und damit
rechtsextremen Geschichtsdeutungen in die Hände.

So ist es offensichtlich auch kein Zufall, dass in der Resolution des EP die
Rolle faschistischer Regime in Vorbereitung und Durchführung des Zweiten
Weltkriegs, der faschistischen und nazistischen Expansionspolitik und des
Holocaust nur ganz am Rande gestreift wird.

Peinlich und schönfärberisch wird die Resolution dort, wo das EP (Punkt 7)
den Geschichtsrevisionismus in einigen - nicht genannten - Mitgliedsländern
verurteilt, den Balken im eigenen Auge aber nicht wahrnimmt. Streichelweich
"besorgt" ist die Mehrheit im EP darüber, "dass es Berichten zufolge in
einigen Mitgliedstaaten zu Absprachen von führenden Politikern, politischen
Parteien und Strafverfolgungsbehörden mit radikalen, rassistischen und
fremdenfeindlichen Bewegungen unterschiedlicher politischer Couleur gekommen
sein soll". Irgendwelchen Berichten zufolge also - nichts Genaueres weiß man
nicht, oder doch?

Dass der polnische Offizier Witold Pilecki, der eine herausragende Rolle im
polnischen Widerstand und auch im KZ Auschwitz spielte, vom stalinistischen
Regime in Polen aber dann hingerichtet wurde, als einziger
Widerstandskämpfer in der Resolution namentlich erwähnt wird und durch einen
"Internationalen Tag der Helden des Kampfes gegen den Totalitarismus" geehrt
werden soll (Punkt 11 in der Resolution), ist nicht bloß ein -
berechtigter - Tribut an den polnischen Widerstand, sondern ein vom EP
abgesegneter Versuch, dem polnischen Nationalismus und der
Totalitarismus-Ideologie ein Denkmal in der Erinnerung zu setzen und den
kommunistischen und antifaschistischen Widerstand gegen den
Nationalsozialismus ebenso zu eliminieren wie die den Anteil der Sowjetunion
an der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus und den Anteil der eigenen
Mittäterschaft.

Von den österreichischen Abgeordneten im EP haben alle für diese Resolution
gestimmt - mit Ausnahme von Monika Vana (Grüne), die sich der Stimme
enthalten hat. Eine Protestnote, die die beiden Lagergemeinschaften im
November 2019 an alle österreichischen Abgeordneten im EP geschickt haben,
ist bis heute unbeantwortet geblieben.
(stopptdierechten.at)


Petition:
https://mein.aufstehn.at/petitions/umdeutung-der-geschichte-stoppen

Textquelle:
https://www.stopptdierechten.at/2020/01/15/die-revisionistische-resolution

Text der EP-Resolution:
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2019-0097_DE.pdf
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Anmerkung der Redaktion: Der Beschluß im September letzten Jahres sorgte
auch in Österreich schon kurz nach dessen Verabschiedung für einige
Aufregung in linken Kreisen. Thematisch war da aber hierzulande nur
Wahlkampf angesagt. Sozialdemokratische und grüne Linke wollten genau
deswegen sich auch auf Social Media nicht recht auf Debatten einlassen --
schließlich waren im EP die Sozialdemokraten fast völlig geschlossen und die
Grünen auch fast komplett dafür gewesen. Tja und so hat das auch die akin
verschlampt: Denn die erste Ausgabe nach diesem Beschluß war auch die erste
nach der Wahl -- und da gab es eben anderes zu besprechen als seltsame
EU-Resolutionen. So ist das halt mit der Aufmerksamkeitsökonomie. Wir
bedanken uns bei stopptdierechten.at, das wieder ausgegraben zu haben.



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