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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 23. Januar 2020; 04:22
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Recht/Klima:

> Ein politischer Freispruch

Es wird gefährlich, wenn Richter beginnen, nach inhaltlichen Kriterien
Protestaktionen zu beurteilen. Auch wenn uns das auf den ersten Blick
gefallen mag.
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Es war ein politischer Paukenschlag: Ein Schweizer Gericht wertete eine
Klimaprotestaktion trotz formaler Strafbarkeit als einen notwendigen und
daher straflosen Akt, da die Aktivisten aus einer übergesetzlichen Notlage
heraus gehandelt hätten. Das Rechtsgut des Klimaschutzes wäre hier höher
gestanden als das des Hausrechts der Bank, in dem der Protest stattfand.

Die Klimaschutzbewegung jubelte -- ein Akt des Zivilen Ungehorsams wurde von
einem Gericht legitimiert. Rechtlich und vor allem politisch ist dieses
Urteil aber nur bedingt ein Grund zum Jubel.

Was ist passiert? Die Zürcher WoZ beschreibt das so: "Einzelrichter Philippe
Colelough sprach zwölf KlimaaktivistInnen, die wegen Hausfriedensbruch und
Widerhandlung gegen die Anordnungen der Polizei zu Bussen verurteilt worden
waren, in allen Punkten frei. ... Im November 2018 hatten sie eine Filiale
der Credit Suisse im Lausanner Stadtzentrum besetzt und mit
Roger-Federer-Masken eine Tennispartie simuliert. Die AktivistInnen
protestierten so gegen die klimaschädliche Investitionspolitik der
Grossbank, die ihre dreckigen Geschäfte hinter dem sauberen Image ihres
Werbebotschafters verberge. Sie widersetzten sich den Anordnungen des
CS-Filialleiters, sein Geschäft zu verlassen, und wurden schliesslich
einzeln von der Polizei abgeführt. ... Colelough argumentierte in seinem
Urteil mit einem 'rechtfertigenden Notstand'. Will heissen: Er erachtet den
Hausfriedensbruch angesichts der Klimakatastrophe als legitim. Es habe
keinen anderen Weg gegeben, um die Bank zu einer Reaktion zu bewegen und die
notwendige Aufmerksamkeit von den Medien und der Öffentlichkeit zu erhalten.
Das Vorgehen der Protestierenden sei 'notwendig und angemessen' gewesen."

Ist doch gut, oder? Endlich wird Umweltschutz als Rechtsgut wahrgenommen.
Das Urteil erinnert auch ein wenig an den mittlerweile aufgehobenen
Entscheid in Österreich, den Bau der berüchtigten dritten Piste am Flughafen
Schwechat zu untersagen, da diese nicht vereinbar wäre mit dem
verfassungsverankerten Staatsziel des Umweltschutzes. Hier ist auch schon
die Parallele: Das Urteil des Schweizer Einzelrichters ist nicht
rechtskräftig -- ob es halten und damit tatsächlich auch in die Schweizer
Judikatur eingehen wird, ist sehr fraglich. Auch ob dieses Urteil
Vorbildwirkung für die Rechtssysteme anderer Länder haben kann, bleibt
abzuwarten.

Und dieses Urteil widerspricht eigentlich dem Prinzip des Zivilen
Ungehorsams -- dieses stellt ja darauf ab, sich in klaren Widerspruch zu
einem Gesetz zu stellen und den Protest über die Bestrafung zu
transportieren. Die Legalisierung einer bewußt illegalen Aktion nimmt dem
Protest doch ein wenig an Heroismus und damit an Wirkmächtigkeit. Aber gut,
solange das zumindest eine Konfrontation mit dem herrschenden System
herstellt und ein Freispruch nicht sicher sein kann, bleibt diese
Wirkmächtigkeit doch weitgehend gewahrt.

Wer soll das entscheiden?

Sehr viel problematischer ist die politische Begründung dieses
Richterspruchs. Ob ein ordnungspolizeiliches Eingreifen sowie ein
entsprechendes Strafverfahren stattfindet, war bislang nur von der formalen
Abwägung von Rechtsgütern abhängig: Hie das Recht auf freie
Meinungsäußerung, da ordnungsrechtliche oder wirtschaftliche Ansprüche. Wenn
Personen beispielsweise bei einer Spontandemo den Wiener Ring blockieren,
ist -- an sich schon problematisch -- von der Polizei abzuschätzen, ob das
Recht auf Protest höher zu werten ist oder das Recht der Autofahrer auf
flüssiges Vorwärtskommen. Immerhin muß die Polizei und später vielleicht ein
Gericht sich nicht mit der Frage beschäftigen, ob das politische Anliegen
dahinter legitim ist. Auch wenn diese politische Legitimität
uneingestandenerweise natürlich einen Einfluß auf das Verhalten zumindest
der Polizei hat, so ist es bislang doch so gewesen, daß man von Polizei und
Gerichten keine politischen Einschätzungen verlangt hat sondern im Gegenteil
weltanschauliche Neutralität. Die Polizei hat es schlichtweg nicht zu
interessieren, ob der Ring z.B. wegen einer Klimakonferenz in der Hofburg
blockiert wird oder wegen des Akademikerballs am gleichen Ort -- die
formalen Rechtsgüter, die es abzuwegen gilt, sind das Recht auf Protest und
das Recht des ungehinderten Zugangs zu einer Veranstaltung in der Hofburg.

Wenn Polizei und Gerichte aufgrund inhaltlicher Vorlieben die Legitimität
eines Protests einzuschätzen haben, erhöht das nun weder die
Rechtssicherheit noch den Schutz vor politischer Willkür. Letztendlich wird
das auch einen Einfluß auf das Demonstrationrecht als solches haben. Schon
jetzt kommt es zu solchen inhaltlich begründeten Demoverboten -- Kurden und
linke Türken haben in Österreich und Deutschland kaum mehr eine Möglichkeit,
auf der Straße auf die Zustände in der Türkei aufmerksam zu machen, weil aus
Liebedienerei zum Sultan so ziemlich alles, was dem nicht paßt, zur
Terrororganisation erklärt wird. Wenn aber der Trend verstärkt wird, daß
Protest nur dann möglich sein soll, wenn eine Instanz der Exekutive oder
Judikative diesen als inhaltlich legitim ansieht, müssen wir anfangen uns
davor zu fürchten, wenn Richter eine an sich illegale Aktion mit einem
politisch definierten Notstand legitimieren. Vor allem ist das in einer Zeit
bedenklich, wo mächtige politische Akteure immer wieder laut auch über eine
formale Einschränkung des Demonstrationsrechts nachdenken -- was letztlich
Protest auf der Straße generell illegal machen könnte.

Daß jene Klimaaktivisten, die der Meinung sind, ihr Anliegen wäre heute das
einzig relevante, darüber jubeln, ist nur zu verständlich. Wir anderen
sollten da aber eher vorsichtig sein.
-br-



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