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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. November 2019; 12:30
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Letzte Worte:

> Bürgerliches Trauerspiel

Ein unangemessener Vergleich über das Versagen des Dritten Standes und der
Vierten Gewalt
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Ganz umsonst war er ja doch nicht, der Deutsch-Unterricht in der Schule. Da
lernten wir auch eine Theater-Gattung aus dem 18.Jahrhundert mit der
Genrebezeichnung "Bürgerliches Trauerspiel" kennen. Der Inhalt dieser Stücke
sei, so unsere Lehrerin, daß ein Adeliger in eine bürgerliche Familie
eindringe und diese so zerstöre.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Beschreibung wirklich so zutrifft
und andere studierte Germanisten das nicht anders sehen könnten, aber ich
finde das ein schönes Bild. Es erinnert mich nämlich an Strache bei der
Raucherdemo.

So, jetzt spinnt er total, wird sich der wohlwollende Leser und die geneigte
Leserin jetzt denken. Aber man überlege sich das einmal: Der Adel von
damals, das war die Herrschaft nicht nur auf ihren Latifundien, sondern sie
waren auch die Abgeordneten der diversen Herrenhäuser in Europa. Das
Bürgertum war der Dritte Stand, der zwar immer noch mehr als das Proletariat
des Frühkapitalismus zu sagen hatte, aber von der Gesetzgebung weiterhin
ausgeschlossen war.

Wie ist das heute? Wir haben als Ersten Stand einen Geldadel und als Zweiten
einen Politadel -- ersterer kann informell, letzterer formell das Recht
mitbestimmen. Da gibt es zwar hie und da Wahlen, aber die Auswahl ist ja
nicht sehr groß und die Politadeligen (also nicht die Hinterbänkler, sondern
die jeweiligen Parteispitzen) sind eigentlich immer die gleichen Leute --
wenn sie nicht durch Palastrevolten oder Born-Out entfernt werden oder wie
Strache über die eigenen Füße stolpern. Aber selbst dann wird man sie oft
nicht ganz los -- und auch dafür ist Strache ein schönes Beispiel. Denn Adel
verpflichtet halt.

Umgekehrt ist heute der Dritte Stand das, was man so schön Zivilgesellschaft
nennt. Bürger also, nicht unbedingt Bourgeoisie, sicher aber Citoyens. Und
bisweilen haben diese Angehörigen des Dritten Standes ein Ansinnen, für das
es im Parlament keine Mehrheiten gibt. Dafür gibt es dann ein Versammlungs-,
Vereins- und Petitionsrecht. Eigentlich wäre der Dritte Stand ja heute der
Souverän, aber das ist halt reine Theorie.

Zumindest gibt es eben diese Protestrechte -- das nennt man dann
Partizipation. Unter anderem dafür gibt es dann auch noch die Vierte Gewalt,
die Medien, die über diese Ansinnen der Teilgruppen dieses Souveräns
berichten. Aber auch das ist nur theoretisch der Fall. Denn interessant wird
es für diese Medien erst, wenn der Politadel für diese Gruppe aus dem
Dritten Stand Partei ergreift. Dann allerdings wird der Protest aus dem
Dritten Stand sehr schnell der -- im feudalen wie im bürgerlichen Sinn des
Wortes -- Partei des jeweiligen Adeligen zugerechnet.

Ja, das konnten wir gerade jetzt sehr schön erleben. Besonders blöd wird das
für eine solche zivilgesellschaftliche Bewegung (die sich im Vorfeld immer
die Einmischung des Adels verbeten hat), wenn es sich dabei um einen
geächteten Prinzen wie Herrn Strache handelt. Denn damit hatte die
Raucherdemo zwar ein riesiges Medienecho, kam aber nur als jener Anlaß vor,
wo der Geächtete wieder seinen Thronanspruch anmeldete.

Dem Adeligen ist das nicht anzukreiden. Der ist nunmal so. Und der hat seine
Interessen, die er wahren möchte. Aber der Dritte Stand wie die Vierte
Gewalt sollten sich einmal darüber im Klaren werden, daß wir nicht mehr im
18.Jahrhundert leben, in einer Zeit, wo ein Immanuel Kant sich eine
Herrschaft des Volkes erträumte. Oder als Emmanuel Joseph Sieyès schrieb:
"Was ist der Dritte Stand? - Alles. -- Was ist er bisher in der politischen
Ordnung gewesen? - Nichts." In Frankreich gab es dann eine Revolution. Aber
auch dort und gerade dort sitzt heute ein unabänderlicher Politadel in den
Regierungsämtern.

Manchmal könnte man glauben, es braucht in Europa wiedermal eine bürgerliche
Revolution -- bevor wir über eine sozialistische nachdenken können. Bis
dahin würde es schon reichen, wenn der Dritte Stand dem Adel auf einer Demo
das Mikro verwehrt. Damit wäre schon viel gewonnen.

*Mario Czerny*



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