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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 14. November 2019; 02:10
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Glosse:

> Eine gsunde Watschn für die Grünen!

Was die Ökopartei jetzt wirklich braucht

Was sich in den letzten Wochen so abgespielt hat, ist grauenerregend. Man
hat fast den Eindruck, als wäre der Gesalbte wirklich einer, nämlich
eingeschmiert mit ganz brutal wirkenden Pheromonen. Diese Figur hat noch
jeden, mit dem er paktiert hat, übers Haxel ghaut -- zuerst Mitterlehner,
seinen eigenen Parteichef, dann Kern, seinen Koalitionspartner, und zuletzt
Hofer, der auch geglaubt hat, daß mit dem türkisen Heiligen irgendsowas wie
eine faire Zusammenarbeit möglich ist. Es ist vollkommen egal, wie
diejenigen politisch drauf sind, die ihm auf der Karriereleiter
weiterhelfen -- er seift sie ein und entsorgt sie dann nach Gebrauch.

Die Grünen sollten also gewarnt sein. Aber nein, während der Gesalbte früher
die Unperson war, ist jetzt alles ganz anders. Man könne ihm vertrauen
(Maurer), komme sich im persönlichem Gespräch näher (Hebein) oder will
überhaupt gleich eine Koalition auf zwei Legislaturperioden zimmern
(Kogler).

Natürlich betonen die grünen Spitzen ständig, daß diese Gespräche völlig
ergebnisoffen sein sollen. Für den Beobachter ergibt sich aber eher das Bild
einer Autobahn in den Abgrund. Da wird einen Monat lang "sondiert" und von
den Grünen Stillschweigen zugesichert. Aber sie beschweren sich darüber, daß
alle möglichen Gerüchte im Umlauf sind. Tja, liebe Grünis, wundert Euch das?
Während der Gesalbte andeutet, daß er eh lieber mit der FPÖ weitermachen
wollte, heißt es bei Euch, ihr "streckt die Hand aus". Und erklärt, ihr
hättet ja eine "Verantwortung", weil Türkisblau schlimmer wäre. Merkt ihr
nicht, daß mit Euch nur deswegen geredet wird, weil Ihr es anscheinend am
Billigsten gebt? Die SPÖ gäbs ja auch noch immer als Koalitionspartner, aber
die hat klargemacht, sich vom Gesalbten nimmer verarschen lassen zu wollen.
Kriegt Ihr den Umkehrschluß mit?

Es war so klar, daß bei all diesen atmosphärischen Verbesserungen und
vertrauensbildenden Maßnahmen diese "Sondierungen" zu konkreten
Verhandlungen führen werden. Peinlich war es allerdings, noch zu verkünden,
daß es im EBV gar keine Gegenstimme gegeben habe. Und wenn da nicht noch
jemand ins Rad greift, wird es diese Regierung geben -- da kann der Kogler
noch so betonen, daß er selbst auch "kritisch" sei. Dabei ist er drauf und
dran, eine österreichische Version von Joschka Fischer zu werden.

Es gäbe keine "roten Linien" sagt Kogler. Und er wolle dort, wo die
Widersprüche nicht überbrückbar sind, "Brücken bauen".

Okay, Tacheles, wie ist das mit der Mindestsicherung? Wie ist das mit dem
vermehrten Terror am Arbeitsamt? Wie ist das mit dem 12-Stunden-Tag? Wie ist
das mit Abschiebungen nach Afghanistan? Wie ist das mit den neuen Kontrollen
an Österreichs Grenzen? Wie ist das mit der Neuevangelisierungstour an
Österreichs Schulen? Wie ist das mit dem Familienbonus nur für
Gutverdienende? Wie ist das mit der Entmachtung der Arbeitnehmervertretung
bei den Krankenkassen? Wie ist das mit der abhängigen Rechtsberatung von
Asylwerbern? Usw. usf...

Wenn das alles so weiter geht wie bisher, nur halt mit ein paar neuen Solar-
und Windkraftwerken, dann frag ich mich schon, wozu eine solche
Regierungsbeteiligung gut sein soll.

Das Schlimmste allerdings daran ist die Zerstörung der Seele der Grünen --
nicht der Partei, sondern der Menschen darin. Wenn ich mir mein persönliches
Umfeld so ansehe, ertragen die Grünmitglieder einfach die Kritik nicht mehr.
Sie entfreunden einen einfach -- und das eben nicht nur auf Facebook,
sondern auch in der Wirklichkeit --, wenn man ihnen ins Gesicht sagt, daß
man diesen Opportunismus für unerträglich hält. Oder andersrum: Sie
verabschieden sich aus der Partei, um ihre Seele zu retten. Das passiert
nicht erst seit der Arschkriecherei beim Gesalbten, sondern das ist ein
Prozeß, der schon länger zu beobachten ist. Seit der Zeit nämlich, daß
Regierungsbeteiligungen der Grünen in Bundesländern und großen Städten keine
viel bestaunte Ausnahme, sondern eine ganz normale Variante des Herrschens
geworden ist.

Ich habe die Grünen das letzte mal vor rund drei Jahrzehnten gewählt, aber
es kann mir nicht egal sein, was mit dieser Partei passiert, da geht es mir
genauso wie mit der Sozialdemokratie. Auch aus persönlichen Gründen, weil
halt viele Menschen, die ich gern habe, in diesen beiden Parteien sind und
ich sie nicht gerne daran zerbrechen sehe.

Der Gesalbte hat die Wahl gewonnen. Blöd, daß das österreichische Wahlvolk
einen derartigen Vogel hat. Aber wir wissen halt, daß in diesem Land die
Nachfolgeparteien der beiden hiesigen faschistischen Bewegungen zusammen
fast immer eine Mehrheit hatten. Das ist nichts Neues. Aber deswegen darf
man nicht den Kampf aufgeben nach dem Motto "If you can't beat them, join
them"; wie das einmal Christoph Chorherr formulierte. Nein, in solchen
Situationen muß man sich wiedermal Adornos "Minima Moralia" zu Gemüte
führen. Nicht nur das mit dem "richtigen Leben", sondern auch: "Die fast
unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von
der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen."

Die Zusammensetzung des neu gewählten Nationalrats resultiert ja nicht aus
einer echten politischen Auseinandersetzung mit Inhalten, sondern ist nur
wegen "Ibiza" und Greta Thunberg so. Auch dessen sollten wir uns bewußt
sein. Die Schwarztürkisen haben die Blaunen abgeerntet und die Bobos sind
von der SP wieder zu den Grünen gewandert. Ergo bekommen wir jetzt eine
Regierung des nachhaltigen Kapitalismus. In zehn Jahren werden wir dann
verzweifelt nach einer Problemstoffsammelstelle suchen, die uns diesen Müll
wieder abnimmt.

Es sei denn, jemand stoppt das noch. Dieser Jemand werden nicht die grünen
Spitzen sein, die sind schon zu geil auf das Mitregieren. Das müssen wir
Linken, innerhalb und außerhalb der Grünen Partei sein, die diese Spitzen so
lange und intensiv kritisieren und auch beschimpfen, daß sie kapieren, was
für einen Scheiß sie da gerade verbrechen.

Werner Kogler hat da etwas Richtiges gesagt, als er meinte, daß die Grünen
auch ohne Mitregieren bislang einen enormen Einfluß auf die Politik hatten.
Den können sie auch weiterhin haben, wenn sie eben nicht den Gesalbten
unterstützen.

Und zwar nur dann! Aber wenn man die Grünen nicht beschimpft, dann laufen
sie in diese Falle. Daher brauchen sie offensichtlich die zu Recht viel
geschmähte, aber hier anscheinend notwendige gsunde Watschn.
*Bernhard Redl*


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