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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 29. August 2019; 02:59
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Wien/Demokratie/Verkehr/Medien:

> Herr Ludwig, Sie sind nicht zuständig!

Das Verhalten des Wiener Bürgermeisters bezüglich Demos ist unseriös -- aber
da ist er leider nicht allein.
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Seit Anfang Ausgust geistert es immer wieder durch die Medien: Der Wiener
Bürgermeister Michael Ludwig verhandle mit Innenministerium und Wiener
Polizei wegen "alternativer" Demorouten, um die Innenstadt zu "entlasten".
Bisweilen liest man auch noch, daß der ÖVP-Vorsteher des 1. Bezirks Druck
gemacht habe und dieser natürlich in die Gespräche eingebunden sei.

Das Fellner-Gratisblatt verstieg sich sogar zu der Behauptung:
"Ring-Sperren: Alle für Ludwigs Reform". Wirklich alle? Untertitel: "Auch
Kaufleute für neue Routen bei Demonstrationen". Ahso!

Und in der Online-Ausgabe der Bezirkszeitung durfte man Folgendes über eine
Stellungnahme aus dem Büro des Bürgermeisters lesen: "Wichtig seien aber vor
allem die Polizei und das Innenministerium. ,Die Planung der Routen liegt
ganz in den Händen der Polizei. Darauf hat die Stadt nur begrenzt Einfluss',
sagt der Sprecher. Aber man versuche, gemeinsam eine Lösung zu finden, mit
der möglichst alle zufrieden sein könnten."

Schon wieder diese "alle"!

Was sagen die Grünen, immerhin mit der SPÖ gemeinsam für die Stadtverwaltung
verantwortlich, dazu? Die lassen informell verlautbaren, man werde eine
Einschränkung des Demonstrationsrechtes natürlich nicht hinnehmen, möchten
das aber nicht öffentlich diskutieren.

Dieses Konglomerat an Populismus, Mißverständnissen und Rechtsirrtümern muß
man wohl erstmal aufdröseln, weil da stimmt hinten und vorne gar nix.

Zeitgeschichtliches

Ludwigs Vorstoß ist vor allem einmal als ein Zurück zur alten Ordnung zu
verstehen. Als der Innenminister und der Wiener Bürgermeister noch derselben
Partei angehörten und es fast unmöglich war, in der Wiener Polizei ohne
rotes Parteibuch einen leitende Position zu ergattern, war die Welt für das
Rathaus noch in Ordnung. Da mußte der Bürgermeister gar nicht intervenieren,
die Polizei wußte auch so, welche Demos und welche Routen zu untersagen
sind. Wer in den 80ern und 90ern eine linke Demo der Polizei anzeigte, mußte
immer damit rechnen, einen Untersagungsbescheid zu erhalten, weil dies die
"Leichtigkeit und Flüssigkeit" des Verkehrs beeinträchtigen würde. In den
seltenen Fällen, wo sich jemand die Mühe machte, diese Untersagungsbescheide
anzufechten, bekam man als Beschwerdeführer von den höheren Instanzen bis
rauf zu VwGH und VfGH meist Recht. Nur nutzte das halt nichts mehr, weil der
Demotermin dann schon lange in der Vergangenheit lag und man sich mit dem
Entscheid lediglich die Zimmerwand tapezieren konnte. Für weitere Demos
brachte eine Berufung auf solche höchstinstanzlichen Urteile nämlich auch
nichts, weil sie der Polizei schlicht egal waren.

Das änderte sich absurderweise erst mit einem ÖVP-Innenminister. Der war
zwar auch kein Freund von zuvielen Demonstrationen, aber erstens stand die
erste schwarzblaue Regierung unter internationaler Beobachtung und zweitens
waren Herrn Strasser die Befindlichkeiten des SPÖ-Bürgermeisters wurscht.
Dadurch, daß jener dann auch noch die Wiener Polizei umfärbte und
sozialdemokratische Polizeikarrieren abrupt abbremsen ließ, sank die Zahl
der rathausgenehmen Untersagungsbescheide deutlich. Dazu kam, daß Michael
Häupl offensichtlich weniger interventionswillig war als seine Vorgänger
Zilk (als Bürgermeister) und Mayr (als Parteichef).

Sein penetrant rechtsblinkender Nachfolger möchte aber offensichtlich wieder
mehr Kontrolle über Demonstrationen in "seiner" Stadt.

Rechtliches

Theoretisch geht den Bürgermeister und Landeshauptmann das ja alles gar
nichts an -- in Angelegenheiten des Versammlungsrechts haben weder Land noch
Gemeinde Parteienstellung. Und auch die Behauptung, die "Planung der Routen"
liege "ganz in den Händen der Polizei" ist ein Topfen. Die Demoplanung liegt
zuallererst in den Händen der Veranstalter -- die Polizei kann formal
lediglich eine Demo oder Route untersagen, das aber auch nicht ohne gute
Begründung. Beides wird aber bei der medialen Aufarbeitung geflissentlich
ignoriert. Und deswegen schließt dieses obzitierte "alle" eben genau nicht
jene Leute mit ein, die demonstrieren wollen. Die Bürgerrechte soweit
internalisiert haben in Österreich auch eineinhalb Jahrhunderte nach dem
Staatsgrundgesetz von 1867 die Medien immer noch nicht.

Das Paradoxe daran ist, daß, gerade weil der Bürgermeister hier formal
nichts mitzureden hat, dies seine rechtliche Position stärkt. Hätte er
nämlich Parteienstellung und könnte so zu einer wie auch immer gearteten
offiziellen Einigung mit der Polizei kommen, wäre dies gerichtlich
anfechtbar. Eine informelle Abmachung hingegen, die rechtlich gar nicht
existiert, kann auch auf dem Rechtsweg nicht bekämpft werden. Deswegen muß
er auch keine Rücksicht auf seinen Koalitionspartner nehmen -- denn es
handelt sich eben um keinen Rechtsakt, der der formellen Bestätigung durch
Regierung oder Landtag bedürfte. Und genau deswegen hat auch die grüne
Vizebürgermeisterin genau keine Handhabe, wenn sie Ludwigs Ansinnen
regierungsintern regeln möchte.

Mediales

Ludwig geht es aber offensichtlich nicht nur um weniger Demos in der
Innenstadt und speziell am Ring, sondern vor allem darum, das mittlerweile
ramponierte Image der SPÖ als Autofahrerpartei wiederherzustellen. Nachdem
die Verkehrsagenden nun schon seit längerem großteils in den Händen der
Grünen sind, kann er diesbezüglich nur auf Nebenschauplätzen punkten. Dazu
nutzt er die gute Vernetzung der Wiener SPÖ mit den breitenwirksamen Medien.
Es wäre gar nicht verwunderlich, wenn es gar keine diesbezüglichen Gespräche
mit dem BMI und der Polizei gäbe -- wichtig ist vor allem, daß solche
Verhandlungen in der Zeitung stehen. Das allein übt schon Druck auf die
Bundespolitik und damit die Polizei aus, Demoanzeigen wieder kritischer zu
betrachten. Nebenbei ist es sowohl bereits Vorwahlkampf gegen ÖVP und FPÖ
als auch eine Vorleistung für potentielle Koalitionen mit genau diesen
Parteien nach den nächsten Wahlen. Von der Wiener FPÖ kam daher auch prompt
eine Aussendung des Inhalts, daß die SPÖ nun endlich sich einer langjährigen
FP-Forderung angeschlossen habe.

Die Auseinandersetzung um das Demonstrationsrecht findet somit also eben
nicht in irgendwelchen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen statt
sondern unmittelbar vor unseren Augen und Ohren -- in den Medien.

Somit gibt es zwei Gründe, warum der grüne Koalitionspartner da öffentlich
gegensteuern müßte. Zum einen, weil in die mediale Blase, daß "alle" für
weniger Demos am Ring seien, hineingestochen werden muß und dieses effektiv
nur die Grünen tun können. Zum anderen schadet dieses Schweigen massiv den
Wiener Grünen selbst, weil sich eben viele fragen, wozu die denn eigentlich
in einer Koalition sitzen, wenn sie selbst bei solchen Attacken auf die
Bürgerrechte den Mund nicht aufkriegen.

Resümee

Es stellt sich also die Frage: Herrscht in dieser so großartigen und
demokratisch gesinnten Weltstadt ein Konsens zwischen der Bourgeoisie, deren
Medien, allen relevanten politischen Parteien und den Behörden, daß das
Versammlungsrecht einfach zuviel genutzt wird und deswegen eingeschränkt
gehört? Man könnte fast diesen Eindruck haben.

*Bernhard Redl*


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