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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 3. Juli 2019; 21:19
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Wahlkrampf/Glosse:

> Dann sollen sie eben Marillenkuchen essen!

Eine Polemik

Es ist nicht nett, immer nur auf die Sozialdemokratie mit dem Finger zu
zeigen, wenn es peinlich wird, bloß weil man an diese vielleicht noch eine
Erwartungshaltung hat. Es gibt aber Situationen, in denen sich das nicht
vermeiden läßt, weil man mehr fressen möchte, als man kotzen kann. Was ist
passiert? Die Parteichefin Frau Rendi-Wagner hat mit ihrer Tochter einen
Kuchen gebacken, um es präzise zu beschreiben, einen Marillenkuchen. (Warum
ich das weiß? Nein, ich war nicht eingeladen. Ich weiß das, weil die SPÖ
diese Aktivität ihrer Vorsitzenden über Internet verbreitet.) Marillenkuchen
ist super. Mir schmeckt Marillenkuchen. Wenn er saftig und gut gemacht ist,
ist er eine bekömmliche Nachspeise. Wenn ich mir die heimatverbundenen in
Österreich lebenden Personen vorstelle, stelle ich mir die Freude vor, die
diese beseelen mag, wenn es jetzt bald wieder heimische Marillen zu kaufen
geben wird, die Marillen, die nicht sofort verspeist werden, eignen sich
hervorragend dafür, Marillenkuchen - auch zum Einfrieren - zu backen und den
Rest zu Marmelade zu verarbeiten. Mitten im Winter muss einem doch das Herz
höher schlagen, wenn man selbst gemachte Marillenmarmelade zum
Sonntagsfrühstück servieren kann oder diese zum Keksbacken weiterverarbeiten
wird können. Vorausgesetzt man hat eine Speisekammer zur Verfügung.

Frau Rendi-Wagner hat mit einem Photo eines Stückes Marillenkuchen belegt,
dass sie Kuchen backen kann, und zwar sogar gemeinsam mit ihrer Tochter.
Jetzt ist es mir aber egal, ob die Vorsitzende der SPÖ Kinder hat, es ist
mir egal, ob sie sich mit diesen gemeinsam privat betätigt, und es ist mir
egal, ob sie backen kann. Es ist ja nicht so, dass sie sich um einen Job in
einer Konditorei beworben hätte. Wenn ich einer Bäckermeisterin ein Stück
Kuchen abkaufe, freue ich mich, wenn er schmeckt, noch mehr freue ich mich,
wenn ich das Gefühl habe, dass die Bäckermeisterin Freude an ihrer Arbeit
hat und stolz auf das Ergebnis ihrer Arbeit ist. Backen ist eine hohe Kunst.

Eine Politikerin wähle ich dann, wenn ich denke oder vermute, dass diese von
der hohen Kunst der Politik etwas versteht. Es interessiert mich nicht, was
Politiker_innen zu ihrer Entspannung, in ihrer Freizeit oder ihren Ferien
machen. Es interessiert mich, welche Ideen die Sozialdemokratie hat, um sich
in unserer Gesellschaft erfolgreich um mehr soziale Gerechtigkeit zu
bemühen. Es interessiert mich sehr, was Frau Rendi-Wagner zum Thema Armut,
Armutsgefährdung, Altersarmut, Kinderarmut, fehlende Chancengleichheit und
Arbeitslosigkeit zu sagen hat. Es würde mich sehr interessieren, welche
Konzepte die Sozialdemokratie aktuell verfolgt, um etwas zu einem sozialen
Ausgleich beizutragen. Ich möchte gerne wissen, ob sich die Spitze der
Sozialdemokratie überhaupt noch bewußt ist, dass es eine Schere zwischen Arm
und Reich zu schließen gilt.

Ich sollte mich über den Marillenkuchen nicht so aufregen. Er erinnert halt
nur so an die erzählte Geschichte der Marie-Antoinette als einen Auslöser
für die französische Revolution. (Wienerisch gesagt: Des is aufglegt!)

Viel unerträglicher, oder besser gesagt, besonders unerträglich ist die von
Rendi-Wagner immer wieder betonte Haltung, alles für Rauchverbote tun und
unterstützen zu wollen. Das müsse man ihr glauben, das sei ihr ein Anliegen,
im Bereich Gesundheit kenne sie sich eben sehr gut aus, das sei ihre
Profession. Gut, sie kennt sich aus, wenn es um Gesundheit geht. Ich weiß
nicht, vielleicht bin ich einfach nur naiv. Gesundheit finde ich nämlich
sogar wichtig. Wenn mir eine Sozialdemokratin erzählt, Gesundheit sei ihr
wichtig, bin ich total einverstanden mit dem Gesundheitsengagement. Jetzt
wissen wir alle, dass Arbeitslosigkeit und Armut krank machen. Wer nicht
genug Geld hat, kann nicht gesund leben. Wer nicht genug Geld hat, kann sich
das gesündere Gemüse am Obst- und Gemüsemarkt nicht leisten. Fleisch ist
billiger. Weißbrot vom Hofer ist billiger als Vollkornbrot vom Bäcker.
Gesund leben heißt zuerst einmal gesund Essen zu können. Das ist teuer.
Gesundheit lebt von der Möglichkeit, ein wohlgesonnenes soziales Umfeld zu
haben. Die Armutskonferenz brachte als ein Beispiel von Armut den sozialen
Ausschluss, der passiert, wenn ein Mensch, der wenig Geld hat, es sich nicht
mehr leisten kann, etwa einmal im Monat Freunde zum Essen einzuladen.
Soziale Isolation macht krank. Dieser Gewaltdynamik ausgesetzt -- und Armut
ist eine Form struktureller und kultureller Gewalt -- wäre es doch
wünschenswert, sozialdemokratische, sprich: sozial verantwortungsvolle
Antworten zu bekommen, die eine Perspektive zum Ausbruch aus dieser
Gewaltspirale anbieten.

Ja bitte, wenn doch die Frau Rendi-Wagner Gesundheit als hohes Gut
einschätzt, ist es denn dann zuviel verlangt, erfahren zu wollen, mittels
welchen Wegen die Sozialdemokratie Menschen aus Armut und Armutsgefährdung
herausholen möchte? Es ist ja nur wegen der Gesundheit.

Angesichts der Statistiken der österreichischen Armutskonferenz ist es eine
wenig durchdachte Bobo-Debatte, sich mittels Rauchverbotsideen
Popularitätswerte sichern zu wollen. Das geht uns am "Oasch vorbei", weil
wir schon lange nicht mehr auf der "Insel der Seligen" leben, schon lange
nicht mehr die Situation haben, dass jeder und jede genug Geld zum Leben und
ein Dach über dem Kopf haben können muss.

Kreisky ist schon lange tot. In bezug auf seine Nachkommen in der
Sozialdemokratie hätte er wohl nicht die allerbeste Meinung. Vielleicht
würde er aber auch nur altersweise brummen: Dann sollen sie halt Kuchen
essen.
*rosalia krenn, wutbürgerin*



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