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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 13. Juni 2019; 18:24
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> Ezzes für die Sozialdemokratie

Eine Presseschau

"Es ist -- wieder einmal -- notwendig, daß sich die Linken in dieser Partei
an einen Tisch setzen und über die SPÖ und sich selbst reden. Für alle --
linke Jugendorganisationen, die 'Altlinken', '68er', Randgruppenstrategen,
grüne Rote und marxistische Einzelkämpfer -- stellt sich gleichermaßen die
Notwendigkeit, die anderen über ihre Sicht der Verhhältnisse in der SPÖ zu
informieren und mit ihnen über strategische Vorstellungen zu reden. Wir
werden versuchen, die Sache in die Hand zu nehmen und eine repräsentative
Konferenz der SPÖ-Linken im September dieses Jahres in Wien organisatorisch
vorbereiten zu helfen."

Bevor jetzt jemand fragt, wann und wo diese Konferenz genau stattfindet: Sie
ist schon vorbei. Das war nämlich vor fast vier Jahrzehnten in der
Zeitschrift "Tribüne" zu lesen. Zur "Diskussion innerhalb der kritischen
Mitglieder der SPÖ" hatten damals aufgerufen Josef Hindels, Josef Cap und
Hannes Swoboda (Tribüne, Mai/Juni 1980). Den zitierten Text verfaßte Manfred
Matzka -- der nur 14 jahre später dagegen klagte, in seiner Funktion als
Flüchtlings-Sektionschef als "Vollzugsgehilfe" von Innenminister Löschnak
bezeichnet zu werden, der ein "Regime der Inhumanität und
Menschenverachtung" führe. Und der dann zu jeder Regierung ein treuer,
loyaler Beamter war und jetzt Berater einer etwas rechtslastigen
Bundeskanzlerin ist.

Neugründung?

Naja, damals war Kreisky auf dem Höhepunkt seiner Macht und die Linke in der
Partei machte sich genau keine Sorgen um Wahlerfolge sondern um Inhalte. Was
waren das für Zeiten! Noch weiter zurückführen möchte die Partei allerdings
Rudi Fußi im "Standard". Nämlich zurück bis zur Parteigründung:
"Die SPÖ braucht einen Neuanfang. Das gelingt nur, wenn man sich eingesteht,
dass der eingeschlagene Weg jetzt zu Ende ist. Dazu gehört auch Ehrlichkeit
zu sich selbst und Respekt. Jeder hat gesehen, dass Pamela Rendi-Wagner eine
wirklich tolle Expertin und dann auch Gesundheitsministerin war.
Erfrischend, kompetent, locker, sympathisch. Und heute sieht man diese
Pamela Rendi-Wagner nicht mehr. Das fällt auf. Aber jetzt sind Diskussionen
über die Parteispitze außer kontraproduktiv nur noch ein Verstoß gegen den
einst so heiligen Grundwert Solidarität. Personen sind in dieser Situation
weniger wichtig als der Einstieg in den Neustart.
Langfristig gesehen ist es auch völlig irrelevant, wie die Nationalratswahl
im September ausgeht. Es geht um Einsicht und daraus resultierende Taten.
Der Neustart ist notwendig, wenn die Partei eine relevante Kraft werden oder
ihren völligen Absturz doch noch verhindern will. Mut zur Langsamkeit. Das
nimmt auch den Druck raus. Sie braucht einen starken Impuls, der sie zur
Veränderung zwingt und einer Rosskur unterzieht. Das kann niemand aus dem
bestehenden Apparat sein. Und es muss natürlich glaubwürdig sein. Oder
zumindest so gut gemacht wie bei Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron in
Frankreich. Letzter Rat: Ehrliche Einsicht. Glaubwürdige Umkehr. Wirkliche
Neugründung. Auf nach Hainfeld!"

Denn -- so Fußi:
"Selbst im Hainfelder Programm war man klarer bei Fragen, die bis heute
ungelöst sind. Stichwort: Erbschaftssteuer, Senkung indirekter Steuern,
Kapitalbesteuerung. Die SPÖ erfüllt das Bedürfnis jener, die nicht mehr an
diesen Casino-Kapitalismus glauben und einen wirklichen Gegenentwurf wollen,
in keiner einzigen Sekunde.
Es gibt 1,5 Millionen in Armut lebende Menschen in Österreich, für die es
eine persönliche Katastrophe ist, wenn die alte Waschmaschine kaputt wird,
weil sie sich keine neue leisten können. 1.500.000 Menschen. Können sich
keine Waschmaschine leisten. Keine Waschmaschine! Und das in einem der
reichsten Länder der Welt.
Und dann will mir noch irgendjemand, der sich nicht der völligen
Lächerlichkeit preisgeben will, erklären, dass dieses System eh
funktioniere?"

Die SPÖ müsse dazu "Nein!" sagen: "Die SPÖ hat ihre historischen Verdienste
erbracht, für die ihr alle Österreicherinnen und Österreicher zutiefst
dankbar sein müssen. Aber: Nein. Wo bleibt das wirklich entschlossene Nein?
Warum hat die SPÖ Angst, das Scheitern dieses Systems zu benennen? Warum hat
die SPÖ nicht viel öfter genau dieses Nein gesagt? Dieses System will
niemand. Niemand. Einfach nochmal die Fakten lesen und sagen, wo da ein
Fehler sein soll. Da ist kein Fehler. Dieses System ist der Fehler. Und eine
politisch gesunde Sozialdemokratie müsste diesem System den Kampf ansagen
und die Komplizinnenrolle abgeben. ... Nimm dir die Zeit, die es braucht!
Parteien denken immer nur an die Schlagzeile von morgen, an den nächsten
Wahltag, der nie weit entfernt ist. Wir leben in einem System, das
jahrzehntelang Fehlleistungen produziert und zu gewissen Haltungen geführt
hat. Das kann man nicht in drei oder acht Jahren drehen, das wird ebenso
Jahrzehnte dauern. Aber: Man muss endlich anfangen, daran zu arbeiten. Und
wenn man einmal erkennt, dass die entscheidenden Wahlen erst in zehn oder 15
Jahren anstehen, dann kann man sich Zeit lassen, Programm, Personen
auszuwählen und einen echten Neustart zu wählen."
https://derstandard.at/2000104533605

Blöd halt, daß es die KPÖ schon gibt. Und blöd, daß am Hainfelder Parteitag
schon jene Kräfte rausgelehnt worden sind, die dieses Stehen am Krankenbett
des Kapitalismus vermiest hätten. Aber prinzipiell keine schlechte Idee, das
mit der Neugründung -- nur das es eben nicht die SPÖ sein wird, die sich
neugründen kann.

Und ob das auch nur rein taktische Nacheifern der Kampagnen von Kurz oder
Macron gut ist für die Seele der Partei, ist stark zu bezweifeln. Mit
Kapitalismuskritik ist es wohl nicht so richtig kompatibel.

Spaltung?

Realistischer ist da schon Katharina Mittelstaedt (ebenfalls im Standard).
Ihr Vorschlag einer Kur ist allerdings nicht weniger radikal, sie empfiehlt
die Spaltung:
"In den wesentlichen politischen Fragen kann es die SPÖ den urbanen Linken
und der pragmatischeren Arbeiterschicht nicht gleichzeitig recht machen -
und das wird sich auch nicht mehr ändern. Hinzu kommt, dass eine regional
differenzierte Politik durch soziale Medien nicht mehr möglich ist. Jeder
kann auf Facebook nachlesen, was die SPÖ Langenzersdorf plant. Dazu müssen
dann auch alle Sozialdemokraten stehen können. Was man daraus schließen
muss? Will die SPÖ wieder ein Profil entwickeln, könnte sie eine der beiden
Gruppen aufgeben und den politischen Gegnern überlassen. Der andere ehrliche
Weg wäre eine Spaltung. Denkbar ist eine gewerkschaftlich organisierte
Partei, die Interessen von Arbeitern und Arbeitnehmerinnen vertritt und all
jene früheren Wähler zurückholt, die inzwischen bei der FPÖ oder der neuen
Volkspartei gelandet sind. Der urbane linke Flügel könnte sich in einer
Bewegung zusammenschließen, die Studenten, Künstler und Bourgeoisie
anspricht und auch Grün- und Neos-Wähler gewinnt."
https://derstandard.at/2000104640729

Aber in Wirklichkeit ist ja wohl schon alles verloren, wenn man annimmt, daß
der urbane Flügel als "links" bezeichnet werden kann, wenn dieser nicht für
Arbeiter und Arbeiterinnen sondern für NEOS-Wähler attraktiv wäre.


Einfach nicht mitgemacht haben!

In der Zürcher WoZ fragt Kaspar Surber, warum die Schweizer SP vom
allgemeinen Niedergang der europäischen Sozialdemokratie so wenig betroffen
ist:
"Fast scheint es, als neige sich das 20. Jahrhundert erst jetzt seinem Ende
zu. Als verschwände die Idee der sozialen Gerechtigkeit, das Versprechen
einer Gesellschaft, an der alle die gleiche Teilhabe haben: umgesetzt nach
dem Zweiten Weltkrieg im Aufbau des Sozialstaats. Zumindest wirken die
Parteien, die dieses Versprechen so lange programmatisch vertreten haben,
nur noch wie ein Schatten ihrer selbst. In Deutschland rutschte die SPD bei
der Europawahl unter zwanzig Prozent. ... In Frankreich ist der einst stolze
Parti Socialiste sogar unter zehn Prozent gefallen, in Grossbritannien fehlt
Labour im Brexit-Drama eine internationale Perspektive, in Italien kommt der
Partito Democratico kaum gegen einen immer aggressiver auftretenden
Nationalismus an. Selbst jene Linken, die den sozialdemokratischen
Reformismus schon immer als Teil des Problems kritisierten, dürften kaum
Freude empfinden. Die Lage ist dramatisch."

Aber eben: "Bemerkenswert in dieser Situation ist der Zustand der SP in der
Schweiz. Als eine der linksten sozialdemokratischen Parteien in Europa ist
sie stabil. Sicher, die SP war in diesem stockbürgerlichen Land stets weit
von einer Mehrheit entfernt und konnte deshalb profilierter auftreten. Doch
machte sie auch einiges richtig: Just in den Jahren, in denen Schröder
Tieflöhne ermöglichte, lancierten die Gewerkschaften in der Schweiz
Kampagnen für Mindestlöhne, die dank Gesamtarbeitsverträgen in vielen
Branchen Realität wurden. Die SP unterstützte sie. ... All das gilt es zu
bedenken, wenn derzeit einige liberale ExponentInnen die Partei verlassen
und ihr ideologische Verbohrtheit vorwerfen. Gerade weil die SP von links
angetrieben wurde, hat sie mitgeholfen, die soziale Gerechtigkeit durch die
Zeit zu retten. Im Interesse der Leute mit den tiefen und mittleren
Einkommen - auch jener, die als MigrantInnen häufig nicht stimmberechtigt
sind."
https://www.woz.ch/1923/krise-der-sozialdemokratie/von-wegen-von-gestern

Hm! Ja, die Schweizer SP steht stabil bei 19% bei den Wahlen -- in der
Schweiz ist sie damit aber zweitstärkste Partei hinter der SVP in einem
Nationalrat mit 11 Parteien. Und natürlich ist das Schweizer Wahlsystem
genauso speziell wie die Etablierung der direkten Demokratie. Dennoch hätte
die Schweizer SP ein Vorbild sein können -- allerdings hätte man sich da
nicht von "New Labour" und "Agenda 2010" inspirieren lassen dürfen. Jetzt
ist es wahrscheinlich zu spät, diese Wendungen wieder rückgängig zu machen,
auch für die österreichische Sozialdemokratie. Da hätte man beizeiten -- und
deswegen das erste Zitat in dieser Presseschau -- sich als Linke in der
Partei mehr reinhängen müssen, als die Welt noch rosarot aussah. Aber wenn
diese Linke sich dann so entwickelt wie ein Matzka oder ein Cap darf man
sich nicht wundern. Und das Jahr 1980 kommt halt nicht mehr wieder.

Zusammenstellung: -br-



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