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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 18. April 2019; 03:56
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Denkmalschutz/Glosse:

> Kultur zwischendurch

Reden wir über Kultur. Jegliche bisher bekannte Kultur war die Kultur der
herrschenden Schichten. Auch die allergrößte Sauerei firmiert noch immer
unter "Erhaltung, Rettung und Verbreitung der Kultur". Kultur ist eine
ideologische Klammer, mit der die bürgerliche Gesellschaft ihre Herrschaft
nicht allein durch bloßen Zwang erzeugen muss. Sie erzeugt Konsens durch
"Hegemonieapparate", wie Erziehungs-, Bildungssysteme und eben auch "Kultur"
(vgl. Gramsci). "Unsere Kultur", damit können wir uns alle identifizieren.
Was zu "unserer Kultur" genau gehört, darüber lässt sich streiten - aber es
ist "unsere Kultur", "unser Weltkulturerbe".

Wer nicht dazu gehört, ist Teil der "Unkultur". In der harmlosesten Form:
Wer Notre Dame beleidigt, beweist seine "Kulturlosigkeit". In der
gefährlicheren Form, will man "unsere Kultur" anderen aufzwingen. Damit
wurde noch jeder Raubzug der Geschichte gerechtfertigt. Sei es pax romana
oder die Kirche in Südamerika - stets wollte man den "armen Wilden" und/oder
"Barbaren" unsere Kultur aufzwingen. Und auch dem entstehenden Proletariat
verkaufte man die Disziplinierung für den kapitalistischen Arbeitsprozess
als kulturelle Errungenschaften. Wollte der "Proleten-Pöbel" nicht pünktlich
zur Arbeit erscheinen? Wagte er es den blauen Montag zu feiern? Eine
Unkultur! Er wurde bestraft mit Auspeitschung, Brandmarkung und
zehntausenden Hinrichtungen (siehe "Blutgesetze"). Stets galt dabei: "Hände
falten, Goschn halten". Eine wahre kulturelle Leistung, die uns da "Gott,
Staat und Kapital" beschert hat!

Und doch, obwohl man den "Proleten-Pöbel" Kultur - im wahrsten Sinne des
Wortes - einpeitschte: Eine Arbeiterin, die in die Oper geht? Für die feine
Gesellschaft bleibt sie immer nur eine Proletin. Niemals werden die "oberen
Zehntausend" sie als gleichwertig betrachten. Mag sie noch so eine Kennerin
der Oper sein.

Wie sehr Symbole der "Kultur" dem Machterhalt und hegemonialer Ansprüche
dient, sieht man gerade an Notre Dame, wenn Macron den Wiederaufbau zu
"unserem Schicksal" und zur nationalen Pflicht erklärt. Wenn Macron die
Wahlen gewinnt, dann, weil sich nun alle dem nationalen Ziel unterordnen.
Und obwohl diese Ideologische Klammer vereint, so trennt sie doch
fundamental. Dank einer achtlos weggeworfenen Zigarette musste Macron nicht
die sozialen Erleichterungen anzukündigen - gerade noch rechtzeitig, stand
er doch schon kurz vor einer Staatsansprache (nein, das soll keine
Verschwörungstheorie sein, er hatte einfach Glück). Und dank des
"Weltkulturerbe" verschwindet auch die Sozialhilfe aus der Diskussion. Was
sind schon Hundertausende SozialhilfeempfängerInnen gegen eine Kirche?! Wir
müssen da schon Prioritäten setzen!

Kultur ist immer hegemonial. In einer freien Gesellschaft, dort wo Menschen
sich frei und selbstbestimmt ihr Leben organisieren gibt es nicht Kultur und
Un-Kultur. Die unterschiedlichsten Lebenskonzepte werden nebeneinander
existieren können. Es braucht keine ideologische Klammer einer "gemeinsamen
Kultur", um einen Zusammenhang künstlich herzustellen.

*Stefan Steindl *

Unter Verwendung eines Flugblatts des Revolutionsbräuhofs von 2001:
https://www.docdroid.net/MMxguPL/rbh-kultur-und-warum-wir-in-einer-klassenlosen-gesellschaft-keine-brauchen-2001.pdf


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