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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. März 2019; 18:45
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Zum Attentat in Christchurch:

> Das Weltbild des mutmaßlichen Attentäters

Wie medial kolportiert, hat der mutmaßliche Attentäter auf zwei Moscheen in
Christchurch, Neuseeland, kurz vor der Tat ein Manifest online gestellt, in
welchem er über seine Motive Auskunft gibt. Angesichts zahlreicher
Medienanfragen (und interessierter rechtsextremer Umdeutungsversuche)
versuchte das *Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands* eine
Analyse:
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Das Manifest greift Rahmungen auf, die in vielen Ländern Europas inzwischen
in den politischen Mainstream Einzug gefunden haben: es sei ein Krieg der
Kulturen im Gange; über "mass immigration" und die höheren Geburtenraten von
MigrantInnen finde ein Austausch der Bevölkerung statt, der die angestammte
Population zur Minderheit im eigenen Land zu machen drohe; bei den
Zugewanderten handle es sich um Invasoren ("invaders").

Besonders ausgiebige rhetorische und ideologische Überschneidungen liegen
mit "neurechten" Gruppierungen wie der Identitären Bewegung (IB) vor. Schon
der Titel des Manifests, "The Great Replacement", greift die maßgeblich von
dieser popularisierte Figur des "Großen Austauschs" auf, der aktuell in
westlichen Ländern im Gange sei. Im Einklang mit dem identitären
"Ethnopluralismus" bekennt sich der mutmaßliche Attentäter zu ethnischer
Vielfalt, die allerdings nicht innerhalb einzelner Länder, sondern nur im
Weltmaßstab bejaht wird. Anstelle eines Miteinanders der Kulturen im Sinne
diverser Gesellschaften wird ein monokulturelles Nebeneinander propagiert.
Dieses herzustellen, sei eine Frage des ethnischen Überlebens ("matter of
survival"). Neben den "Invasoren" werden auch die vermeintlich
Verantwortlichen für die "Invasion" ins Visier genommen - die Verräter
("traitors") in den eigenen ethnischen Reihen, worunter im Wesentlichen alle
verstanden werden, die an der Idee der Gleichheit aller Menschen festhalten
("egalitarians"). Als hauptschuldig für die von ihm beklagte Situation
benennt der mutmaßliche Attentäter, dem rechtsextremen Hypermaskulinismus
entsprechend, schwache europäische Männer, die sich nicht gegen die von ihm
beschriebene Entwicklung wehren. In mehreren der im Manifest verwendeten
Slogans klingt identitäre Rhetorik wieder: "Europe for Europeans", "Retake
Europe", "Europe rises" u. a. Der identitäre Slogan "You only die once", der
die aus dem historischen Faschismus bekannte Todessehnsucht
bzw. -faszination wiedergibt, kehrt in dem Manifest in der Aufforderung
"embrace death" wieder.

Das Manifest geht gleichzeitig über identitäre Rhetorik hinaus: der
Verfasser bekennt sich als Faschist und Rassist und nennt als seinen
theoretischen Hauptbezugspunkt den britischen Faschistenführer Oswald
Mosley. Antifa und KommunistInnen werden als "anti-white scum"
charakterisiert. Das Manifest verwendet mehrfach das in Neonazikreisen
beliebte Symbol der schwarzen Sonne. Seine politische Zielsetzung fasst der
mutmaßliche Attentäter in den "14 words" zusammen, die das Credo
US-amerikanischer Rassisten ("white nationalists") darstellen.
Dementsprechend nehmen das Konzept der Rasse und die Wahrnehmung eines
vermeintlichen "white genocide" in den Ausführungen des Manifests einen
zentralen Stellenwert ein. Insbesondere bekennt der Verfasser sich offensiv
zu (extremer) Gewalt als Mittel der Politik. So bringt er einerseits
umfangreiche Repatriierungen der "Invasoren" ins Spiel, betont aber, dass
diese alternativ auch im Wege physischer Vernichtung entfernt werden könnten
bzw. sollten. Als Gruppen, die er aus Europa bzw. den europäisch geprägten
Ländern entfernt haben will, benennt er u. a. explizit auch Roma und
"Semiten". Das Manifest endet mit den Worten "I will see you in Valhalla".

Österreichbezüge tauchen in dem Manifest vereinzelt auf. Der Verfasser
bezieht sich auf die "Türkenbelagerung" Wiens 1683 und nennt Österreich (im
Rahmen einer eher willkürlich anmutenden Aufzählung) als eines der Länder,
in dem der von ihm erhoffte Aufstand seinen Ausgang nehmen könnte. Seine
Ausrüstung für das Attentat hatte der Verfasser mit diversen Namen, Slogans
und historischen Bezügen beschriftet, wie Bilder auf seinem (inzwischen
deaktivierten) Twitterprofil zeigen. Darunter finden sich Bezüge auf Wien
1683 und Ernst Rüdiger von Starhemberg (den "Verteidiger Wiens", dessen Name
auch als Absender im Zuge der Briefbombenattentate der 1990er-Jahre in
Österreich Verwendung fand). Auch Charles Martel und die Schlacht von Tours
732 werden angeführt - historische Bezugnahmen, die sich wiederum unter
Identitären besonderer Popularität erfreuen.

Zentral im Manifest ist die aus der identitären Propaganda bekannte Rhetorik
der letzten Chance: die Katastrophe (der Untergang Europas respektive der
"Weißen" schlechthin) stehe unmittelbar bevor, es sei fünf nach zwölf und
damit höchst an der Zeit, zu handeln. Wie schon Anders Breivik zieht der
mutmaßliche Attentäter aus dieser Darstellung die Legitimation für seine
Handlungen. Darüber hinaus sieht er sich als Widerstandskämpfer gegen eine
Besatzungsmacht ("I believe it is a partisan action against an occupying
force.").

Unter den Beschriftungen der Waffen des mutmaßlichen Attentäters findet sich
auch der Slogan "Here's your migration compact" - eine Anspielung auf den
von ihm offenkundig abgelehnten UN-Migrationspakt.

Anders Breivik wird im Manifest als wesentliche Inspiration der Attacken
genannt. Der Verfasser behauptet, kurz persönlich mit Breivik in Kontakt
gestanden zu sein und sich von den "reborn Knights Templar" (als solcher
hatte sich Breivik verstanden) vorab den Segen für seine Aktion geholt zu
haben.

Wie häufig in zeitgenössischen Einlassungen der europäischen extremen
Rechten ist auch dem Verfasser des Manifests eine Art Islamneid zu
attestieren: zwar werden MuslimInnen als FeindInnen bestimmt, gleichzeitig
aber für ihre Geburtenraten, ihren "social trust" und ihre "strong, robust
traditions" beneidet. ###

Quelle:
http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/maerz-2019/christchurch-das-weltbild-des-mutmaszlichen-attentaeters


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