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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 7. Februar 2019; 03:54
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Glosse:

> Linke für Pranger?

Da sich in der Wiener radikalen Linken in den letzten Tagen eine für mich
erschreckende Anzahl an Leuten offen für den digitalen Pranger gegen
Gewalttäter eingesetzt haben, dort aber eine rationale Diskussion kaum mehr
möglich ist, möchte ich auch etwas zum Thema schreiben:

Ich wurde vor einigen Jahren als Radfahrer von einem Taxilenker völlig
grundlos verprügelt (ich war ihm zu langsam und im Weg und da ich es wagte
auf seine Beschimpfungen zurückzuschimpen...) und ich habe zurückgeschlagen.
Am Ende wurden wir beide angezeigt. Ich fand und finde das unfair und fühle
mich bis heute vom Gericht und vom zuständigen Bewährungshelfer von
"Neustart" zu dem wir beide geschickt wurden, unfair behandelt. Der Täter
kam jedenfalls straffrei davon. Ich hatte damals das Ganze auch auf Facebook
thematisiert, allerdings wäre es mir nicht im Traum eingefallen ein Foto des
Täters oder seinen Namen auf Facebook zu stellen. Wäre es nach meinen
persönlichen Gefühlen gegangen, hätte man den Kerl gerne ein bisschen
foltern oder an den Pranger stellen können. Aber zur Befriedigung
subjektiver persönlicher Rachegefühle ist das Recht eben nicht da. Es ist ja
gerade der Sinn des bürgerlichem Strafrechts, dieses zu objektivieren und
der Rache einzelner zu entziehen. Das muss man nicht gut finden, aber ich
halte es gegenüber spontaner Selbstjustiz für einen Fortschritt und bin
gerade entsetzt, dass dies offenbar in der radikalen Linken in Wien
keineswegs Konsens, ja vielleicht nicht einmal mehrheitsfähig ist.

Wenn ich an meinen damaligen Fall denke, ärgere ich mich immer noch darüber,
wie ich, das Opfer, damals vom Gericht und von Neustart behandelt worden
bin. Trotzdem bin ich froh, dass es irgend eine Form des Versuchs der
Ojektivierung des Konfliktes gab. Es gab keine Zeugen für das Ganze, nur
zwei Aussagen und Zeugen dafür, dass zwei Leute auf der Straße lagen und
aufeinander einschlugen. Was soll man machen? Mir ist es ein höheres Gut, in
einer Gesellschaft zu leben, in der es keinen Pranger mehr gibt und in der
Justiz nicht der Selbstjustiz überlassen wird, als dass meine persönlichen
Rachebedürfnisse befriedigt werden. Im Notfall bin ich da dem bürgerlichen
Recht sogar dankbar, dass es mich vor meinen eigenen Bedürfnissen nach Rache
schützt.

Wir können gerne darüber diskutieren, wie wir diese bürgerliche Justiz als
Linke weiterentwickeln können und wo diese bürgerliche Justiz blinde Flecken
hat, das hat sie nämlich in vielerlei Hinsicht. Ich bin kein Liberaler, der
der Meinung wäre, dass dies der Weisheit letzter Schluß wäre, aber ich will
auch nicht hinter die Errungenschaften der bürgerlichen Justiz zurückfallen
und Pranger und Selbstjustiz das Wort reden. Linke, die dies mit welchen
Argumenten auch immer (und seien es auch wahnsinnig progressiv klingende
feministische Betroffenheitsargumente) tun, sind meines Erachtens regressiv
und gleiten eher ins Mittelalter zurück, als dass sie den Weg in eine
lichtere sozialistische Zukunft beschreiten!
*Thomas Schmidinger*


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