**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Januar 2019; 19:11
**********************************************************

> Neujahrsrundblick

Auch 2019 herrscht der ganz normale Wahnsinn

Die österreichische Politik ist im Augenblick schwer ernsthaft zu
kommentieren -- zu stakkatohaft wird da Unfug verzapft, um da noch etwas
Sinnvolles zu sagen. Irgendwie hat man den Eindruck, als hätten
Adventpunschstände, Weihnachtsgelage und Silvesterfeiern ganz schlimme
Schäden verursacht. Die FPÖ wirft der Caritas vor, geldgierig zu sein, und
behauptet, Rot-Grün sei in Wien eine "Fremdherrschaft" (4), und der
Bundeskanzler beschwert sich darüber, daß die Wiener nicht früh genug
aufstehen -- da sind selbst die Witze von Satirikern und Karikaturisten eher
flau, weil die Aussagen einfach zu jenseitig sind.

Sozialhilfegesetz

Details gehen da oft verloren. Die NGO epicenter.works hat in einer
Aussendung darauf hingewiesen, daß die beiden geplanten Grundsatzgesetze zur
Sozialhilfe auch datenschutzrechtlich problematisch sind (siehe Kasten).
Aber auch sonst kann man bei manchen Kleinigkeiten nur den Kopf schütteln.
Da ist zum Beispiel diese Passage: "Leistungen der Sozialhilfe sind
ausschließlich österreichischen Staatsbürgern, Asylberechtigten und im
Übrigen nur Fremden zu gewähren, die sich seit mindestens fünf Jahren
dauerhaft tatsächlich und rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Vor Ablauf
dieser Frist sind aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger und deren
Familienangehörige österreichischen Staatsbürgern nur insofern
gleichzustellen, als ein Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe mit
unionsrechtlichen Vorschriften unvereinbar wäre und dies im Einzelfall nach
Anhörung der zuständigen Fremdenbehörde (§ 3 NAG) festgestellt wurde."
(Ministerialentwurf § 4. (1) Sozialhilfe-Grunsatzgesetz)

Da wissen die Legisten ganz genau, daß diese Bestimmung EU-rechtswidrig ist.
Aber anstatt eine EU-konforme Lösung ins Gesetz zu schreiben, verweist man
auf Einzelfallprüfung -- nach dem Motto: Wems nicht paßt, der kann sich ja
einen Rechtsanwalt engagieren. Irgendwann landet diese Passage
wahrscheinlich vor VwGH, VfGH oder EuGH -- die dem Gesetzgeber wohl
bescheiden werden, daß er wohl wo angrennt sein muß. Bis dahin kann man aber
die Leute papierln. Aber sowas hat ja in Österreich Tradition und ist keine
Novität der Basti-Bumsti-Regierung.

Oder die Bindung der Sozialhilfe an ausreichende Sprachkenntnisse -- was hat
das mit Bedüftigkeit zu tun? Und ist das irgendwie mit EU-Recht oder auch
dem österreichischen Minderheitenschutz vereinbar? Nun, man spielt da über
Bande: Wer nicht ausreichend Deutsch (oder interessanterweise Englisch)
kann, wäre nicht bereitgewesen, sich soweit zu integrieren, daß er am
Arbeitsmarkt vermittelbar wäre. Daraus bastelt man eine Arbeitsunwilligkeit
und damit einen Grund, die Sozialhilfe zu verweigern.

Auch nicht unspannend ist die zeitweilige Verweigerung der Sozialhilfe für
Haftentlassene -- einmal abgesehen davon, daß das eine aufgelegte
Antirehabilitationsmaßnahme ist und einfach nur zu mehr Kriminalität führen
wird, muß man sich wirklich die Erläuterung auf der Zunge zergehen lassen:
"Der temporäre Ausschluss bestimmter Straftäter von Leistungen der
Sozialhilfe ist als Nebenfolge einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe vorgesehen, um im Falle des Bezugs von Sozialleistungen auch
für den Fall einer bedingten Nachsicht der gesamten oder eines Teiles der
Strafe eine adäquate öffentliche Sanktionswirkung zu gewährleisten." Mit
anderen Worten: Hier wird Strafrecht im Sozialrecht verankert. Das ist quasi
indirekte Klassenjustiz: Straftäter, die kein dickes Bankkonto haben, werden
noch einmal abgestraft. (1)

FPÖ-Videos

Die neueste Folge der "Hubers", wo HC Strache als Ersatz-Christkind für die
"Stille Nacht" sorgt, weil mehr Polizisten patroullierten und weniger
Migranten ins Land gelassen würden, war ja an Jenseitigkeit kaum zu
übertreffen und wurde auch dementsprechend rezipiert. Etwas untergegangen
ist dabei allerdings das Video seines Regierungskollegen Herbert Kickl. Denn
dieses Mehr an Polizisten braucht halt auch wirklich Menschen, die diesen
Job machen wollen. Dazu hat der Gaulreiter ein audiovisuelles Machwerk
produzieren lassen, wo man sich schon fragt, ob die Regie nicht doch von
jemanden geführt worden ist, der diese Regierung nicht gar so wohlgesonnen
ist. Zuerst sieht man eine Frau im Kino, der offensichtlich fad ist. Dazu
kommt eine Off-Stimme, die sie fragt, ob sie statt eines Hollywood-Streifens
nicht lieber ein spannendes Leben hätte. In der nächsten Einstellung sieht
man die selbe Frau in Polizeiuniform -- als Leiterin eine völlig jenseitigen
Einsatzes: Ein Mann und eine Frau streiten sich lautstark auf offener
Straße. Polizei kommt dazu und sorgt dafür, daß die Situation eskaliert. Die
Frau in Zivil wehrt sich gegen die offensichtlich unnötige Einmischung der
Polizei, wird dafür an die Wand gedrängt und mit Achtern am Rücken
geschlossen -- die frischgebackene Polizistin hat damit ihr Abenteuer.
Botschaft: Komm zur Polizei, da kannst du was erleben!

Ja, der dargestellte Einsatz war sehr realistisch -- so überzogen handelt
unsere Polizei oft genug. Aber auch im Innenministerium ist offensichtlich
jemandem klar geworden, daß das nicht wirklich gut kommt -- wenn man das
Facebook-Video, das mit den Slogans "Bring deine Karriere in Uniform" und
"Deine Rolle ist spannender als ein Hollywood-Streifen" beworben wurde,
jetzt auf Google sucht, landet man hauptsächlich bei toten Links.
Übriggeblieben sind davon nur eine Presseaussendung und eine Kurzfassung auf
Youtube (2).

Süßes Europa

Neujahrsansprachen des Bundespräsidenten gehören zur Folklore des 1.Jänner
wie das entsprechende Konzert und das Skispringen in Garmisch.
Demenstprechend ernst werden sie genommen. Da kann der oberste Vertreter des
Staates ruhig irgendeinen Topfen erzählen, es kratzt niemand. Von dieser
Möglichkeit macht auch Alexander van der Bellen wieder Gebrauch. Kurz vor
Weihnachten hat sich der Ex-Grüne noch darüber beschwert, daß das Bundesheer
nicht gut genug aus- und aufgerüstet ist, am Neujahrstag versuchte er, die
EU zu erklären. Und zwar hat er sich auf Aufforderung einer Bürgerin dazu
genötigt gesehen, das Tolle an "Europa" so zu schildern, daß es auch ein
Zehnjähriger verstünde, konkret der Sohn der Bürgerin namens Matthias. Das
klingt dann so: "Vielleicht bist du mit deinen Eltern im Sommer schon einmal
zum Meer gefahren und hast am Strand ein Eis gegessen, so süß und bunt wie
das Schoko-Vanille-Erdbeereis, vielleicht ein bisserl salzig vom Meer, so
schmeckt Europa." Oder ein Fußballvergleich: "... so kraftvoll wie ein
Freistoß von Ronaldo oder so elegant wie ein Paß von David Alaba, das ist
Europa."

Öh? Ja? Echt jetzt? Was hat das mit dem europäischen Staatenbund genau zu
tun? Oder soll das einfach ein Äquivalent für dumben Österreich-Patriotismus
sein? Wir laden jetzt die EU mit genau solcher seltsamen Zuneigung für die
übergeordnete Verwaltungseinheit auf, wie wir es bisher schon für die
Nationalstaaten getan haben?

Aber die Erläuterungen für jenen Matthias gehen noch weiter -- in der
Schilderung der EU als Friedensunion: "Dein Opa oder Uropa hat
höchstwahrscheinlich noch den Krieg erlebt. Krieg ist, wenn alle böse
aufeinander sind und irgendwann niemand mehr weiß, warum."

Für wie blöd hält BP vdB eigentlich diesen Matthias? Und für wie blöd hält
er die erwachsene Bevölkerung? Für Krieg gibt es wohl andere Gründe als
"böse aufeinander" zu sein und diejenigen, die die Heere befehligen, wissen
genau, warum. Und das sollte eigentlich auch der BP, immerhin
Oberbefehlshaber des Bundesheeres, wissen. Er sollte auch wissen, daß die EU
eine deklarierte Rüstungsunion ist und ein nicht unerheblicher Teil der
österreichischen Exportgüter Waffen sind. Das weiß er auch. Er weiß auch,
daß EU-Staaten ihre Kriege halt nicht mehr in Europa führen, sondern
anderswo. Aber das erwähnt er halt nicht, weil daß den kleinen Matthias
wahrscheinlich verstören würde -- und in seiner Entwicklung zum Österreich-
und Europa-Patrioten behindern könnte.

Unbewaffnetes Wien

Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus. Womit wir bei Michael Ludwig wären.
Der fordert ein Waffenverbot für ganz Wien. Klingt gut. Wer kann da was
dagegen haben? Nur: Wenn man von Waffen redet, denken die meisten an
Handfeuerwaffen. Und die darf man sowieso nicht ohne Waffenpaß führen.
Folgerichtig wären die Besitzer von Waffen, die dafür eine Genehmigung
besitzen -- wie zum Beispiel Polizisten --, von solch einem Verbot
ausgenommen. Bleibt also nur ein Verbot von Pfeffersprays und Gaspistolen.
Aber darum geht es gar nicht. Sondern auch um Gegenstände, die "den
Umständen nach dazu dienen, Gewalt gegen Menschen oder Sachen auszuüben",
wie das ÖVP und FPÖ nur für bestimmte Orte in Wien fordern -- zum Beispiel
den Praterstern. Dazu sollen auch Taschenmesser zählen. Nach dieser
Definition kann man so ziemlich alles als Waffe definieren -- vom
Regenschirm bis zum Nagelknipser. Es wäre eine Carte Blanche für jeden
Polizeieinsatz.

Ludwig: "Das respektvolle und friedvolle Zusammenleben der Menschen in
unserer Stadt ist mir als Bürgermeister natürlich besonders wichtig. Wien
gilt jetzt schon als eine der sichersten Großstädte der Welt. Grund dafür
ist die hervorragende Arbeit der Wiener Polizei und ein strenges
österreichisches Waffengesetz. Die Wienerinnen und Wiener sollen und müssen
sich natürlich im gesamten Stadtgebiet sicher fühlen. Daher fordere ich,
dass die geplante Verordnung der Waffenverbotszonen wenn überhaupt auf das
gesamte Wiener Stadtgebiet ausgeweitet werden soll."

Vielleicht wollte er damit vorführen, wie absurd ein sektorales Waffenverbot
angesichts dieser Definitionen ist und die Sportschützenverbände zum
Widerstand mobilisieren. Aber ich befürchte, daß dem so eben nicht ist.

Seltsam ist nur, daß trotz aller Bemühungen der neue Bürgermeister von der
Krone nicht hofiert wird. Im Gegenteil, Innenressortchef Pandi empfielt in
seiner Kolumne den Sozialstadtrat Peter Hacker für höhere Weihen in der SPÖ
und wird in einem Tweet sogar recht konkret: "Frage, die @SP_Wien oder
@raphstar [Anm.: Raphael Sternfeld, Kommunikationschef SP Wien] beantworten
könnten: Wie müsste das jetzt formal (Fristen, Statuten, Gremien etc.)
ablaufen, damit Michael Ludwig durch Peter Hacker vor den LTW in den
Funktionen ersetzt werden kann?" (3)

Da soll sich wirklich noch einer auskennen...
*Bernhard Redl*



(1) Alles nachzulesen unter:
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/ME/ME_00104/index.shtml
(2) https://www.bmi.gv.at/news.aspx?id=6858486969396749444E773D
und https://www.youtube.com/watch?v=DVg1TQBzTkk
(3) https://twitter.com/Claus_Pandi/status/1085053523119738882
(4) https://www.vienna.at/gudenus-will-rot-gruene-fremdherrschaft-ueber-wien-beenden/6059486

*

Kasten:

> Sozialhilfe-Statistikgesetz: Datenschutz gibts nur für Reiche

Am 10. Jänner 2019 endete die Begutachtungsfrist zu zwei neu geplanten
Gesetzen, nämlich dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz und dem
Sozialhilfe-Statistikgesetz. Beide Gesetze richten sich gegen Minderheiten
und lassen die Intention vermuten, Menschen bewusst aus der Sozialhilfe
drängen zu wollen und aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer
Minderheitengruppe zu durchleuchten. Das Ziel ist erkennbar: Es soll weniger
Geld an Personen fließen, die nicht österreichischer Herkunft sind oder die
einer Gruppe gesellschaftlich marginalisierter Menschen angehören. Dazu sind
alle Mittel recht, was auch aus einer Datenschutzperspektive problematisch
ist.

Geplant ist, viele personenbezogene Daten von Soziahilfe-EmpfängerInnen vom
Bund an die Länder und von den Ländern an den Bund zu übermitteln. Das
soll - so das gewünschte Ziel - die Vergabe dieser Leistungen optimieren. Es
ist aber nicht nur problematisch, dass die Daten nicht anonymisiert sind,
sondern auch, welche Daten an wen übermittelt werden. Die Hauptkritikpunkte:
- Die Zwecke der Verarbeitung der Daten von Sozialhilfe-EmpfängerInnen geht
weit über die Zwecke der Statistik hinaus.
- Der Bund hat keine Kompetenzgrundlage für die Vollziehung der Sozialhilfe
und handelt hier also verfassungswidrig.
- Die Daten, die übermittelt werden müssen, sind teilweise nicht genau
definiert.
- Es gibt keine Einschränkung der Behörden, die diese Daten übermitteln
müssen. Datenschutz ist für Personen, die Sozialhilfe beziehen nicht
vorgesehen.
- Die "Staatsbürgerschaft der Eltern" ist für die Sozialhilfe irrelevant.
Die Staatsbürgerschaft kann hinsichtlich Sozialhilfe nur bei den
AntragstellerInnen selbst von Bedeutung sein.
- Eine Datenschutzfolgenabschätzung fehlt gänzlich.
(epicenter.works/gek.)

Die detaillierte Stellungnahme von epicenter.works zum Ministerialentwurf:
https://epicenter.works/document/1496



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.



*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW