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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Januar 2019; 19:24
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Lateinamerika:

> Wohin geht Bolivien?

Statt nur zwei Amtszeiten strebt Evo Morales nun eine vierte als President
an -- ob das demokratisch, rechtlich oder moralisch zulässig ist, ist
Gegenstand heftiger Diskussionen.
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Am 29. Oktober 2019 werden im "Plurinationalen Staat Bolivien"
Präsidentschaftswahlen stattfinden. Und bereits jetzt wird kontrovers
diskutiert: Nachdem im Jahr 2017 das Plurinationale Verfassungsgericht
grünes Licht gegeben hatte für die Kandidaturen von Evo Morales und Álvaro
García Linera, genehmigte das Oberste Wahlgericht nun am 5. Dezember 2018
mit vier Ja-Stimmen und zwei Gegenstimmen, dass sich die offizielle
Doppelspitze der Partei ,Bewegung zum Sozialismus' MAS (Movimiento al
Socialismo) zur Wiederwahl stellen darf.

Die Verfassung aus dem Jahr 2009 sagt allerdings in ihrem Artikel 168, dass
die Amtszeit des Präsidenten fünf Jahre beträgt und dass der Präsident oder
die Präsidentin und der jeweilige Vizepräsident oder die Vizepräsidentin nur
einmal unmittelbar im Anschluss an diese Amtszeit wiedergewählt werden
dürfen. Um dies zu umgehen, sind der aktuelle Präsident Boliviens und sein
Vizepräsident jedoch vor das Oberste Wahlgericht gezogen und haben sich auf
Artikel 23 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention bezogen, in dem es um
politische Partizipationsrechte geht. Dort wird angeführt, dass alle
Bürger*innen das Recht hätten, in regelmäßig stattfindenden Wahlen zu wählen
und gewählt zu werden, sofern es sich um allgemeine, gleiche und geheime
Wahlen handele, in denen garantiert sei, dass durch freie Meinungsäußerung
der Wille der Wähler*innen zum Ausdruck gebracht werden könne. Außerdem
müsse jede*r unter gleichberechtigten Bedingungen Zugang zu den öffentlichen
Ämtern des Landes haben.

Es wäre die vierte aufeinanderfolgende Amtszeit von Morales. Die dritte
wurde ermöglicht mit der Begründung, dass die erste Amtszeit des Präsidenten
vor der Verfassungsänderung des Plurinationalen Staates Bolivien im Jahr
2009 gewesen sei.

Morales und Linera sind der Meinung, ihrem politischen Recht auf eine
Kandidatur würden Steine in den Weg gelegt. Die Gesamtheit der Gesetzestexte
besteht aus Verträgen, Menschenrechtsabkommen sowie der Verfassung. Deshalb
denken die Regierungsmitglieder und das Oberste Wahlgericht, dass die
Konvention der Organisation Amerikanischer Staaten und der ihr
angegliederten Organisationen über der Plurinationalen Verfassung stehe -
und, wenn notwendig - Artikel 168 verfassungswidrig sei.

Nichtregierungsorganisationen reichen Klage ein

Die bolivianischen Nichtregierungsorganisationen ,Stiftung zur Beobachtung
von Menschenrechten und Justiz' (Fundación Observatorio de Derechos Humanos
y Justicia) und ,Stiftung der Menschenrechte' (Fundación de los Derechos
Humanos) haben bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte
CIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) Klage eingereicht. Sie
argumentierten, dass die Kandidatur antidemokratisch und verfassungswidrig
sei. Noch hat sich die Kommission diesbezüglich nicht geäußert, sondern um
Zeit gebeten, um die Situation zu analysieren.

Auf internationaler Ebene hat das konservative Forum IDEA (Iniciativa
Democrática de España y las Américas) an die Organisation Amerikanischer
Staaten und die EU appelliert, präventive Maßnahmen zu ergreifen gegenüber
dem, was sie als Bruch der verfassungsmäßigen und demokratischen Ordnung
Boliviens bezeichnet. Bei IDEA handelt sich um eine Gruppe, in der sich 37
Ex-Regierungschefs zusammengeschlossen haben, die sich gegen die Regierungen
des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts richten. Dieser Appell
wurde unter anderem unterzeichnet von José María Aznar und Felipe Gonzáles
aus Spanien, Fernando de la Rúa aus Argentinien, Vicente Fox aus México,
Andrés Pastrana und Álvaro Uribe aus Kolumbien y Mireya Moscoso aus Panama.

Es sei daran erinnert, dass am 21. Februar 2016 in Bolivien ein
verbindliches Referendum durchgeführt wurde, in dem die Bevölkerung darüber
abstimmte, ob Evo und García Linera sich abermals als Kandidaten für die
Präsidentschaftswahl aufstellen lassen durften. Die Bürger*innen lehnten
dies knapp ab. Seinerzeit ging man in Bolivien auf die Straße, es gab
Streiks und Kundgebungen sowohl dafür als auch dagegen.

Was die Opposition angeht, so ist diese eher heterogen und gruppiert sich um
den Ex-Präsidenten und Kandidaten des Parteienbündnisses Comunidad
Ciudadana, Carlos Mesa, der laut Umfragen der stärkste Gegner von Morales
sein wird.

Mangel an Selbstkritik

Adriana Guzmán von der feministischen kommunitären Bewegung Boliviens hebt
hervor, dass die liberale Demokratie nicht nur die Kandidatur der aktuellen
Regierungsmitglieder erlaubt habe, sondern auch die von Carlos Mesa. Mesa
war Vizepräsident in der Regierung von Sánchez Lozada im Jahr 2003, als sich
der ,Gas-Krieg' zutrug (für den Sánchez Lozada verurteilt worden ist, Mesa
jedoch nicht); ebenso wie die Kandidatur von Victor Hugo Cardenas, der wegen
Korruption angeklagt ist, und die von Oscar Ortiz, der rassistische Reden
hält und Teil der rassistischen Kundgebungen im Jahr 2008 war.

Nach Ansicht der Feministin hat aber die von der MAS betriebene Durchsetzung
ihrer Kandidaten bei den sozialen Organisationen eine symbolische Bedeutung,
da Evo sein Wort gebrochen hat, sich nicht zur Wiederwahl zu stellen, wenn
das Referendum zu seinen Ungunsten ausfällt. Zum anderen zeige es, dass er
nicht aus den lateinamerikanischen Prozessen gelernt hat, in denen Wahlen
mit Kandidat*innen durchgeführt werden, die der Gesellschaft aufgedrängt
wurden und nicht aus ihr entstanden sind. Als Beispiele nennt sie
Argentinien mit dem ehemaligen Regierungskandidaten Scioli, Venezuela und
Brasilien. Die sozialen Bewegungen, so Guzmán, seien nicht gegen diese
Leute, wohl aber gegen den Hochmut und die Art der Durchsetzung der
Kandidat*innen.

Unter diesen Voraussetzungen steht ein Wahljahr an, in dem die Regierung
zwar die Mittel, nicht aber ausreichende Kraft aus den sozialen
Organisationen hat, während die Rechte weiterhin rassistische und
gewalttätige Plattformen finanziert, folgert Adriana Guzmán. Und aus einer
feministischen Perspektive verhielten sich diese Herren wie Menschen, die
alles dürften und sich schließlich auch als Kandidaten aufstellen lassen
könnten - die aber unfähig zu jeglicher Art von Selbstkritik seien und zu
der Möglichkeit, an andere Wege zu denken. Dies, so Guzmán, führe
letztendlich zur Zermürbung, Polarisierung und zu sozialer Konfrontation. Es
bleibt abzuwarten, wie die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
sich äußert und man muss sehen, wie die gesellschaftliche Reaktion im
Wahljahr sein wird.
(Andrea Jarowisky, 17.12. 2018, marcha noticias/poonal, gek.)

Volltext:
https://www.npla.de/poonal/wahlen-2019-wohin-geht-der-weg-fuer-bolivien/



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