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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 5. Dezember 2018; 20:49
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Ö/Schwarzblau/Recht:

> "Eine rein technische Adaptierung"

ÖVP/FPÖ hebeln den Rechtsstaat aus. Die Regierung versucht sich zu
ermächtigen, die Verwaltung auf Grundlage nicht beschlossener Anträge im
Nationalrat auszuüben, berichtet *Lukas Wurz* auf reflektive.at am
25.November. Siehe dazu auch Update im Nachspann.

*

"Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt
werden", bestimmt Art. 18 Abs. 1 der österreichischen Bundesverfassung. Für
den Bereich des Sozialversicherungsrechts gilt das demnächst möglicherweise
nicht mehr. Mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschloss der Nationalrat am 22.
November folgenden Gesetzestext: "Vorbereitungshandlungen, die im Hinblick
auf erst in der Zukunft liegende Gesetzesänderungen im Bereich der
Sozialversicherungsgesetze erforderlich sind, können bereits vor dem
In-Kraft-Treten des jeweiligen Bundesgesetzes durchgeführt werden, wenn
andernfalls eine fristgerechte Umsetzung nicht möglich wäre und der
Gesetzesvorschlag bereits in parlamentarischer Behandlung steht."

Was das heißt? Staatliche Verwaltung muss nicht mehr unbedingt auf Grundlage
beschlossener Gesetze erfolgen. Es reicht bereits ein Gesetzesantrag, der in
den Nationalrat eingebracht, aber nicht beschlossen wurde. Damit ist ein
Grundpfeiler demokratischer Rechtsstaaten ausgehebelt: Das
Legalitätsprinzip. Die Regierung hat nun eine Generalermächtigung, im
Bereich der Sozialversicherung ohne gesetzliche Grundlage zu agieren. Das
erinnert in fataler Weise an das sogenannte Kriegswirtschaftliche
Ermächtigungsgesetz 1917, das die Regierung Dollfuß im März 1933 dazu
nutzte, um die Demokratie in Österreich abzuschaffen.

Der konstruierte Notstand.

Das Gesetz sei "eine rein technische Adaptierung", meinte der
FPÖ-Abgeordnete Neubauer bei der Antragseinbringung im Nationalrat. Und
ÖVP-Klubobmann Wöginger erklärt den wahrscheinlichen Verfassungsbruch zur
Notwehrmaßnahme der Bundesregierung: "Wir sind als Regierungsparteien
regelrecht aufgefordert, zu solchen Mitteln zu greifen, weil wir
verpflichten müssen, dass Daten eingemeldet werden. Wissen Sie, was die
Realität ist? - Derzeit ersucht das Ministerium um Einmeldung der Daten im
Zusammenhang mit der Sozialversicherungsreform und es gibt derzeit
Sozialversicherungsträger, die sich weigern, diese Daten einzumelden. So
weit sind wir in dieser Republik gekommen. Daher müssen wir diesen
Abänderungsantrag einbringen, damit es zur Einmeldung dieser Daten innerhalb
von 14 Tagen kommt."

Wöginger unterschlägt den ZuhörerInnen jedoch, dass es einen guten Grund
gibt, warum Sozialversicherungsträger diese Daten nicht "einmelden". Für das
"Ersuchen" des Sozialministeriums gibt es keine gesetzliche Grundlage. Die
Sozialversicherungsträger sind keine Verwaltungseinrichtungen der Regierung,
sondern Selbstverwaltungskörper. Sie dürfen nur jene Daten an die Regierung
weiterzugeben, für die es auch eine gesetzliche Grundlage gibt.

Das Wögingersche Notwehrkonstrukt gefährdet Demokratie- und Rechtsstaat.
Einerseits sieht gerade der von diesem Antrag ausgehebelte Artikel 18 der
Bundesverfassung vor, was im Fall einer Ausnahmesituation zu passieren hat,
und andererseits liegt selbstverständlich keine Ausnahmesituation vor. Ob
die von der Regierung angestrebte politische Umfärbung der
Sozialversicherung ein paar Monate früher oder später umgesetzt wird, ist
aus staatsrechtlicher- und demokratiepolitischer Sicht irrelevant. Weder hat
eine spätere Umsetzung wirtschaftlich negative Folgen noch ist die
Demokratie oder die Weiterexistenz der Republik in Gefahr. Dennoch
verschafft die Mehrheit der Nationalratsabgeordneten der Bundesregierung
eine Generalermächtigung, ohne gesetzliche Grundlage zu regieren und am
Sozialversicherungssystem nach ihrem Dafürhalten herumzudoktern.

.mit Hintergedanken

Zudem gäbe es auch unproblematische Wege, zu den gewünschten Daten zu
kommen: Die Sozialversicherung könnte per Gesetz zur Übermittlung der Daten
verpflichtet werden. Auch das kann verfassungsrechtlich bedenklich sein,
aber es hebelt kein Grundprinzip der Bundesverfassung aus. Einigermaßen
erstaunlich ist, dass die Bundesregierung das offenkundig weiß und daher in
den zweiten Satz des Gesetzes schreiben ließ: "Insbesondere haben die
Versicherungsträger auf Verlangen der Aufsichtsbehörde innerhalb einer Frist
von 14 Tagen dieser die Zahl der pflichtversicherten Dienstnehmer/innen zu
einem bestimmten Stichtag in der von der Aufsichtsbehörde geforderten Form
zur Verfügung zu stellen."

Und damit wird es endgültig spooky: Der zweite Satz des Gesetzesantrags
verdeutlicht, dass es nicht allein um die Frage einer Datenweitergabe geht,
sondern auch um anderes. Sonst wäre der gesamte erste Satz, der pauschal
alle "Vorbereitungshandlungen" ohne gesetzliche Grundlage ermöglicht,
nämlich unnötig. Und auch das Wort "insbesondere" im zweiten Satz zeigt,
dass es auch um andere geplante oder denkbare "Vorbereitungshandlungen"
gehen könnte. Die Parlamentsmehrheit der ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten hebelt
also wissentlich Artikel 18 der Bundesverfassung aus, um der Regierung auch
zukünftig und in anderen Fällen die Möglichkeit zu verschaffen, ohne
Gesetzesbeschluss "Vorbereitungshandlungen" setzen zu können. Tatsächlich
also handelt es sich bei der beschlossenen Regelung um ein
"Ermächtigungsgesetz": Die Regierung soll für noch unbekannte und rechtlich
unbestimmte Fälle das Recht erhalten, ohne Rücksicht auf geltende Gesetze
handeln zu können.

Verfassung biegen, bis sie bricht

Neben der Aushöhlung des Legalitätsprinzips gibt es noch zumindest drei
weitere verfassungsrechtlich fragliche Aspekte in diesem Gesetz:

* Es ist gar nicht klar, was genau unter dem Begriff "Vorbereitungshandlung"
zu verstehen ist. Als Begriff kommt es ausschließlich in Strafgesetzen vor.
Und auch die Judikatur verwendet es fast ausschließlich in Verbindung mit
dem Strafrecht.

* Völlig unbestimmt ist auch, welche Gesetzesvorschläge
Vorbereitungshandlungen auslösen können und wie weit Vorbereitungshandlungen
gehen können. Da das Gesetz keinen Procedere vorsieht, könnte die
Sozialministerin theoretisch - ohne irgendwen zu fragen - auch einen
Oppositionsantrag dazu "nutzen", willkürliche "Vorbereitungshandlungen" zu
setzen.

* Das Gesetz gibt auch keinen Aufschluss darüber, wann eine "fristgerechte
Umsetzung" als "nicht möglich" zu erachten ist. Das bietet die Möglichkeit,
durch kurze Umsetzungsfristen in Gesetzen so ziemlich jede
"Vorbereitungshandlung" zu legitimieren. Konsequent zu Ende gedacht, müsste
sich eine Bundesregierung gar nicht mehr auf bestehende Gesetze beziehen,
sofern nur ein Gesetzesantrag mit knappen Inkrafttretensfristen im
Nationalrat liegt (und zwar unabhängig davon, ob der Antrag jemals
beschlossen wird, oder nicht). Es überrascht daher auch nicht, dass so
ziemlich alle VerfassungsrechtlerInnen die beschlossene Regelung für
verfassungswidrig halten.

Und wie geht's weiter?

So die am 22. November beschlossene Bestimmung je überhaupt in Kraft tritt,
wird sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vom Verfassungsgerichtshof
aufgehoben werden. Zum einen, weil eine Bestimmung der Bundesverfassung
nicht einfachgesetzlich (also ohne 2/3-Mehrheit) abgeändert werden kann, vor
allem aber, weil eine Änderung der sogenannten Bauprinzipien der
Bundesverfassung nur mit Volksabstimmung, im Falle von Demokratie,
Rechtsstaat, liberalem Prinzip (also Menschenrechte) und Gewaltentrennung
sehr wahrscheinlich gar nicht möglich ist (nach vorherrschender
Rechtsmeinung). Bis dieses Gesetz jedoch aufgehoben wird, ist es als gültig
anzusehen und kann von der Regierung missbraucht werden.

Vor einem Inkrafttreten muss es noch am 6. Dezember vom Bundesrat bestätigt
und in der Folge von Bundespräsidenten geprüft und unterschrieben werden,
ehe es verlautbart werden kann. Sollte dies alles passieren, so tritt es am
Tag nach der Verlautbarung in Kraft. Alle Oppositionsparteien haben
angekündigt, eine Überprüfung durch den VfGH zu unterstützen. Ebenso ist mit
der Einleitung eines Prüfungsverfahrens durch die EU zu rechnen.

Wie lange derartige Verfahren dauern können, ist schwer abzuschätzen. Ein
von Angeordneten initiiertes Prüfungsverfahren gegen das Budgetbegleitgesetz
2003 dauerte acht Monate. So lange oder vielleicht auch länger könnte die
Bundesregierung Zeit haben, mit ungesetzlichen Eingriffen ins Sozialsystem
die Substanz dieser Republik - und dazu zählen Pensionsversicherung,
Krankenversicherung und Unfallversicherung nun einmal - einzugreifen und
diese kaputt zu machen. Das wäre dann wirklich ein demokratiepolitischer
Notstand.

http://www.reflektive.at/eine-rein-technische-adaptierung-oevp-fpoe-hebeln-den-rechtsstaat-aus/

*

> Update

Obiger Text stammt vom 25.November. Mittlerweile dürfte auch den
Regierungsparteien klar geworden sein, daß sie da ein wenig übers Ziel
hinausgeschossen haben. Daß dieses Passage nicht in der Regierungsvorlage
vorhanden war -- und daher auch nicht zur Begutachtung auslag -- kann
entweder bedeuten, daß diese Regierung hoffte, eine per Initiativeintrag
reingeschummelte Formulierung würde weniger auffallen, oder, daß die
Nationalratsfraktionen wirklich allzu übereifrig waren. Derzeit dürfte an
einer Reparatur gearbeitet werden, denn der Bundesrat, in dem Schwarzblau
auch eine Mehrheit hat, hat die Behandlung des Pensionsanpassungsgesetzes
verschoben -- nicht am 6.Dezember, sondern in der Sitzung kurz vor
Weihnachten soll die Novelle auf der Tagesordnung stehen. Prinzipiell kann
sich der Bundesrat mit einer Beschlußfassung acht Wochen Zeit lassen.

Mit einer schnellen Reparatur könnten sich die Regierungsparteien auch die
mögliche Peinlichkeit ersparen, daß der Bundespräsident eingreift. Denn da
es sich hier -- von der prinzipiellen Verfassungswidrigkeit einmal
abgesehen -- materiell um eine verfassunsgsändernde Passage handelt, die
aber einfachgesetzlich verabschiedet worden ist, könnte Van der Bellen darin
ein nicht verfassungsgemäßes Zustandekommen des Gesetzes feststellen und
seine Unterschrift verweigern. Auf Anfrage ließ die Präsidentschaftskanzlei
sehr diplomatisch verlauten: "Der Bundespräsident wird das Zustandekommen
des Gesetzes sorgfältig prüfen. Noch ist das Gesetz aber nicht in der
Hofburg eingelangt." (akin)


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