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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. November 2018; 17:25
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Bücher

> Vorwärts zu Kreisky zurück

Markus Gartner:
Politik muss wieder für die einfachen Menschen gemacht werden.
Ein Plädoyer für eine diskursive, pluralistische und solidarische
Gesellschaft und eine neutrale Friedensrepublik Österreich
guernica-Verlag, 2018, 48 Seiten, 3 Euro

Es ist ein nettes kleines Büchlein. "Politik für die einfachen Menschen" --
naja. Hat man schon häufiger gehört. Von so ziemlich jeder politischen
Partei. Aber was heißt das? Was Gartner möchte, ist ein netter und fairer
Sozialstaat. Grundlage sei eine ordentliche Gewaltentrennung und ein Staat,
der mittels Bildung und sozialem Ausgleich für eine faire Basis für
Diskussionen sorgt, die dann wiederum zu gerechten Gesetzen führen. Daß das
aber nicht so ohne weiteres realisierbar ist, weiß Gartner auch: "Wer
hungert, durstet, kein Dach über dem Kopf hat oder über kein geregeltes,
existenzsicherndenes Einkommen verfügt, kann sich nicht auf Diskussionen und
Diskurse einlassen, weil er sich auf seine Existenzsicherung konzentrieren
muss. ... Es kann auch eher als unwahrscheinlich angesehen werden , dass
jemand, der 90-mal soviel besitzt wie der andere am Diskurs Teilnehmende
nicht über mehr Möglichkeiten der Durchsetzung seiner Argumente als diese
andere Person besitzt."

Das ist richtig. Nur: Das Problem bei diesem Büchlein ist, daß es ein
bisserl das Pferd von der falschen Seite aufzäumt. Denn wie soll man bitte
die Gesellschaft dazu bringen, daß diejenigen, die das Sagen haben, darauf
verzichten, wenn man sich nicht dazu zwingt. Nunja, der Autor ist
Religionslehrer und da kann man halt leider kein materialistisches Denken
erwarten -- Kampf von unten gegen die Obrigkeit kommt da einfach nicht vor.
Sein Credo: "Unsere Antwort auf den Hass ist die Liebe." Ist ja ganz lieb.
Aber wird sich irgendwas ändern, wenn die "einfachen Menschen" ihren
Nächsten lieben? Kaum. Damit kann man zwar das "divide et impera" bekämpfen,
was sicher eine gute Idee ist, aber solange es eben diejenigen gibt, die
das -zigfache von Otto Normalverbraucher haben, wird die das nicht
kratzen -- zumindest nicht solange, wie Nächstenliebe nicht heißt, daß die
Besitzenden ihre Besitztümer hergeben. Oder sollen wir von unten die
Obrigkeit lieben? Nein, das bringts wohl auch nicht, solange diese Liebe
nicht erwidert wird und diese Erwiderung auch materielle Auswirkungen hat.

Vieles an der Kritik Gartners ist dabei völlig richtig. Vor allem seine
Geiselung des Nanny-States, der immer am Besten weiß, was gut für uns ist,
ist sehr erfreulich -- ihm geht es da vor allem um seiner Meinung nach
überschiessende Gesetze im hochpersönlichen Bereich wie Jugendschutz, Tabak-
und Cannabisverboten oder das Zunichtemachen der von den "1968ern zum Teil
durchgesetzten sexuellen Befreiung". Ein politisch korrekter Grüner ist also
wohl nicht.

Und: "Damit sich die Menschen frei entfalten können, braucht es aber neben
der Reduzierung von Vorschriften und Verboten auch ein Bildungssystem, das
für eine umfassende Allegmeinbildung sorgt und kritische Reflexion fördert,
und einen Sozialstaat, der für sozialen Ausgleich, Chancengleichheit und der
Schaffung von Möglichkeiten sorgt. Der Staat muss daher mehr Geld für das
Bildungssystem und den Sozialstaat ausgeben, wenn er die freie Entwicklung
seiner Bürgerinnen und Bürger fördern will." Ja, schon, denkt sich der
Rezensent, aber warum sollte der Staat das wollen?

Was Gartner gerne hätte, wäre sowas wie Kreisky plus Grundeinkommen -- nur
halt demokratischer. Aber wie dahin kommen? Nun, neben Liebe und Solidarität
fällt ihm schon noch ein Mittel ein: Er will eine Bewegung gründen. Hmpf,
denkt sich der Rezensent, das hatten wir doch schon ein paarmal. Ja, Gartner
betont auch selber, daß sich sowas nicht so einfach aus dem "Boden stampfen
oder mittels sozialer Medien herbeischreiben" ließe. Aber irgendwie klein
beginnend von unten sollte das ja möglich sein, so Gartner. Und irgendwann
sollte man dann als Bewegung bei Wahlen kandidieren und alles ändern. Ja,
eh...

Es ist ein mutiges Büchlein, eine freche Schrift, wo man sich denkt, ja,
warum soll man nicht ein bisserl naiv sein und schreiben, wie man die Welt
gerne hätte -- auch wenn es unrealistisch ist. Nur leider wollte der Autor
wohl gleichermassen zuviel und zuwenig -- zum einen will er nur mittels
Liebe die Welt oder zumindest Österreich verändern, zum anderen schon auch
einen repressiven Staat, der das tut, was diese Bundesregierung auch will:
"Diese Arbeitsmigration muss im Großen und Ganzen gestoppt werden, damit es
nicht zu sozialen Verwerfungen kommt. Österreichische Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer müssen am österreichischen Arbeitsmarkt bevorzugt werden."
Hm... Wie paßt das zusammen mit Gartners Losung: "Unsere Antwort auf den
Egoismus ist die Solidarität." Gilt das nur national? Ja, es bedarf einer
Kritik der Migration als Werkzeug der Ausbeutung. Aber "Solidarität" ist das
halt nicht, wenn das zur Folge hat, daß man die Grenzen schließt oder
Ausländer am Arbeitsmarkt diskriminiert.

Sorry, nein, es war einen Versuch wert, aber dieses Büchlein ist leider
weder Fisch noch Fleisch, weder realpolitisch noch visionär. Immerhin, es
war doch wert, gedruckt zu werden, und zwar wegen des selbstironischen
Covers. Dort sieht man den Autor abgebildet im Blauhemd, mit allen möglichen
Abzeichen an der Brust von kommunistisch über sozialdemokratisch bis
christlich, in der einen Hand eine Autobiographie von Bruno Kreisky, in der
anderen eine rotweißrote Fahne mit Friedenstaube und das alles vor dem
Hintergrund der drei Pfeile der Sozialdemokratie -- die alle auf den Autor
weisen. Das hat was. Schließlich zeigt es doch, daß der Autor auch ein wenig
über sich selbst lachen kann. Und das ist viel wert!
*Bernhard Redl*



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