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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. April 2018; 19:49
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Bücher:

> Der letzte Zar

György Dalos:
Der letzte Zar. Der Untergang des Hauses Romanow.
Verlag C. H. Beck, München, 2017
231 Seiten, ISBN 9783406713675, 22,95 EUR.

1917 wurde die Zarendiktatur gestürzt. 1918 wurde der letzte Zar Nikolaj II.
in Jekaterinenburg vor dem Hintergrund des eskalierden Bürgerkriegs getötet.
György Dalos, Autor vieler historischer Studien, aber auch Romane,
analysiert die Hintergründe , wie es dazu gekommen ist.

Rund um den 17. Juli, dem hundertsten Jahrestag des Todes des Zaren, wird es
in Rußland jede Menge idealisierende "Erinnerung" und Kitsch geben. Auch
international wird es nicht an einer großen Portion Unsinn und viel
Weihrauch fehlen. Um so wichtiger, sich ernsthaft mit dem realen Geschehen
auseinanderzusetzen.

Dalos hat die Faktenlage gründlich studiert- auch auf Grund seiner
Sprachkenntnisse war ihm dies möglich. Er entwirft ein realistisches Bild
des letzten Romanow, fern jeglicher Schönfärberei und nachträglicher
Stilisierung.

Nikolaj war seiner Rolle als "Zar aller Reußen" nicht gewachsen. Ihm fehlte
es an den erforderlichen politischen und militärischen Kenntnissen und der
benötigten Willensstärke. Als etwa der Krieg mit Japan drohte, traf er
gänzlich widersprechende Entscheidungen (S.41ff). Dalos attestiert ihm, auch
während der Revolution 1905 eine "beinahe physische Unfähigkeit
Entscheidungen zu treffen und dann deren Konsquenzen auch bis zum bitteren
Ende zu tragen (S.61)." Er unterzeichnete zwar das "Manifest", das den Weg
für die Duma (ein sehr zusammengestutztes "Parlament") ebnet, sucht aber
gleichzeitig einen "Bluthund" (S.73), der einen Staatsstreich vollzieht und
eine Militärdiktatur errichtet. Schließlich schaßt er im April 1906 den ihm
treu ergebenen und von "feudalen Urmythen nicht gefeiten" (S.76)
Ministerpräsidenten Sergej Witte.

Nikolaj war "abergläubisch und fatalistisch" (S. 75), er neigte zum
"Mystizismus" (S.78). Als er durch die Revolution aus der Bahn geworfen und
in depressiver Stimmung war, trat Rasputin in sein Leben. Da der Thronfolger
Alexej an der unheilbaren Bluterkrankheit litt und während der Präsenz des
"Wunderheilers" sich Besserungen des Gesundheitszustands des über alles
geliebten Sohnes ergaben, wurde der Kontakt zu Rasputin immer enger und nahm
zunehmend auch politischen Charakter an. Der kaum schreibkundige Wandermönch
nahm für den Zaren (und dessen Gattin) schon sehr früh eine "Art geistiger
Beschützerfunktion wahr" (S.118).

Trotz der allseits bekannten Saufgelage, Bordellbesuche und der
"Zimmerbesuche" von Rasputin bei den Töchtern des Zaren hält Nikolaj weiter
fest zu ihm. Seine Ermordung im Dezember 1916 erschüttert ihn zutiefst.

Da Nikolaj von Militaria nur wenig Ahnung hat, fungiert er im Ersten
Weltkrieg als "ratloser Kriegsherr." (S. 149 ff). Dennoch kührt er sich
schließlich selbst zum Oberbefehlshaber der Armee... Mit feiner Ironie
schildert Dalos wie der Zar trotz schwerer militärischer Rückschläge als
"gemütlicher Weltverteiler " (S. 162 )agiert.

Nikolaj verstand auch die anstehende Revolution 1917 nicht. Als ihm ein
enges Familienmitglied den Ernst der Situation darlegte, schwieg er einfach
und "rauchte weiter" (S. 174).

So nuanciert mitunter die Analysen von Dalos sind, so merkwürdig
oberflächlich und unhistorisch ist das Schlußkapitel "Die Tragödie des
Bürgers Romanow" (S.185 ff). Die Tötung Nikolajs wird kaum in den
historischen Kontext gestellt, obwohl der Autor selbst darlegt, daß die
Weißen "immer näher an die "Hauptstadt des roten Urals" heranrückten
(S.201). Dalos, der ansonsten an mehreren Stellen die französische
Revolution 1789 zu Vergleichen heranzieht, unterläßt dies hier. Ludwig XVI
landete nicht zuletzt deshalb auf der Guillotine, weil er zum
Kristallisationspunkt der Konterrevoution werden konnte. Ebenso bestand 1918
die Gefahr, daß der Zar zur Projektionsfläche der Weißen und ihrer
imperialistischen Verbündeten würde.
*Hermann Dworczak*



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