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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. März 2018; 04:39
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Serbien/Frauentag:

> Der Krieg ist heimgekehrt

Am 8.März war Internationaler Frauentag. In Serbien gibt es da noch weniger
zu feiern als bei uns. Frauenorganisationen sehen Frauen nach wie vor hoher
Gewalt ausgesetzt. Sehr häufig führt sie zum Tod der Betroffenen. Schutz
gibt es kaum, berichtet *Christoph Baumgarten* auf balkanstories.net.
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Ende Februar fiel die 68-jährige J. A. ihren Söhnen zum Opfer. Nach Auskunft
der Organisation Mreze Zene protiv nasilja (Frauen-Netzwerk gegen Gewalt)
war Frau die neunte, die seit Jahresbeginn ermordet wurde. Wenige Monate vor
der Tat war sie vor ihrem älteren Sohn in ein Frauenhaus geflüchtet, später
aber zurückgekehrt. Eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt scheint nicht zu
einem Strafprozess geführt zu haben - zumindest nicht rechtzeitig, um das
Leben der Frau zu retten.

30 Opfer. Jedes Jahr.

Um die 30 Frauen werden jedes Jahr in Serbien ermordet. Das ist fast so viel
wie es männliche und weibliche Mordopfer insgesamt in Österreich gibt.
Österreichs Bevölkerung ist allerdings um ein gut ein Viertel größer als die
Serbiens. Im Großteil der Fälle sind die Mörder Ehemänner oder
Familienangehörige. In der Regel geht den Morden jahrelange häusliche Gewalt
voraus.

Gesellschaftliches Bewusstsein gibt es kaum, sagt Aleksandra vom
Frauen-Netzwerk, als ich sie im Vorjahr auf einem Stand vor dem
geschlossenen Nationalmuseum in Beograd treffe. Auf einem Stand vor der
Reiterstatue sammeln sie und Mitstreiterinnen Unterschriften für eine
Petition. "Wir fordern, dass der 18. Mai zum Nationalen Tag gegen Gewalt
gegen Frauen erklärt wird", sagt Aleksandra.

Der Tag soll kein bloßer Gedenktag werden, fordert das Netzwerk. "Wenn das
umgesetzt wird, sollen Behörden und Regierung an diesem Tag detaillierte
Berichte über Gewalt an Frauen vorlegen." Auch an diesen Informationen
mangle es häufig. Das erschwert den Kampf gegen häusliche Gewalt.

Polizei schaut häufig weg

Ein Pensionist unterschreibt die Petition. Vorher muss er seinen
Personalausweis zeigen. "Wir müssen aus Datenschutzgründen sicherstellen,
dass nur serbische Staatsbürger unterschreiben". erklärt Pedra, eine andere
Aktivistin. "Es sind vorwiegend Frauen, die diese Petition unterschreiben",
beschreibt Aleksandra. "Aber auch viele Männer unterstützen unser Anliegen
und sagen: Da muss was getan werden."

Vor allem die serbische Polizei ignoriert häufig Anzeigen von Frauen wegen
häuslicher Gewalt. Auch Balkan Stories liegen glaubhafte Schilderungen von
Frauen vor, die von ihren Partnern oder Ehemännern geschlagen wurden. Trotz
sichtbarer Verletzungen hat die Polizei ihre Anzeigen nicht entgegengenommen
und sie nach Hause geschickt. Das ist auch nach serbischem Recht illegal.
Konsequenzen hat das in der Regel keine, kritisieren Betroffene und das
Frauen-Netzwerk.

Mörder sind häufig Kriegsveteranen

Außerdem gibt es im ganzen Land nur 26 Frauenhäuser. Frauen können häufig
nur bei Verwandten Schutz suchen - und werden dort von ihren gewalttätigen
Familienmitglieder leicht gefunden.

Ein weiteres Problem führt dazu, dass die Gewalt in regelmäßigen Abständen
eskaliert. "Viele Täter sind ehemalige Kriegsteilnehmer", schildert
Aleksandra. "Sie leiden an einer Posttraumatischen Belastungsstörung." Der
Krieg, so scheint es, ist heimgekehrt. Und wieder sind Frauen die Opfer.

Wie viele Veteranen mit PTSD es gibt, weiß niemand. "Als Gesellschaft sagen
wir uns ja: Wir haben mit dem Krieg nichts zu tun gehabt. Also schaut da
auch keiner hin und die Betroffenen kriegen keine Behandlung", sagt
Aleksandra. Ein Schritt zu besserem Schutz von Frauen gegen häusliche Gewalt
wäre aus ihrer Sicht, dass sich die serbische Gesellschaft endlich der
Verantwortung für den Jugoslawien-Krieg in den 1990-ern stellt.

Auch, dass der 18. Mai Tag gegen Gewalt gegen Frauen wird, hat mit diesem
Problem zu tun. Zwischen 16. und 18. Mai 2015 wurden sieben Frauen in
Serbien ermordet. Sieben innerhalb von nur 72 Stunden. In einem großen Teil
der Fälle waren die Mörder Kriegsveteranen.

Der Unterschriftenstand als Anlaufstelle

Mehrere Frauen haben mittlerweile den Stand umringt. Pedra überprüft ihre
Staatsbürgerschaft und lässt sie unterschreiben. "Einmal die Woche sind wir
hier", sagt Aleksandra. "Wenn man sich anschaut, wie die Behörden versagen
und dass wir die Einzigen sind, die dagegen etwas tun, stehen wir gerne
hier. Es muss etwas passieren."

Der Stand hat sich auch zu einer Anlaufstelle für die Beograderinnen und
Beograder entwickelt. Hierher kommen Opfer häuslicher Gewalt und erzählen
ihre Geschichten - und bekommen Nummern von Anlaufstellen. Mittlerweile
erfüllt der Stand vor dem Nationalmuseum auch eine soziale Funktion, vor
allem für Menschen im Pensionsalter, sagt Pedra. "Ein Pensionist kommt jede
Woche vorbei und erzählt uns, was er in der vergangenen Woche erlebt und
getan hat."

Querulanten sind unvermeidlich. "Ja, wir haben auch die, die zu uns kommen
und sagen: Frauen sollen geschlagen werden." Das seien vorwiegend Männer,
aber erstaunlicherweise gebe es immer wieder auch Frauen, die diese Meinung
vertreten. Aber mit denen werde man fertig.

Mit dem Desinteresse der serbischen Gesellschaft tut man sich um einiges
schwerer. Aber irgendwer müsse was tun, sagen die Aktivistinnen. ###



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