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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 28. Februar 2018; 15:50
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Demokratie/Glosse:

> Sonntagsreden

Für direkte Demokratie fehlt Österreichs Politikern einfach die
demokratische Reife

"Es ist zwar ein Wahltag heute, der viele interessante Aspekte aufwirft,
aber bundespolitisch war ohne Zweifel die Debatte ums Rauchen und das
dazugehörige Volksbegehren und die daraus entstandene Verwicklungen für die
Regierungsparteien das Thema der Woche. Star oder Statist? Welche Rolle
spielt das Volk? Das wollen wir heute besprechen." Und weiter zum "Don't
Smoke"-Volksbegehren: "Das wäre alles gar nicht so aufregend, wenn Rauchen
in Lokalen und die Möglichkeit dazu nicht eine Koalitionsbedingungen der FPÖ
gewesen wäre und jetzt plötzlich in Frage gestellt wird."

Soweit die Einleitung von Tarek Leitner zur Diskussion "Im Zentrum" am
Sonntag im ORF. Eigentlich hätte man sich danach die Diskussion sparen
können, denn damit war schon alles gesagt. Ja, sicher, über die Tiroler
Landtagswahlen zu reden wäre wohl ziemlich fad gewesen und hätte kaum
"interessante Aspekte" aufgeworfen. Denn Tirol bleibt Tirol bleibt
schwarz -- weil es immer schon so war. Ende der Debatte. Also redet man über
Fragen der direkten Demokratie. Das tut man aber eben nicht deswegen, weil
derzeit gleich drei Volksbegehren laufen, sondern deswegen, weil eines davon
die Bundesregierung in die Bredouille bringt.

Wenn dann in der Diskussion immer wieder beklagt wurde, daß das in
Österreich mit der direkten Demokratie vor allem deswegen ein Problem sei,
weil Volksbegehren meistens von politischen Parteien initiiert oder
zumindest instrumentalisiert werden, ist genau das Zustandekommen dieser
Diskussionssendung ein Beweis dafür -- der ORF setzt nicht einfach wegen
eines Volksbegehrens eine Diskussion an. Nein, denn Volksbegehren als solche
sind in Österreich eben scheißegal, relevant betrachten die große Medien sie
nur als dann, wenn politische Parteien oder große Lobby-Gruppen sie
forcieren oder das Begehren sonst irgendwie parteipolitische Bedeutung hat.

Es geht hier um Selbstverstärkung. Wenn in den großen Medien viel über ein
Volksbegehren berichtet wird, unterzeichnen es auch viele Leute.
Unterzeichnen es viele Leute, ist es wert darüber zu berichten. In diesem
Zusammenhang scheint es irgendwie witzig, daß ausgerechnet Eva Dichand, die
"heute"-Chefin, davor warnt, daß mit verpflichtenden Volksabstimmungen auch
über die Mindestsicherung entschieden werden könne und dann eine Mehrheit
eine Minderheit einfach verhungern lassen könnte. Ja, stimmt, so etwas
könnte in Österreich passieren. Nur wieso passiert so etwas in der Schweiz
nicht? Weil dort die Diskussionen über Volksinitiativen, die zu Abstimmungen
führen, medial viel genauer ausgeleuchtet werden. Warum aber passiert das?
Weil das Bedürfnis sich genauer zu informieren dort weit größer ist. Die
Massenmedien sehen einen Markt darin, Volksinitiativen zu thematisieren. Ja,
in der Schweiz ist der Boulevard auch schlimm. Ja, in der Schweiz treiben
Parteien wie die SVP auch Schindluder mit den Instrumenten der direkten
Demokratie. Dennoch werden die politischen Fragestellungen intensiver
diskutiert -- weil eben das stimmberechtigte Volk wissen will, worüber es
abstimmt.

In Österreich wird man halt nur alle paar Jahre gefragt, wie sich
Nationalrat, Landtag und Gemeinderat zusammensetzen sollen. Deswegen sind
Diskussionen auf Parteien fokussiert und nicht auf Inhalte. Und daher
braucht man sich auch nicht zu wundern, wie die Medienlandschaft hier
aussieht -- weder kann der "Falter" der "WoZ" das Wasser reichen, noch die
"Presse" der "NZZ". So rückschrittlich vieles in der Schweiz sein mag,
gerade durch die Möglichkeit, Volksabstimmungen zu erzwingen, ist die
Politisierung des Volkes dort von einer deutlich höheren Qualität.

Erzwingbare Volksabstimmungen sind sicher nicht die Lösung für soziale
Probleme und auch nicht ganz ungefährlich. Immer ist da die Gefahr
vorhanden, daß eine Mehrheit über die Rechte von Minderheiten drüberfährt.
Nur: Das ist in unserer Demokratie, die von sich nicht ganz zu Recht
behauptet, eine repräsentative zu sein, auch nicht ausgeschlossen -- die
schrittweise Demontage eben der Mindestsicherung, wie wir sie gerade jetzt
zu befürchten haben, ist dafür ein gutes Beispiel.

Wir leben in einem Land, dessen Stimmvolk die ÖVP unter der Führung des
Herrn Kurz, der inhaltlich genau gar nichts anzubieten hatte, wieder zu
stärksten Partei gemacht hat. Es ist nur zu verständlich, diesem Volk zu
mißtrauen. Aber wenn man ein politisch interessiertes Volk möchte, dann muß
man diesem auch die Möglichkeit geben, mitzureden. Aber genau davor fürchten
sich die politischen Eliten. Hier sind sich die reaktionären Parteien, die
immer für den Obrigkeitsstaat standen, einig mit Sozialdemokratie und ÖGB,
die von einer josefinischen Grundhaltung geprägt sind.

Das aber stärkt immer wieder den autoritären Charakter im Volk. Da darf man
sich aber auch nicht wundern, wenn -- unabhängig von der parteipolitischen
Relevanz -- ausgerechnet jenes Volksbegehren, in dem es darum geht, daß eine
Mehrheit einer Minderheit etwas verbieten will, jenes ist, das am Stärksten
gehypt wird.

Eine demokratische Gesellschaft hingegen ist auch eine tolerante und
solidarische Gesellschaft, wenn Demokratie nicht als Diktatur der Mehrheit
verstanden wird. Eine tolerante und solidarische Gesellschaft aber gibt es
nur in einer informierten Gesellschaft. Und eine informierte Gesellschaft
gibt es nur, wenn das einzelne Individuum davon überzeugt ist, daß seine
Meinung auch tatsächlich relevant ist.

Vielleicht sind da andere Möglichkeiten der politischen Partizipation
geeigneter als erzwingbare Volksabstimmungen. Nur ist von denen halt auch
weit und breit nichts zu sehen. Demokratie ist in Österreich etwas für
Sonntagsreden. Nämlich für die am Wahlsonntag, wo sich Politiker bei ihren
Wählern für ein Vertrauen bedanken, daß ihnen ihre Wähler eben nicht
geliehen, geschweige denn geschenkt haben. Der gelernte Österreicher wählt
nicht, wem er vertraut, sondern aus lauter Verzweiflung jene Partei, die
gerade als das geringste Übel erscheint.

Österreicher, auch die reaktionärsten, schenken den Parteien und damit dem
Staat höchstens Mißtrauen. Man fürchtet die Obrigkeit vielleicht, kriecht
ihr viel zu oft auch hinten rein, aber man liebt sie nicht. Auf dieser
Grundhaltung läßt sich aufbauen. Vielleicht sogar eine Demokratie.
*Bernhard Redl*



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