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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. November 2017; 23:09
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Leserbrief:

> VdBs Wohlgefallen

Zu akin 23/2017

Aus der Begründung des Aufrufs von SOS-Mitmensch zur Demonstration am 15.
Nov. am Ballhausplatz: Es soll auch ein Signal an Bundespräsident Alexander
Van der Bellen gesendet werden, "dass er standhaft bleiben und nur
vertrauenswürdige Demokratinnen und Demokraten als Ministerinnen und
Minister angeloben soll."

Nun, nach Kaiser Karl I. (und "der Letzte", auch wenn er vom Papst "selig"
gesprochen wurde) -- also seit 1918/1919 -- gilt: eine Bundesregierung
braucht das Vertrauen des (immer noch "geheim") gewählten Nationalrats der
Republik Österreich und NUR dieser Volksvertretung -- und ist Niemandes --
"meine Regierung".

Tatsächlich haben Print- und andere Medien berichtet, VdB hätte gesagt, 2
FPÖ-Herren nicht angeloben zu wollen.

Angeblich hat das BPräs. Klestil schon vorgemacht (bei den Herren Prinzhorn
und Kabas).
Das B-VG bestimmt im Art. 70 (Abs. 2): "Zum Bundeskanzler, Vizekanzler oder
Bundesminister kann nur ernannt werden, wer zum Nationalrat wählbar ist;
[...]". Von des Bundespräsidenten "Wohlgefallen" steht nichts. Die
Verantwortung für die Auswahl des Regierungspersonals müsste sich sonst der
Bundespräsident mit der jeweiligen Regierungspartei fairerweise irgendwie
teilen..., oder?
*Georg Becker*

*

> Jein!

Eine Antwort auf Obiges

Lieber Georg Becker, man kann kritisieren, daß mit der Verfassungsreform
1929 der Bundespräsident wieder wie einst der Kaiser mit der Berufung des
Regierungschefs beauftragt wurde. Allerdings ist es tatsächlich so, daß der
BP eine Mitverantwortung für die Regierung hat -- laut B-VG ist nicht das
Parlament sondern der Bundespräsident berufen, den Regierungschef zu
designieren. Abs. 1 des Art 70 B-VG besagt nämlich auch: "Der Bundeskanzler
und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden
vom Bundespräsidenten ernannt." Warum das im Indikativ formuliert ist,
darüber mögen Historiker, Germanisten und Juristen streiten. Man hätte
natürlich eine Modalkonstruktion nehmen können: Der Bundespräsident "kann",
"soll", "darf" oder "muß" auf Vorschlag des Bundeskanzlers die übrigen
Mitglieder der Regierung bestellen -- man wollte es aber offensichtlich in
der Schwebe halten. Möglicherweise geschah dies, um die "Check and Balances"
zu gewährleisten. Nach gängiger Lehre heißt das aber, daß der
Bundespräsident eben nicht verpflichtet ist, diesem "Vorschlag" Folge zu
leisten. Das ist aber auch nur logisch, denn der Bundespräsident ist nicht
nur der höchste Repräsentant der Republik, er ist auch das einzige vom Volk
gewählte Exekutivorgan -- und deswegen hat er nicht nur das Recht, sondern
sogar die Pflicht, nach eigenem Ermessen zuerst den Regierungsauftrag zu
erteilen und dann die Minister zu bestellen. Das entspricht exakt der
Verfassungsidee und dem Gebot Montesquieus der Gewaltentrennung.

Daß der BP in der Realverfassung eben den sogenannten "Rollenverzicht"
(seltener und veraltet, aber treffender: "Gewaltverzicht") übt und sich
statt an seiner Überzeugung an den Mehrheiten im Parlament orientiert, ist
eigentlich gegen den Geist der Verfassung. Denn das Parlament hat eben nur
ein Vetorecht gegen eine Regierung und selbst dieses ist ein wenig zuviel
des Guten. Schließlich ist der Nationalrat als Legislative gewählt und als
Kontrollorgan der Exekutive, nicht aber als Exekutive selbst.

Die jetzt passierende Regierungsbestellung liegt daher formal voll in der
Verantwortung des Präsidenten. Wenn VdB nun also tatsächlich Minister
ablehnen sollte, kommt er wenigstens ein klein wenig dem offiziellen -- und
nach diesem BP-Wahlkampf auch tatsächlichen -- Wählerauftrag nach. Wenn er
hingegen unhinterfragt angelobt, was ihm "vorgeschlagen" wird, wäre das
Verrat an seinen Wählern. Und damit wirklich undemokratisch. Denn das
Wohlgefallen des Präsidenten sollte nach geltender Verfassungslogik sehr
wohl auch das Wohlgefallen des Souveräns sein, den der Präsident mit seiner
Wahl zu vertreten hat.

Aber brauchen wir so etwas wie einen Präsidenten oder einen Regierungschef
oder sonstige Vater-, Kaiser- oder Führerfiguren überhaupt? Nun, das ist
eine andere Geschichte...
*Bernhard Redl*



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