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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. Oktober 2017; 18:21
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Postelectorales:

> Rätselhafter Wahlausgang

*Albert Reiterer* bringt in seiner Analyse auf Euroexit.org die Ausbeutung
des Trikonts ins Spiel

[...] Der Aufstieg der FPÖ ging weiter. Gespeist wurde er diesmal von der
Rückkehr der Stronach- und BZÖ-Unterstützer. Das dürften, soweit wir wissen,
teilweise Schichten sein, die ans Lumpen-Proletariat grenzen, teilweise aber
auch Leute, die im ländlichen Kleinstbürgertum kulturell verankert sind.
Aber dazwischen lag der große Aufstieg der FPÖ in den Umfragen. Zwei Jahre
lang lag sie stabil an der Spitze. Trauen wir dem einmal - Zweifel sind
allerdings angebracht. Dann müssten wir feststellen: Die Arbeiter sind nicht
zur SPÖ zurückgekehrt, wohl aber Schichten und Gruppen des Kleinbürgertums
zur neuen ÖVP der Kurz', Blümels und Co.

Damit sind wir beim eigentlichen Rätsel dieser Wahl angelangt. Die neue ÖVP
stieg aus der Asche des Beinahe-Zusammenbruchs noch einmal empor. Nun hat
diese Partei und ihre neue Führung fast ein Drittel der abgegebenen Stimmen.
Es ist tatsächlich schwer zu begreifen. Ein erkenntlich hartes neoliberales
Programm mit sozialem Leistungsabbau erhält 36 % der Stimmen älterer Frauen
(ab 60 Jahren). Die müssten doch besonders die bevorstehenden
Pensions-Kürzungen fürchten. Selbst in manchen Arbeiterkreisen soll es
Sympathien für diesen Schnösel mit seinem Arbeitszeit-Verlängerungs- und d.
h. Lohn-Kürzungs-Programm gegeben haben.

Es ist der neuen ÖVP-Gruppe mit ihrer Gallions-Figur offenbar auf eine
paradoxe Weise gelungen, die weit verbreitete Unzufriedenheit mit der
derzeitigen Politik bis zu einem gewissen Grad für sich zu nutzen. Zwar muss
man auch hier etwas relativieren. Die letzten Umfragen vor dem Kurz-Coup
gaben der ÖVP 20 %. Das dürfte die Kernwählerschaft aus altem Mittel­stand,
höheren Angestellten, den wenigen verbliebenen großen Bauern und ähnlichen
Sozial-Charakteren sein. Die gehen durch dick und dünn mit den
Konservativen. Dazu kommen nun rund 12 Prozentpunkte. Hier sind sicher die
Kinder von Maggie Thatcher und (heute nicht mehr Coca Cola sondern) Red Bull
drinnen. Die Ich-Generation glaubt, demnächst zu den Gewinnern zu gehören,
die jetzt noch durch erzwungene Rücksicht eingebremst sind. Man braucht nur
auf den Herrn Blümel hinzuhören. Bei den Neos und bei den Grünen fühlten sie
sich vielleicht noch etwas behindert. Aber das reicht nicht für 12 % aus.
Und, wie gesagt, die Pensionistinnen, bei denen Kurz so Zuspruch findet,
werden mit Sicherheit nicht zu den Gewinnerinnen gehören. Wer sind also
jene, welche den mindestens ebenso großen Rest stellen? [...]

Wir müssen immer wieder darauf verweisen: Der Abbau des Sozialstaats in
Österreich geht nicht in der kämpferischen Weise vor sich, welche die Eliten
der BRD gewählt haben, und die eine Zeitlang dort ja bestens funktioniert
hat. In Österreich hat die politische Klasse eine ganz andere Rhetorik. Hier
heißt es stets, dass der "Sozialstaat gerettet" werden muss, indem man ihn
von ungerechtfertigten Auswüchsen reinigt. Dazu kam in den letzten Jahren
noch der Hinweis auf die Kosten der "Flüchtlinge", also der Immigration.
Beides hat gegriffen. Über­dies war bisher der Sozialabbau tatsächlich
eingebremst. Er hat in erster Linie die Pensionisten betroffen. Auch das
Gesundheitssystem bröselt sehr stark - deswegen hat sich ja in Wien die Frau
Wehsely davon gemacht. Aber bisher hat dies einigermaßen noch gehalten. Die
Pensionisten und vor allem die Pensionistinnen kann man offenbar ziemlich
leicht befriedigen und ruhig stellen, wie sich zeigt. Die Angst und damit
die Unzufriedenheit wachsen zwar, haben aber noch verhältnismäßig wenig an
handgreiflichen Belegen aufzuweisen.

Die Frage ist, ob sich dies in Hinkunft ändert. Es sieht sehr danach aus.
Die jungen Hyänen nicht nur der ÖVP sind ungeduldig geworden. Sie wollen
jetzt endlich Resultate auf der Hand sehen. Aber noch sind wir bei weitem
nicht in Griechenland und werden auch nicht so bald dahin kommen. Wir sind
in einer Situation, die man seinerzeit, vor vielen Jahrzehnten mit
"Arbeiteraristokratie" beschrieben hat. Wir leben ziemlich gut, und zwar
nicht zuletzt von den Billig-Produkten aus China und Vietnam. Mit anderen
Worten: Wir leben stärker von der Dritten Welt als je zuvor. Es gibt Leute,
die dies regelrecht zur Ideologie ausbauen und uns einreden, dies würde auf
Dauer so halten. Sind doch ohnehin nur Kanaken, die dort.

Solange dies aber wirklich hält - und ein paar Jahre wird es schon noch
gehen - dürfte eine Linke in Österreich keine Chancen haben. Wir sind Teil
des Zentrums einer ziemlich brutal globalisierten Welt. Wenn wir auch von
unserer eigenen politischen Klasse, nicht nur den Voggenhubers und Lunaceks,
sondern auch den Swobodas, Leichtfrieds und Doskozils inzwischen zur
politischen Peripherie der BRD, Westeuropas und der NATO gemacht wurden,
noch kommen materielle benefits der zentralen Position auch den
österreichischen Unterschichten zugute. Das ist die eigentliche strukturelle
Erklärung dieses Wahlausganges.

*
Volltext:
http://www.euroexit.org/index.php/2017/10/16/wahlen-2017-in-oesterreich-und-die-linke/



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