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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 28. Juni 2017; 16:07
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Wien/Soziales:

> Wiener Mindesterziehung

"Weil wir die Armut senken und den sozialen Zusammenhalt stärken müssen,
gibt es in Wien keine Kürzungen der Mindestsicherung, sondern Investitionen,
neue Bildungsangebote und neue Strukturen. Vor allem für juinge Menschen."
Ein Sujet mit diesem Text -- mit der Unterschrift "Birgit Hebein,
Sozialsprecherin" wird von den Wiener Grünen im Netz transportiert.

Also wir wollen ja nur ungern die Schriftführerin unseres
Herausgeber-Vereins kritisieren, aber es gibt doch Leute, die das ein wenig
anders sehen. Am detailliertesten beschreibt das Michael Bonvalot auf seinem
Blog: "Nun wird also auch in Wien die Mindestsicherung gekürzt. Konkret sind
folgende Verschlechtungen geplant: Bei jungen Menschen zwischen 21 und 25,
die im Elternhaus wohnen, wird die Mindestsicherung auf 75 % gekürzt. Wenn
die jungen Menschen arbeitslos bzw. nicht in Ausbildung oder einer Schulung
sind, wird der Betrag sogar um die Hälfte auf 50 % gekürzt. ... Auch junge
Menschen zwischen 21 und 25, die allein wohnen, sind von Änderungen
betroffen. Wenn sie sich nicht in Ausbildung oder Beschäftigung befinden,
bekommen sie statt EUR 837,76 nur noch EUR 628,32 (Stand 2017). ...
AntragstellerInnen hätten vier Monate Zeit, Ausbildung, Schule,
Kursmaßnahmen oder Beschäftigung aufzunehmen, andernfalls entfällt die
Ergänzung."

Das klingt dann schon ein bisserl anders -- die Mindestsicherung wird noch
mehr als bisher zur Erziehungsmaßnahme. Was sich auch in anderen Maßnahmen
ausdrückt. Weiter in Bonvalots Zusammenfassung: "AMS-Sperren sollen nicht
mehr durch die Mindestsicherung ausgeglichen werden können. Sanktionen
sollen 'zeitnaher und effektiver' erfolgen. Das deutet auf eine Zunahme von
Sanktionen hin. Der fehlende Ausgleich der meist 6-wöchigen Sperren bedeutet
keinerlei Geld für Lebensmittel, Miete, Energie."

Und auch ansonsten geht es mehr in Richtung Entmündigung: "Geldleistungen
können möglicherweise vermehrt in Sachleistungen umgewandelt werden. Der
diesbezügliche Passus im Text ist etwas unklar: 'Bisher gibt es in der
Wiener Mindestsicherung mit der Energieunterstützung eine konkrete und
sinnvolle Sachleistung, um bei Wohnen und Energie nachhaltig unterstützen zu
können. Aufbauend darauf sollen mit der neuen Wiener Mindestsicherung
weitere Sachleistungen eingeführt werden .'"

Und auch die Rehabilitationsmaßnahmen für chronisch Kranke gehen wohl mehr
in die Richtung "Fit to Work" denn als Akzeptanz, daß manche Menschen
einfach nicht arbeitsfähig sind. Da schimpft Thomas Reitmayer in "Unsere
Zeitung" ganz gehörig und zitiert die von SPÖ und Grünen veröffentlichte
Übereinkunft: "'Umwandlung der Sonderzahlungen für
DauerleistungsbezieherInnen mit befristeter Arbeitsunfähigkeit in ein Case
Management (.) Wer Zugang zu diesen Leistungen erhält, hat keinen Anspruch
auf Sonderzahlungen.' - Das bedeutet in der Realität folgendes: bisher gab
es für Menschen mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit - das sind z.B.
chronisch depressive Menschen usw. - zusätzlich zur Mindestsicherung im Mai
und im September jeweils eine Sonderzahlung, um den erhöhten Mehraufwand
abzufedern, der durch Krankheit entsteht. Mit der neuen Regelung fällt das
komplett weg und wer vorübergehend arbeitsunfähig ist, hat de facto fast
1.500 Euro weniger. Aber hey, dankbar sein! Wir haben ja ein 'Case
Management' - und das wird auch präzisiert: 'Wer vorrübergehend
arbeitsunfähig ist, erhält Zugang zum Case Management der WGKK (Gespräche
dazu werden bereits geführt) und hat damit wieder die Möglichkeit, Anschluss
an den Arbeitsmarkt zu finden.' Aber was heißt das? Ähnlich wie eine
'Einladung' zu einem Verhör bei der Kibarei oder beim AMS, besteht jetzt die
'Möglichkeit', sich ein Packerl Globoli von der Krankenkasse zu holen, damit
man wieder hackeln gehen muss. äh, kann. Die Wiener Gebietskrankenkasse ist
ja sowieso seit jeher für ihre Menschlichkeit und ihre Großzügigkeit
bekannt, da wird einem sicher geholfen."

Etwas trockener faßt das Bonvalots Blog zusammen: "Birgit Hebein von den
Grünen sagt, dass diese Änderung rund 1000 bis 2000 chronisch kranke
Menschen betreffen würde. Diese würden nun Zugang zu Rehab-Maßnahmen
bekommen. Im Gegenzug würden während der Rehab-Maßnahmen die
Sonderzahlungen, also Urlaubs- und Weihnachtsgeld, gestrichen."

Nach all dieser Kritik kann man sicher sagen: Ja, es stimmt -- die Wiener
Regelung ist wahrscheinlich die humanste aller Bundesländer. Grauslichkeiten
wie zum Beispiel in NÖ bleiben verarmten Wienern erspart. Und wahrscheinlich
ist das sogar den Grünen zu verdanken. Aber Jubelmeldungen sind wohl eher
nicht angebracht.
-br-

Zitierte Blogs:
http://www.bonvalot.net/wien-rot-gruen-kuerzt-die-mindestsicherung-875/
https://www.unsere-zeitung.at/2017/06/23/kern-trau-dich-nie-wieder-nach-simmering/

Die koalitionäre Einigung im Wortlaut:
https://wien.gruene.at/soziales/wiener-mindestsicherung-neu/wiener-mindestsicherung-neu.pdf



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