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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. Juni 2017; 19:36
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Demokratie und Wahlen/Glosse:

> Das Volk ist blöd!

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?
(Bert Brecht, 1953)

Ja, schon. Aber! Was ist, wenn das Volk freiwillig Politiker wählt, die die
Abschaffung der Menschrechte versprechen. Nein, da müssen wir nicht nach
Ankara schauen. Da können wir auch den Blick nach England wenden, wo man so
stolz ist ist auf die Magna Carta und die Habeas-Corpus-Akte. Da erklärt die
Premierministerin des Vereinigten Königreichs, daß man die Menschenrechte
"ändern" müßte, wenn sie der Arbeit von Polizei und Geheimdiensten im Weg
steht. Zwei Tage später sind Wahlen und die Tories werden nicht mit nassen
Fetzen davongejagt, sondern -- auch wenn es nach dem seltsamen Wahlrecht der
Briten an Mandaten anders aussieht -- gewinnen sogar noch an Stimmen dazu.

In Frankreich, wo man so stolz auf seine Revolutionen ist und auf die
Tatsache, als erster Staat einen modernen Menschenrechtskatalog codifiziert
zu haben, ist das alles scheißegal in dem Moment, wo ein großer Zampano
daherkommt, der den Ausnahmezustand noch weiter verlängert und ein Parlament
haben möchte, das neue Anti-Terror-Gesetze beschließt, die genau diese
Beschneidung der Grundrechte einzementieren sollen. Denn was passiert jetzt?
Seine größten Fans, die sich zu einer Retortenpartei zusammengeschlosssen
haben und von denen man inhaltlich wenig bis nichts weiß, werden gewählt --
nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen wird wohl eine
Zweidrittelmehrheit in der Nationalversammlung für die "Marschierer" drin
sein. Dafür war es also so wichtig, Le Pen als Präsidentin zu verhindern?

Da kann man dann schon verstehen, warum man den Bloßhaperten aus den
Wüstenländern, die zu uns nach Europa kommen, unsere Werte näherbringen muß.
Weil die wissen ja nicht, daß man bei uns die Unterdrücker wählen darf und
freiwillig auf Menschenrechte verzichtet. Das muß man denen erklären, weil
das ist natürlich für die nicht so leicht zu verstehen.

Da können wir doch froh sein, in Österreich zu leben. Da ändert sich nie
wirklich etwas. Faktisch regiert dieses Land die ÖVP, die sich ständig neu
erfindet und immer wieder ein paar Dumme im Parlament findet, die ihr die
Macht sichern. Mental ist dieses Land noch nie republikanisch gewesen und
man kann schon froh sein, wenn eine Demo, die politisch genau gar nichts
verändert, nicht wegen Verletzung der Autofahrrerrechte untersagt wird. Da
ist die Welt noch in Ordnung und wenn der Innenminister erklärt,
"Sicherheitspolitik" eigne sich nicht als Wahlkampfthema, regt das deswegen
niemanden auf, weil Geschichtsbewußtsein in Österreich so aussieht, daß man
immer noch Metternich nachtrauert. Der Österreicher liest "Krone" und
"heute" und "Österreich" und hält sich für einen wohlinformierten Bürger in
einer gut funktionierenden Demokratie.

Für die gebildeteren Schichten hierzulande gibt es den "Standard" oder die
"Wiener Zeitung". In letzterer erklärte neulich EU-Kommissionspräsident
Juncker, daß "Europa" als Friedensprojekt nur funktionieren könne, wenn es
eine besser Zusammenarbeit bei der Rüstungsindustrie gäbe. Würde Georg
Orwell heute noch leben, könnte er glatt wegen Verletzung seiner geistigen
Eigentumsrechte klagen.

Orwell war Brite. Und sein "1984" spielte in London. In den meisten Analysen
heißt es, er hätte dies 1948 unter dem Eindruck von Faschismus und
Stalinismus geschrieben. Das mag schon stimmen. Dennoch ist die Hauptstadt
des United Kingdoms heute jene Großstadt, in der es die meisten
Überwachungskameras gibt. Orwell wußte wohl auch genau, was er seinen
angeblich so freiheitsliebenden Mitbürgern alles zutrauen konnte.

Das europäische Volk wandert in eine neue autoritäre Ära -- selbstbestimmt
und mit Hymnen auf Demokratie und Menschenrechte auf den Lippen.
*Bernhard Redl*


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