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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 31. Mai 2017; 19:17
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Kommentierte Presseschau

> Starke Männer

"In Zeiten, in denen die Europäer und Amerikaner einen Roosevelt, Churchill,
de Gaulle oder Adenauer brauchen würden, bekommen sie Cameron, Hollande und
Trump. Die amerikanischen und die französischen Präsidentschaftswahlen haben
drastisch vor Augen geführt, wie dünn die Personaldecke für das höchste
Staatsamt selbst in alten Demokratien ist." So schreibt das Stephan Bierling
in der NZZ. "Kraftvolle politische Gestalter haben in diesen Zeiten keine
Konjunktur. Wo Freiheit, Demokratie und Frieden selbstverständlich sind, wo
Selfie, Körperkult und Infantilität dominieren, braucht es keine
Leidenschaft und keine Vision - die wichtigsten Merkmale einer politischen
Führungspersönlichkeit." Und: "In ruhigen Zeiten ist der Mangel an
politischen Führungspersönlichkeiten in den Staaten des Westens kein grosses
Problem. Vollblutpolitiker benötigen sie dann nicht, es reichen Verwalter
der Macht. Aber heute, wo Demokratie, Freiheit und Frieden gefährdet sind,
wo Automatisierung, Robotik und künstliche Intelligenz die Arbeitswelt
revolutionieren, wo Parteien ihre weltanschauliche Bindewirkung verlieren
und Stammwähler aussterben, sind charismatische Politiker nötiger denn je.
Allein sie können die schalen Rezepte der Populisten entlarven, die
verunsicherten Bürger vom Wert der Demokratie überzeugen und den Westen im
Kampf gegen seine Feinde zusammenhalten."

Dieser Kommentar kann sich in einer breiten Öffentlichkeit des Applauses
sicher sein -- auch von links, gerade hierzulande würden viele zur Liste der
hier so vorteilhaften gezeichneten Politiker des 20.Jahrhunderts ganz
selbstverständlich Bruno Kreisky zählen. Aber sollte man da mal nicht kurz
innehalten? War da nicht neulich in den Medien zu lesen, daß sich so
erschreckend viele Prozent der Bevölkerung hierzulande wieder einen "starken
Mann" an der Spitze des Staates wünschen? Natürlich: Interpretiert wird daß
immer so, daß sie einen neuen kleinen Hitler wollten, aber stimmt das auch?
Was wünscht sich dieser NZZ-Kommentator? Charismatiker, die Populisten
entlarven können! Aber was ist denn der genaue Unterschied zwischen
Charismatikern und Populisten? Außer, daß Bierling die einen an der Macht
sehen möchte und die anderen nicht?

Einiges in diesem NZZ-Text ist sicher richtig: "Wer Weltkriege miterlebte,
die Grosse Depression oder den Nationalsozialismus, ... musste den Blick auf
die existenziellen Herausforderungen lenken. Es waren dramatische Zeiten,
die Vollblutpolitiker wie Roosevelt und Co. gebaren, und es waren epochale
Fragen, die sie zu entscheiden hatten." Aber heißt das: Diese Politiker sind
noch durch Stahlgewitter gegangen und wurden so richtig harte Hunde, aber
mit den heutigen verweichlichten Luschen ist kein Staat mehr zu machen?
Wollen wir ausgerechnet mit dem Verweis auf den Schutz der Demokratie wieder
mehr autoritäre Führer? Nein, ich danke, auch wenn das politische Personal
in Österreich und auch sonst in Europa manchmal zum Heulen ist, sind mir die
Luschen dann halt doch noch lieber als neue Fürsten.

https://www.nzz.ch/meinung/ueberfordertes-politisches-fuehrungspersonal-cameron-statt-churchill-ld.1292838

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> Österreich ist in der NATO?

Apropos Stahlhelm-Demokraten: "Der Kurs der NATO kann doch nicht von einer
islamistischen Diktatur bestimmt werden. Die NATO-Führung muss sich
entscheiden: Österreich oder die Türkei. Und ohne Österreich, das für die
Einhaltung der Menschenrechte und für die Verteidigung des Rechtsstaats
eintritt, fällt die politische Legitimation des Nordatlantikpakts weg." So
wird Peter Pilz in der "Krone" zitiert. Na gut, das ist die Krone, da müssen
Zitate nicht ganz korrekt sein. Aber auf Facebook schreibt Pilz: "Die
NATO-Spitze setzt auf Appeasement. Sie hat sich für das islamistische Regime
und gegen ein EU-Mitglied entschieden. Damit stellt sich eine Frage: Was
haben wir noch in dieser NATO verloren, die Kritik am Kurs des türkischen
Führers sanktionieren lässt? Wenn die NATO nach der türkischen Pfeife tanzt,
ist unser Weg klar: hinaus."

Das ist schon bemerkenswert. Ja, natürlich, das mit der Neutralität ist in
Österreich sowieso schon länger mehr Folklore als Realverfassung, aber daß
dieser Staat so richtig in der NATO wäre, ist schon neu. Klar, Österreich
ist spätestens seit der "Partnership for Peace" schwerst mit der NATO
verbandelt. Aber Pilz kritisiert diese Tatsache ja nicht, sondern zeigt sich
bitter enttäuscht über die Politik des Transatlantikpakts. Und nur deswegen
will er raus aus der NATO: "Die Bedeutung eines österreichischen Austritts
liegt in der Sicherheitspolitik: als klares Signal, dass auch in der
Sicherheit die österreichische Zukunft nur in Europa liegt."

Pilzens Schlingerkurs zwischen NATO-Befürworter und -Gegner währt jetzt
schon Jahrzehnte. Mal sah er die Neutralität gefährdet, dann wieder die
militärische Sicherheit und manchmal auch die EU-Mitgliedschaft. Was Pilz
will -- und damit die Grünen, die ihrem Sicherheitssprecher da immer völlig
freie Hand lassen -- ist ein neutrales Österreich in einem neutralen
EU-Militärbündnis, das wiederum Teil einer ebenso neutralen
Menschenrechts-NATO ist. Also warme Eislutscher, frisch aus der Kühlbox mit
Heizspirale. Die Grünen können wirklich froh sein, daß ihre Wählerschaft
sich schon lange nicht mehr für Militärpolitik interessiert.

http://www.krone.at/oesterreich/lopatka-und-pilz-drohen-nato-mit-riesenwirbel-streit-mit-tuerkei-story-571039
https://www.facebook.com/peterpilz/posts/1416236335086842

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> Kurz-Bezeichnung

Auch die ÖVP verwirrt gerade ihren Anhang ziemlich. Ist die Liste Kurz jetzt
noch die ÖVP oder nicht? Nun, trotz der Nebelgranaten wird es wohl immer
noch die selbe ÖVP sein. Schon Wolfgang Schüssel ließ einstens "Die neue
ÖVP" verkünden -- das ist allerdings schon 22 Jahre her, da kann man schon
wiedermal eine Runderneuerung machen. Realpolitisch wird Kurz aber
genausowenig wie Schüssel auf die Bünde verzichten können, sonst hätte er
nicht einmal eine Blasmusikkapelle bei seinen Auftritten in Gigritzpotschn
und Umgebung. Und wenn die Liste Kurz nicht so toll abschneidet, wie die
Umfragen jetzt verkünden, ist der neue Superstar schneller auf einen Posten
als Frühstücksdirektor abgeschoben als er "Raiffeisen" sagen kann -- und die
ÖVP ist wieder die alte.

Allerdings kann die ÖVP sowieso nicht so einfach zur Kurz-Liste mutieren --
weil trotz spendabler Unterstützer "aus der Wirtschaft" wird sie auf das
Staats-Knödel nicht verzichten wollen. Der Standard, 16.5.2017: "Würde Kurz
mit einer Liste antreten, die sich nicht mit der ÖVP identifiziert, fiele
Letztere um die allgemeine Parteiförderung um. Diese bemisst sich am
Wahlresultat - und kann nur an eine angemeldete Partei fließen. Die ÖVP
erhält unter diesem Titel seit der letzten Nationalratswahl 7,35 Millionen
pro Jahr, dazu kommen 2,4 Millionen für die Parteiakademie." Und an der
Wahlurne würde es auch schlecht aussehen: "Kurz & Co würden auf dem
Stimmzettel nicht auf jenem zweiten Platz aufscheinen, den die ÖVP bei der
Nationalratswahl 2013 errungen hat, sondern nach hinten rutschen." Man
stelle sich vor: Irgendwo unten zwischen "TS" und "KPÖ" stünde dann eine
obskure Liste mit der Kurzbezeichnung "LSK" -- ob die den Einzug in den
Nationalrat schaffen würde?

Eigentlich schade, daß sie das nicht machen. Ich tät sonst gleich eine
Partei anmelden, die sich für billigere Öffis einsetzt und Unterschriften
sammeln gehen für diese "Öffentlicher-Verkehrs-Partei". Holpert sprachlich
vielleicht ein bisserl, aber dafür könnte man dann sogar mit einem
Geilomobil Werbung machen! Ja, ich hör ja schon auf...

http://derstandard.at/2000057628698

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> Sobotka-Effekt

"Wirklich gerne scheint über die ganze Geschichte niemand zu reden. Fest
steht: In der Puls-4-Sendung 'Bist du deppert' wurde am Dienstag der
vergangenen Woche eine Parodie auf Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP)
gesendet. Wer diesen Teil nun im Internet nachsehen möchte, hat Pech - denn
aus der Online-Version in der Puls-4-Mediathek wurde der Beitrag
herausgeschnitten."

Warum? "Aus Wolfgang Sobotkas Büro heißt es am Freitag zum STANDARD: 'Wir
haben beim Sender kundgetan, dass wir den Beitrag für unter der Gürtellinie
erachten, weil Familienmitglieder dargestellt werden in einer Art und Weise,
die wir nicht für richtig halten.' Was danach passiert ist, könne man nicht
beurteilen." Das mit den Familienmitgliedern bezieht sich wohl auf Sobotkas
Frau, die, von Gregor Seberg gespielt, allerdings als recht vernünftig und
verfassungsrechtlich versiert dargestellt wird -- im Gegensatz zu ihrem
Mann. Egal, offensichtlich reicht so ein Anruf vom Polizeiminister, um ein
Offline-Stellen auch bei einem Privatsender zu erreichen.

Allerdings leben wir im 21.Jahrhundert. Und da sollte auch der Herr Minister
schon was vom Streisand-Effekt gehört haben. Selbstverständlich läßt sich
das Video noch finden. Kleiner Tip: Youtube aufrufen und nach "puls4 sobotka
zensur" suchen lassen...

http://derstandard.at/2000058305596/
https://kurier.at/kultur/puls4-nimmt-satirebeitrag-ueber-sobotka-offline/266.257.000
https://youtu.be/_Tocdgt4Ukg

*

Zeitungsleser: -br-



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