**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. April 2017; 19:51
**********************************************************

Kommentierte Presseschau:

> Aufstand von oben

Das ist wirklich peinlich. Da gibt es eine Initiative, die sich für eine
andere, erneuerte politische Kultur einsetzt. Auf einem Gruppenphoto lächeln
die Proponenten alle frohgemut in die Kamera. "Initiative für politische
Qualität" nennt sich das Ganze. Wieso das peinlich ist? Weil es nicht
irgendwelche Leute sind, die sich da engagieren wollen, sondern politische
Mandatare von SP, VP, Grünen und NEOS in Nationalrat, Landtagen und
Gemeinderäten -- also Menschen, die eigentlich nichts großartig fordern
müßten, sondern das ganz einfach umsetzen könnten. Theoretisch!

"Der Standard" zitierte diese seltsame Volksvertreterinitiative wie folgt:
"Szenen aus dem Alltag im Parlament, wie ihn Abgeordnete erleben oder
Zuschauer bei TV-Übertragungen von Nationalratssitzungen schon gesehen
haben: 'Man hat bei einer Rede oft das Gefühl, man führt ein Selbstgespräch,
weil im Plenum mitunter bewusst und demonstrativ in der Zeitung geblättert
wird, wenn man gerade redet' (Julian Schmid über Parlamentsreden als junger
Oppositionsabgeordneter). 'Ihr habt vielleicht recht, aber wir haben die
Mehrheit' (Alev Korun über prinzipiell abgelehnte Anträge von
Oppositionsfraktionen). 'Du weißt, dass ich recht habe, aber du stimmst mir
trotzdem nicht zu' (Peko Baxant über nicht unbegründete Vorwürfe von
politischen Konkurrenten, wenn er dem 'Klubzwang' gemäß abstimmt). Die Folge
davon? 'Man hat den Eindruck, dass unsere ganze Berufsgruppe schlechtgemacht
wird, teilweise zu Recht' (Hans Arsenovic)."

Da gibts dann auch eine Site der Initiative mit einer ganz tollen Charta mit
so Forderungen wie: "Eigenständig im Verhältnis zur Regierung", "Offen
gegenüber Öffentlichkeit und Medien", "Ehrlich im Sinne echter Debatten über
die besten Konzepte", etc.

Da stellt man sich doch schon die Frage: Wie daneben ist eigentlich diese
Republik und in welchem Zustand ist dieses demokratische System, wenn schon
Volksvertreter selbst (und sogar solche, die die jeweiligen Regierungen
stützen), eine öffentliche Initiative starten müssen, um eine
Demokratisierung zu fordern? Es ist ja schön, daß da auch Mitglieder der
Koalitionsfraktionen mitmachen, aber eigentlich ist das ein Mißtrauensvotum
gegen ihre eigenen Chefs auf den Regierungsbänken.

Aber das ist auch schon alles, was sie sich trauen -- weil bei mehr
Engagement verlören sie ja umgekehrt das Vertrauen ihrer Chefs und dann
wären sie ihre Jobs nach der nächsten Wahl los.

Derart decouvriert wurde unser politisches System schon lange nicht mehr.

http://derstandard.at/2000055439199
http://politikqualitaet.at/


> Seltsame Mitbewerber und verantwortungsbewußte Medien

Apropos "Standard": Während das Blatt über Österreich wohlwollend von einer
Initiative für mehr Demokratie berichtet, herrscht in der internationalen
Berichterstattung auch weiterhin das Dogma, daß man die "vernünftigen"
Bewerber unterstützen müsse. Denn während in Österreich immer wieder
kritisiert wird, daß ORF und andere Medien bei Wahlen über die jeweiligen
Kandidaturen gewichtet nach deren Etabliertheit berichten, macht sich der
Standard-Korrespondent Stefan Brändle anläßlich der der anstehenden
Präsidentschaftswahlen über die in Frankreich übliche und teilweise
gesetzlich vorgeschriebene Egalität lustig: "Denn auf dieser Spielwiese
kommt es zu dem doch eher kuriosen Umstand, dass unbekannte Kandidaten, die
etwa den Mond industrialisieren wollen (wie Jacques Cheminade) oder sich als
Hirten ausgeben (wie Jean Lassalle), gleichbehandelt werden müssen wie die
seriösen Präsidialfavoriten, von denen einer oder eine das Land fünf Jahre
lang leiten wird. Aber 'égalité' muss in Frankreich sein."

Daß Jean-Luc Mélenchon mittlerweile nach den Umfragen mit den drei anderen
bisher als aussichtsreiche geltenden Kandidaten gleichgezogen hat, ist aber
schon eine Geschichte wert. Aber wie wird er charakterisiert? Als
"Linkspopulist". Und damit wieder einmal in das selbe Eck gestellt wie die
Kandidatin der äußersten Rechten, Marine Le Pen.

Noch deutlicher wird da Stefan Ulrich in der "Süddeutschen Zeitung": "Marine
Le Pen, die Kandidatin der extremen Rechten, und Jean-Luc Mélenchon, der
Bewerber der strammen Linken, verfechten manche gemeinsame Position. Sie
verdammen die Globalisierung, halten wenig von liberalen
Wirtschaftsreformen, wettern gegen Deutschland und verdammen die EU,
jedenfalls in ihrer heutigen Form. Gewiss, Mélenchon ist insoweit
erträglicher als Le Pen, als er nicht gegen Einwanderer hetzt. Ansonsten
aber werben die beiden mit frappierend ähnlichen Botschaften."

Es ist der Aufstand gegen die etablierten politischen Parteien, der hier --
in doppelter Bedeutung des Wortes -- niedergeschrieben werden soll. Denn das
die sozialdemokratisch-konservativ-neoliberale Einheitselite einer
politischen "Mitte", die sich selbst als plural versteht, aber sich auch
immer auf selbst geschaffene "Sachzwänge" ausredet, immer mehr Ansehen
verliert, ist ein Trend, der natürlich auch vor Frankreich nicht halt macht.
Der "Standard" schreibt: "Erfahrene Demoskopen wie Jerôme Fourquet vom
Institut Ifop räumen ein, noch nie hätten sie sich in einer französischen
Präsidentschaftswahl dermaßen im Nebel gefühlt wie jetzt". Das kommt uns
doch von Präsidentschaftswahlen irgendwie bekannt vor...

Ja und es sind genau diese Auguren, die zwar immer mehr ins Schleudern
kommen, weil die Genauigkeiten ihrer Prognosen immer mehr gegen jene des
Kaffeesuds abstinken, aber die dennoch diese Wahlen bestimmen werden. Denn
nach diesen Umfragen passiert sicher auch in Frankreich das schöne Spiel:
'Wählt A! Weil B ist zwar sympathischer, aber B käme nie in die Stichwahl.
Und dann gäbe es nur mehr die Wahl zwischen C und D. Da hätte aber C
wiederum keine Chance und ihr wollt doch nicht, daß D gewinnt? D wäre eine
Katastrophe! Also wählt gefälligst A!' Und A wird sich dann nach der Wahl
ganz herzlich für das Vertrauen der Wähler bedanken, das diese gar nicht
haben. Allerdings könnte es dann prompt D werden -- siehe USA, wo in den
Vorwahlen der Demokraten ähnliche Spielchen gespielt worden sind.

http://derstandard.at/2000055707789/
http://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-zwei-gegen-europa-1.3458783



> Europäisches Herzflattern

Der Zeitungsleser hätte sich nicht gedacht, daß er einmal erleben darf,
einem Kommentar in der "Jungle World" -- wenn auch nicht uneingeschränkt --
zustimmen zu müssen. Denn natürlich leuchtet in jedem Text der antideutsche
Konsens des Blattes durch -- so auch in diesem. Dennoch: Dem, was Peter
Novak über eine eigentümliche Bewegnung von EU-Fans schreibt, kann man als
Linker kaum widersprechen. Zuerst schildert er in seinem Artikel den Grund
seiner Kritik: "Von Aachen bis Wiesbaden gehen immer sonntags um 14 Uhr
Menschen mit EU-Fahnen auf die Straße, um für den Erhalt der Europäischen
Union zu werben. Auch in anderen europäischen Ländern hat sich diese Mode
mittlerweile ausgebreitet. Seit sich herausgestellt hat, dass die Bewegung
zumindest einige Wochen Bestand haben wird, gibt es Diskussionen, wie sich
die Linke dazu verhalten soll. Der Journalist Sebastian Weiermann bezeichnet
'Pulse of Europe' in der Tageszeitung Neues Deutschland als Partner für die
Linke und moniert: 'Die (radikale) Linke steht wieder einmal auf dem
Bürgersteig, während auf den Straßen Deutschlands eine anschlussfähige
Bewegung protestiert'. Dabei konstatiert auch er, 'Pulse of Europe' sei
'bestimmt kein Projekt für die befreite Gesellschaft, aber die Bewegung, die
den Nationalismus in Europa aufhalten will'."

Novaks Antwort darauf: "Radikale Linke sollten zu solchen Bestrebungen
Abstand halten. Es ist notwendig, der falschen Alternative Nationalstaaten
versus Euronationalismus eine Absage zu erteilen. Schließlich geht es darum,
einen dritten Pol aufzubauen, der sich auf soziale, gewerkschaftliche und
antirassistische Bewegungen stützt, die in vielen europäischen Ländern
existieren. Doch oft ist es schwer, sie über Ländergrenzen hinweg zu
verbinden. ... Das wird an den oft tödlichen Grenzzäunen der spanischen
Enklaven Ceuta und Melilla ebenso deutlich wie beim Tod Tausender
Geflüchteter im Mittelmeer. Eine Bewegung, die so penetrant die europäischen
Werte beschwört und über deren tägliche Opfer nicht reden will, kann kein
Partner einer radikalen Linken sein. ... Natürlich gibt es bei 'Pulse of
Europe' kein kritisches Wort über die Austeritätspolitik der EU zu lesen,
die wesentlich von Deutschland diktiert wurde und wird. Es ist noch keine
zwei Jahre her, dass in vielen europäischen Städten Menschen auf die Straße
gingen, damit das 'Oxi' der großen Mehrheit der griechischen Bevölkerung
gegen diese Politik der Misere akzeptiert wird. Die Ansätze dieses echten
Pulses wurden mit dem an Griechenland beispielhaft exekutierten EU-Diktat
schnell zunichte gemacht. In der Folge wurden rechtspopulistische und
sozialchauvinistische Strömungen stärker. Eine Gegenbewegung muss von den
sozialen und basisgewerkschaftlichen Kämpfen ausgehen, die es in vielen
europäischen Ländern gibt, die aber auch von der radikalen Linken zu wenig
beachtet werden. Wer nimmt schon Notiz davon, dass in Norditalien
migrantische Logistikarbeiter seit Jahren mit Streiks und Blockaden gegen
ihre schlechten Arbeitsbedingungen kämpfen?"

Kurz: Die Arbeiter (und die übrigen Ausgebeuteten, Prekarisierten,
Illegalisierten oder schlicht Armen) haben kein Vaterland -- auch kein
europäisches.

https://jungle.world/artikel/2017/14/eine-deutsche-bewegung



> Unternehmensentwicklungshilfe

Das "Südwind-Magazin" ist fast völlig pleite -- und will trotzdem weiter
erscheinen. Die Förderung durch die vom Außenministerium kontrollierte
Austrian Development Agency (ADA) ist nun tatsächlich vollkommen eingestellt
worden -- trotz heftigster Proteste. "Wir machen weiter! Durch die
Streichung der ADA-Förderung befindet sich das Südwind-Magazin in einer
bedrohlichen Situation. Mit der großartigen Unterstützung unserer LeserInnen
kämpfen wir weiter. Helft mit, das Südwind-Magazin zu retten!" so der Appell
des Magazins auf seiner Site -- dem kann man sich nur anschliessen.

Jetzt ist es aber nicht so, daß die ADA überall spart. Nein, auch wenn die
Summe, die Österreich formal für Entwicklungshilfe bereitstellt, im
internationalen Vergleich lächerlich ist, so können doch andere bedürftige
Projekt sich durchaus über ein kleines Körberlgeld freuen. Das berichtet der
"Kontraste-Blog". Beispiele gefällig? "So erhielt der Lebensmittelhändler
Hofer 105.000 Euro für den Anbau von Bio-Shrimps in Indien. Die ADA führt
dieses Projekt als Erfolgsbeispiel, da es indischen Kleinbauern ermögliche,
mehr Gewinn zu machen. In Wirklichkeit dürfte es aber anders sein: Wie die
ADA selbst einräumt, lief das Projekt bereits seit längerem - Hofer und
dessen Mutterkonzern Aldi Süd wollten Lieferengpässen bei Shrimps
zuvorkommen. Am Projekt sind neben Hofer und Aldi mehrere Unternehmen und
Beratungsfirmen beteiligt. Etwa auch die Ananda Group: Sie ist laut
Eigenbeschreibung einer der größten Fischereikonzerne Indiens und Partner
des von der ADA ko-finanzierten Projekts, das eigentlich traditionelle
Garnelenerzeuger - also Kleinbauern - stärken sollte. Das Außenamt fördert
hier das Projekt eines Großkonzerns, das es ohnehin gegeben hätte." Oder:
"So erhielt der Agrana Konzern, der zu Raiffeisen gehört und in dessen
Aufsichtsrat Ex-ÖVP-Chef Josef Pröll sitzt, 400.000 Euro, um die Qualität
seiner Zulieferer zu verbessern."

Derartige Entwicklungspolitik ist nicht neu -- schon seit langem wurde der
Großteil dieses Geldes für die Förderung von Projekten hiesiger Konzerne in
der "Dritten Welt" oder als Haftungszusage zur Exportförderung verwendet --
auch unter sozialdemokratischen Ressortverantwortlichen. Doch unter Minister
Kurz scheint das noch einen Zacken schärfer zu werden -- vor allem, wenn man
bedenkt, daß für kritische NGOs jetzt kein Geld mehr da ist. Das Feigenblatt
für eine Entwicklungspolitik, die in Wirklichkeit neokolonial ist, scheint
nicht mehr nötig.

Nebenbei: Der "Kontraste-Blog" ist nicht auf die Förderung durch Ministerien
oder ähnlichen Stellen angewiesen, denn: "Produziert wird dieser Blog von
MitarbeiterInnen des SPÖ-Parlamentsklubs." Gibt es also doch noch Hoffnung
für die Sozialdemokratie? Oder geht es hier nur um die falsche Farbe des
Ministers?

http://www.suedwind-magazin.at/
https://kontrast-blog.at/wie-kurz-mit-entwicklungshilfe-raiffeisen-und-co-foerdert/

*

Wenn nicht anders angegeben, stammen die Zitate aus den Online-Ausgaben der
Publikationen. Zeitungsleser: -br-



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
vox: 0681 205 036 17
redaktionsadresse neu: dreyhausengasse 3, kellerlokal, 1140
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW



---