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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 5. April 2017; 20:13
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Linke/Bücher/Interview:

> Das Stockholm-Syndrom der SPÖ-Linken

Sonja Grusch, Vorsitzende der Sozialistischen Linkspartei, hat ein Buch über
die Linken in einer anderen Partei geschrieben, nämlich die in der SPÖ. Der
für diese wohl frustrierende Titel der Publikation: "Im Hamsterrad - Lehren
aus der Geschichte der SPÖ-Linken von 1945 bis heute". Am 27.März wurde das
Buch in der Libreria Utopia in Wien 15 vorgestellt. Wir haben bei dieser
Gelegenheit die Autorin interviewt.
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akin: Sonja, ich frag mal ganz blöd, wie würdest du in drei Sätzen dieses
Buch zusammenfassen?

Grusch: Das Leben ist zu kurz, um Fehler zu wiederholen und nicht aus ihnen
zu lernen. Deswegen müssen Leute, die heute versuchen, linke Alternativen
aufzubauen, die zentralen Lehren ziehen -- nämlich: sich organisieren, nicht
auf Gedeih und Verderb in der linken Organisation, in der sie sind, bleiben,
und die soziale Frage in den Vordergrund stellen.

akin: Das ist jetzt aber nicht der Inhalt des Buches. Da gehts ja weniger um
die die Lehren, sondern eher um eine Chronologie des Scheiterns. Du gehst
das an damit, daß nach 1945 die Linken in der SPÖ sowieso keine Chance
gehabt hätten...

Grusch: Nein, das sag ich nicht...

akin: Nun ich hab das aber schon so verstanden, daß die Linken vorher im
Exil oder Widerstand waren, während die Rechten durchtunnelten...

Grusch: Dass die Ausgangssituation für die Linken sehr schwierig war, das
ist richtig, und ich gehe im Buch wenig auf die objektive Situation ein, die
natürlich ganz relevant ist, von Wirtschaftsaufschwung, Kalter Krieg, die
physische Vernichtung durch Stalinismus und Faschismus vor allem der
Linken... das sind natürlich alles Sachen, die die Ausgangssituation für die
Linke sehr erschwert haben. Aber ich würde nicht sagen, daß es vollständig
unmöglich war, daß man nicht viele Sachen besser machen hätten können. Es
heißt eben im Titel "Lehren" weil ich versuche, aus der Chronologie Lehren
zu ziehen für die künftige Arbeit.

akin: Was mir aufgefallen ist, daß es dir hauptsächlich um die SPÖ geht,
aber die Sozialdemokratie als solche ist ja in anderen Ländern auch nicht
viel anders. Und die österreichische Sozialdemokratie ist ja von einem
deutlich linkeren Standpunkt gekommen als Sozialdemokratie in Europa sonst.

Grusch: Es gibt ja die Sozialdemokratie mit all ihren Unterstrukturen SJ,
Freiheitskämpfer, FSG, wo ja die Linken zu unterschiedlichen Zeiten
Unterschlupf gefunden haben. Bestimmte Mechanismen gelten ja für die SPÖ
genauso, wie für andere sozialdemokratischen Parteien, keine Frage, den
Verbürgerlichungsprozeß, den die SPÖ durchgemacht hat, haben die anderen
Parteien genauso gemacht. Der Blairismus war früher als die Verbürgerlichung
der österreichischen Sozialdemokratie, aber die Richtungen und Mechanismen
waren die Gleichen. War die SPÖ linker als andere Sozialdemokratien...?

akin: ... also die Sozialdemokratische Arbeiterpartei schon ...

Grusch: Du spielst auf den Austromarxismus an, wobei der ja auch ein weites
Feld von Renner über Bauer bis Adler abgedeckt hat. Ich würd nicht sagen,
daß DIE SPÖ linker war, sondern diese Strategie, die SPÖ gefahren hat, die
Linken innerhalb der Partei zu behalten und zu verhindern, daß sich eine
zweite Arbeiterpartei in Form einer starken relevanten KPÖ dazu geführt hat,
daß man links blinken hat müssen. Außerdem gab es 1918 eine revolutionäre
Situation in österreich, das heißt, man mußte auch ein bisserl links fahren,
damit einem die Leute nicht davonrennen. aber nach 1945 würde ich nicht
sagen daß die SPÖ linker war als andere sozialdemokratrische Parteien. Nach
'45 wußte man nicht, wie die Kräfteverhältnisse sind, daher hat man zuerst
einmal eine paritätische Besetzung zwischen Revolutionären Sozialisten und
Sozialdemokraten gemacht, das waren aber in Wirklichkeit nur ein paar
Wochen, bis man das Kräfteverhältnis besser einschätzen konnte. Danach waren
die Revolutionären Sozialisten zwar noch eine Zeitlang formal irgendwo
drinnen, aber haben politisch keine Rolle mehr gespielt.

akin: "Im Hamsterrad" ist der Titel. Jetzt kenne ich in der Sozialdemokratie
auch ein paar Leute, das sind saubere Linke, die werden sich dadurch
wahrscheinlich noch ein bisserl mehr frustriert fühlen -- da stellt sich die
Frage: Sollen die Linken prinzipiell raus aus der SPÖ und den Verein sich
selbst überlassen ohne dieses Feigenblatt? Würdest du ihnen das wirklich so
raten?

Grusch: Die ursprüngliche Arbeit, auf der das Buch basiert, hieß ja "Das
Stockholm-Syndrom der SPÖ-Linken". Was würde ich den Linken in der SPÖ
raten? Prinzipiell ist es notwendig, eine neue Arbeiterpartei in Österreich
aufzubauen - und in anderen Ländern auch - weil die Sozialdemokratie das
schon lang nicht mehr ist. Und es wäre wichtig, daß die Leute, die nach
links gehen innerhalb der SPÖ, einen Beitrag dazu leisten und dabei sind.
Also eigentlich wäre es notwendig mit der SPÖ zu brechen, aber das ist nicht
die Ebene auf der du eine Diskussion mit ihnen führen kannst, sondern das
kann die Konsequenz der Erfahrung des gemeinsamen politischen Kampfes gegen
die verschiedenen Angriffe, die von der SPÖ real durchgeführt werden, sein.
Jeder ehrliche Sozialist, jeder ehrliche Gewerkschafter der was gegen diese
Angriffe tun will (die Angriffe gegen Flüchtlinge, den 12-Stundentag,
Angriffe auf Kollektivverträge ...), muß das letztlich gegen die SPÖ tun,
weil die SPÖ da überall maßgeblich dabei ist. Und in diesem gemeinsamen
kampf und vor allem mit einer Zunahme dieser Kämpfe werden viele Leute
innerhalb der SPÖ diese Schlußfolgerung ziehen, daß es die Notwendigkeit
dieses Bruches gibt. Es gibt ganz ganz viele Leute in der SPÖ und vor allem
der FSG die mit sehnsüchtigen Augen nach Deutschland schielen, weil es halt
dort eine Alternative gibt -- die man ihn vielen Punkten kritisiern kann,
aber deren Existenz ein Fortschritt ist gegenüber unserer Situation. Und nur
darauf warten, daß sich in Österreich etwas Ähnliches tut! Aber was ich den
Linken in der SPÖ sagen möchte: wenn ihr es schon macht, dann machts das
ordentlich. Dann macht euch eben nicht zum Feigenblatt. Sondern führts den
Kampf und lernt aus der Geschichte! Und das heißt: sich organisieren,
politisch und finanziell unabhängig sein, eine eigene Publikation haben, zur
sozialen Frage in der Gewerkschaft arbeiten und nicht nur in der Jugend- und
Bildungsarbeit -- und bilanziert das. Setzt euch ein Ziel, und nach 2 oder 3
Jahren bilanziert, ob das funktioniert, was ihr macht, und wenn es nicht
funktioniert, dann muß man auch die Konsequenz daraus ziehen!

akin: Da gibts aber auch Leute, zum Beispiel den von dir zitierten Peter
Ulrich Lehner, die stur Linke geblieben sind, da denke ich mir, eigentlich
ist es ja ganz gut, daß es solche Leute in der SPÖ noch gibt. Würdest Du das
dem Lehner auch so sagen?

Grusch: Mein ganzer Respekt diesen Leuten, die das durchhalten, und
Hochachtung dafür, sich das anzutun! Aber die erreichen nix. Alles was sie
getan und versucht haben, waren bestenfalls einfach nur Resolutionen, die
sie durchgebracht haben, die die praktische Politik der SPÖ nicht beeinflußt
haben, weil die geht kontinuierlich seit '45 nach rechts. Stellen wir uns
die Frage andersrum, stellen wir uns vor, diese ganzen Leute, die immer noch
verzweifelt an der Sozialdemokratie festhalten, wären ein wesentlicher
Bestandteil beim Aufbau einer neuen linken Kraft in Österreich!

akin: Du schreibst dieses Buch aus der Position einer Partei, die ja auch
kandidiert. Du hast aber ein Buch über eine andere Partei geschrieben, der
du auch einmal angehört hast -- wenn auch nur über die SJ. Wie bist du denn
zur SJ gekommen und hast festgestellt, das geht jetzt gar nicht?.

Grusch: Ich bin ein typisch-untypischer Fall. Ich bin in den 80ern zur SJ
gekommen und das war eine Zeit, in der die SJ eine dynamische Organisation
war, wo tatsächlich Jugendliche die SJ waren. Aber das war auch eine Zeit,
wo die SPÖ zunehmend bereits verbürgerlicht ist und immer größere Schichten
gerade radikalisierter Jugendlicher und Hackler nichts mehr mit ihr zu tun
haben wollte. Und ich komme aus einer Tradition, die überhaupt nix mit der
Sozialdemokratie zu tun hat. Ich bin in die SJ und in die SPÖ eingetreten,
weil ich war zuerst bei der "Vorwärts"-Gruppe aktiv gewesen und bin es
dann -- aus der Überlegung heraus, daß es vielleicht Sinn macht, für
Revolutionäre innerhalb der SJ zu arbeiten für eine gewisse Zeit. Aber ich
bin nicht in die Sozialdemokratie hineingegangen, weil ich gehofft habe,
diese Partei verändern zu können.

akin: Gut, sonst könnte man glatt sagen, du hättest dieses Buch aus einer
enttäuschten Liebe heraus geschrieben...

Grusch: Nein, diese Analyse stimme ich in keinster Weise zu. Das
unterscheidet mich von manchen anderen, die 1992 ausgeschlossen worden sind.
Ich war nie unglücklich oder menschlich enttäuscht von diesem Ausschluß,
sondern das war eine logische Konsequenz unserer Konsequenz. Das hat auch
sicher psychohygienische Vorteile gehabt, sich diesem Kampf gegen Windmühlen
nicht mehr geben zu müssen und stattdessen mit offenem Visier sozialistische
Arbeit machen zu können.

akin: "Sozialistische Arbeit" ist ein gutes Stichwort, weil es ist halt
schon ein hilfloser Begriff, wenn man sich als "links" bezeichnet, weil man
"sozialistisch" oder "kommunistisch" nicht mehr sagen möchte, was heißt dann
"links" eigentlich heute? What's left?

Grusch: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habs in dem Buch sehr breit
angelegt, das also einerseits Leute, die sich selbst als links definieren,
als auch Leute, die von anderen als links definiert werden, umfaßt; also
sowohl Menschen, die sich selbst als Revolutionäre verstehen oder die ich
als Revolutionäre sehen würde, wie zum Beispiel die "Vorwärts"-Strömung;
Leute die ich jetzt als Linksreformisten sehen würde, als auch Leute, die
aus einem stalinistischen Background kommen, mit denen ich ganz große
politische Differenzen und Probleme habe, ... es ist also sehr weit
angelegt. Leute, die den Kurs der Partei, so wie er ist, versuchen, ein
bißchen mehr in Richtung Antifaschismus, für die ArbeiterInnenklasse, mehr
Parteidemokratie, Frauenrechte, Umweltschutz zu bringen... Aber ich hab
bewußt einen sehr breiten Raster angelegt. Also ich bin selber Sozialistin
und kämpfe für eine ArbeiterInnenpartei mit einem sozialistischen Programm.
Eine Arbeiterpartei war die Sozialdemokratie in den 80er, 90er-Jahre
vielleicht noch. Ein sozialistisches Programm hat sie vielleicht auf dem
Papier gehabt. Aber in ihrer Praxis war sie das schon seit Jahrzehnten
nicht, nicht einmal reformistisch.

akin: Na gut, einmal abgesehen davon, daß die Jugend nicht immer unbedingt
linker ist als der Rest der Partei, aber nehmen wir mal so Figuren wie Cap
oder Faymann, die einmal als die Linken oder sogar Radikaleren in der Partei
gegolten haben, und diesen Ruf mit der Zeit verloren haben -- glaubst du,
waren die nie Linke oder haben sie sich umerziehen lassen?

Grusch: Das ist schwierig zu sagen im Bezug auf einzelne Personen. So wie
ich die beiden einschätze, waren die links, weil man damals halt links war.
In den 70er und 80er-Jahren war der Mainstream ja auch ein anderer als er
heute ist. Die zwei waren jetzt nicht wahnsinnig links, aber haben sich halt
ein bisserl linker gegeben. Ich find, daß die Frage auch relativ müßig ist,
ob jetzt von vornherein bei allem ein Masterplan vom Reißbrett stand oder ob
ihnen das passiert ist. Die Frage ist doch, wie kann einem sowas passieren,
wie kann man von links unten nach rechts oben kommen bzw. wie kann man das
verhindern? Und da gibt es schon ein paar Mechanismen, die man dagegen
einsetzen kann. Die Frage der Bezüge ist da eine ganz wesentliche. Kassiere
ich die vollen Abgeordnetenbezüge oder nicht? Es gibt ja auch Sozialistinnen
und Sozialisten, die sagen, ich behalte von dem, was ich da an Gehalt
bekomme nur das, was ein Durchschnittsgehalt ist und nicht mehr, damit ich
nicht den Bezug zur Realität verliere. Das haben diese Leute, Cap,
Gusenbauer, nie gemacht. Das heißt, selbst wenn sie einmal links gewesen
sein sollten, dann verändert einen halt so ein Leben auch, wenn man ein
Gehalt hat, daß das x-fache von normalen Leuten ist.

akin: Liebe Sonja, ich danke für das Interview.
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Interviewer: Bernhard Redl. Das komplette Gespäch ist ein wenig länger und
kann im O-Ton so wie der Mitschnitt der Buch-Präsentation und -Diskussion
nachgehört werden unter: https://cba.fro.at/337377
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Das Buch:
Sonja Grusch
Im Hamsterrad
Lehren aus der Geschichte der SPÖ-Linken von 1945 bis heute
Manifest Verlag, ISBN 978-3-96156-003-5, 161 Seiten, 9,90 Euro

Der Waschzettel des Verlags:
Auf 160 Seiten widmet sich die SLP-Aktivistin Sonja Grusch der Geschichte
der Linken in der SPÖ seit 1945. Die Autorin stellt klar: "Für den
Neuformierungsprozess der Linken können und müssen wir aus den Fehlern und
natürlich auch aus den Erfolgen linker VorkämpferInnen lernen." Behandelt
werden die Linken in SPÖ und v.a. diversen Jugendorganisationen (SJ, JG,
VSStÖ, VSM, AKS), aber auch in der Gewerkschaft. Die Arbeit dieser Linken,
die verhältnismäßig wenig organisiert auftraten und daher nie wirklich zur
Gefahr für die Parteirechte wurden, wird im Laufe der Jahrzehnte immer
erfolgloser und frustrierender. Das Wirken der Gruppe um Erwin Scharf wird
ebenso analysiert wie die Cap-Kandidatur 1983 und linke Strömungen wie
Vorwärts, Funke, Stamokap oder neuere Versuche. Zahlreiche
EinzelkämpferInnen und ihre Rolle dabei, v.a. linke Jugendliche an die SPÖ
zu binden, werden untersucht.

Link zum Verlag: https://manifest-buecher.de/produkt/im-hamsterrad/



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