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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. März 2017; 14:28
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> Italienisches Panoptikum

Von *Aug und Ohr*

Italien erlebt derzeit eine Stärkung linker und kommunistischer Bewegungen,
Organisationen und Kräfte wie schon lange nicht mehr. Es begann im
vergangenen Oktober, als die Basisgewerkschaften, unter ihnen in erster
Linie USB (Unione Sindacale di Base) und zwei unter "Cobas" (comitati di
base, Basisausschüsse) firmierende Basisgewerkschaften namens AdL Cobas
(Associazione Diritti Lavoratori) und SI Cobas (Sindacato Intercategoriale -
Lavoratori Autorganizzati) mit eigenen Kräften und unabhängig von den
offiziellen Richtungsgewerkschaften am 22. Oktober einen Generalstreik auf
die Beine stellten, an dem eine Million dreihundertausend Menschen
teilnahmen.

Es gab Blockaden, Besetzungen, Protestmärsche. Ziel war es, Forderungen des
Arbeitsplatzes und der Branche und der gesamten Arbeiterschaft mit
allgemeinpolitischen Forderungen, etwa gegen Militarismus und Krieg, zu
verbinden. In monatelanger mühevoller Arbeit war es gelungen, die
Belegschaften davon zu überzeugen, daß sie gegen die Politik Renzis Stellung
nehmen müßten, über ihre eigenen Arbeitsbelange hinaus.

Und das gelang. Renzi und seine Partei hatten die Absicht gehabt, die
Verfassung an sensiblen Punkten zu reduzieren, ja man kann sagen: zu
demolieren, die Arbeitsrechte weiter und definitiv auszuhebeln und die
parlamentarischen Entscheidungsmechanismen zu schwächen. Der Senat sollte
reduziert und zum Teil entmachtet werden, die stimmenstärkste Partei ähnlich
wie in Griechenland übermäßig prämiert und das Ganze in ein Referendum
gegossen werden, mit dem Renzi und die Mehrheit seiner Partei selbstherrlich
vermeinten, die "Bürger" zu überzeugen. Sie werden ihm schon folgen, glaubte
er. Ein Referendum von oben wie das des Orbán kurze Zeit vorher. Auch in der
primitiven Plakativität mancher seiner Losungen ähnelte es dem Orbán´schen
Referendum.

Bereits der Generalstreik war zu einer politischen Botschaft gegen Renzi und
seine Politik geworden. Mobilisierungen fanden in einer Reihe von Städten
statt, allein an der zentralen Demonstration in Rom nahmen 30.000 Menschen
teil. Bei dieser römischen Zentraldemonstration wurde, etwas weicher im
Vergleich zur Politik der im Veneto und der Emilia Romagna, zum Teil in der
Toskana stark präsenten ADL Cobas und der streng kollektiv strukturierten SI
Cobas (die beide im großen und ganzen, ebenso wie auch die USB, der
kommunistischen Tradition zuzurechnen sind), ein spezielles Konzept
umgesetzt, ein bis dato noch nicht erprobtes gemeinsames Vorgehen
unterschiedlichster basisgewerkschaftlicher Strömungen: Die zentrale
Großdemonstration in Rom wurde gemeinsam bestritten von Unicobas (einer
studentischen Basisgewerkschaft, Partnerin der schwedischen SAC und der
spanischen CGT), der genannten USB und der libertär-anarchistischen USI
(Unione Sindacale Italiana). ADL und SI Cobas nahmen daran nicht teil.

Am Tag darauf fand ein landesweiter Protesttag gegen Renzi, der sogenannte
"No Renzi Day", statt, wobei die OrganisatorInnen sich darüber im klaren
waren, daß mit diesem Titel keine Personalisierung , sondern nur die
Kennzeichnung einer durch eine Person vertretene Politik gemeint sein kann.
Veranstalterin war die Plattform Coordinamento per il No Sociale, an der
großen zentralen Kundgebung, die wie zumeist durch halb Rom führte, nahmen
40.000 Leute teil, dies nur in Rom. Bei dieser Demonstration zeigte sich,
daß ein Großteil der Mobilisierung von der USB getragen wurde.

Es handelt sich bei der USB um einen vor mehr als 6 Jahren entstandenen
Zusammenschluß dreier schon bestehender Basisgewerkschaften, der in letzter
Zeit immer mehr an Einfluß gewinnt und zusammen mit den genannten beiden
anderen Basisgewerkschaften ADL Cobas und SI Cobas als kämpferisches,
basisgewerkschaftliches Kraftfeld den Kompromißgewerkschaften CGIL-CISL und
UIL, dem gelben Dreierbündnis, den historischen Kampf angesagt hat.

Eine solche Tendenz zur Entkoppelung von den Gelben wird sich in ganz Europa
entfalten, aber sie ist bis dato erst in Spanien, in Griechenland und auch
in Frankreich auszumachen..

Einen Monat nach den beiden Mobilisierungen, am 27. 11., fand eine weitere
Kundgebung "gegen Renzi" statt, bei der in Rom 50.000 auf der Straße waren,
diesmal war sie organisiert von einer sehr breiten Plattform namens "C´è chi
dice di no" ("Es gibt Leute die Nein sagen!", die Kundgebung wurde sowohl
von Künstlern und Musikern als auch von zahlreichen Massenorganisationen
getragen oder unterstützt.Die sozialdemokratische Partei wird also von
mehreren Seiten her in die Zange genommen.

Das zahlenmäßig aber auch vom politischen impact her überragendste Ereignis
aller Kundgebungen dieser Periode, war eine ungeheure Demonstration in Rom,
an der 200.000 Frauen teilnahmen. Italien war in den Siebzigerjahren das
Land mit der stärksten und radikalsten Frauenbewegung Europas. Aber wie
überall, so war auch in Italien ein Schwund der Aktivitäten und
Organisationen zu beobachten. Diese war wohl die größte Frauendemonstration
in Europa der letzten Jahre.Viele Frauen hatten Tränen in den Augen, weil
sie solches seit Jahren nicht mehr erlebt hatten.

Am 8. März findet in Italien ein Generalstreik der Frauen statt, bei dem das
Recht zu streiken auch für Einzelpersonen und nicht gewerkschaftlich
Organisierte auf Grund der harten gewerkschaftlichen Verhandlungen und
sonstigen Vorarbeit staatlich garantiert ist!

Die Sozialdemokratie steht heute allen Bewegungen im Weg. Man sucht
einerseits neue politische Formeln und Organisationsformen und man zielt
notwendigerweise gegen die Sozialdemokratie (den neuen Sozialdemokratismus),
der, besonders in Italien, zum treuesten Pudel des Neoliberalismus geworden
ist. Nur in Ungarn kann oder konnte man eine ähnliche Härte
ultraliberalistischer Ausrichtung von Sozialdemokraten beobachten: in der
Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP).

Die Demokratische Partei (PD) Italiens ist, ebenso wie die MSZP und die
PASOK (!), Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas, sie ist/war die
stärkste der sozialdemokratische Parteien, ihre Vorgängerpartei war die PDS
und deren Vorgängerpartei die PCI - immerhin die größte aller
kommunistischen Parteien Westeuropas - und es hatte sich in den
Folgeparteien noch eine Restsubstanz von linkem Sozialismus und Kommunismus
erhalten, die aber durch die sukzessive Umwidmung der Ursprungspartei über
verschiedene Etappen in Richtung Sozialdemokratisierung, also eines großen
antiproletarischen und antikommunistischen Konzepts, immer weiter abgebaut
wurde, bis der Rest auf den Hund kam.

Wenn also diese PD gegen das Proletariat und das Prekariat, gegen die
Basislinke und die Bewegungen vorgeht, dann wird sie dafür zahlen müssen.

Sie zahlt erstens dadurch, daß sich eine neue breite Linkspartei gegründet
hat, die Sinistra Italiana (SI). Gründungsversammlung war in Rimini vom 17.
bis zum 19. Februar. Versuche, im bisherigen politischen Vakuum eine neue
Linkspartei zu schaffen, waren dem vorausgegangen, als wichtigste Projekte
wären Alba und die Partei des Bene Comune (der commons, des Öffentlichen
Gutes) zu nennen. Die Sinistra Italiana ist eine Linkspartei, die
voraussichtlich Bestand haben wird und die sich mit etlichen scharfen
Reformen ins Zeug legen wird. Durch diesen Gegenpol wird ohne Zweifel die
(italienische) Sozialdemokratie geschwächt, umsomehr als etliche Mitglieder
der PD zur SI überwechselten.

Es ist zu erwarten, daß der Kampf in zentralen Punkten gegen wesentliche
Konterreformen, also politische Abbaumaßnahmen in den Bereichen Bildung,
Arbeitsrecht, Prekariat von dieser Gruppierung, die ein wenig rechts von der
Sinistra Italiana steht, mitgetragen wird. Insofern sind sie nicht nur
nützlich, sondern notwendig. Würde sich die Gruppierung darauf nicht
einlassen, könnte sie wohl nicht überleben.

.Wenn wir aber hier noch nicht die radikalen Massenbewegungen und noch
weiter links stehende Parteien und Kräfte beschrieben haben, so haben wir
hier zumindest an dieser sehr nützlichen und wichtigen Breitenpolitik
ablesen können, wie erfolgreich es sein kann, der Sozialdemokratie das
Wasser abzugraben. In Italien ist es gelungen, die PD wurde durch die neue
Linkspartei geschwächt und sie wurde durch die MDP geschwächt. Also auch
dies gelang: nicht nur die Schwächung der PD durch linkere Formationen,
sondern auch die Schwächung neuer linker Formationen durch Wiederaufgüsse
von PD-Politik und vorangegangener Politik.

Wenn sich Leute, Kräfte von einem Machtkartell wie dem des
Sozialdemokratismus echt und unwiderruflich trennen, dann ist das ein
Lernprozeß, der auf alle Fälle zu begrüßen ist.

Nun gibt es aber auch ein Parteienspektrum links von SI und MDP. Im Zentrum
steht da zunächst die vor zwei Jahren neugegründete Kommunistische Partei
Italiens (PCI). Eine ihrer Hauptaktivitäten ist der Kampf gegen die NATO.
Darüber werden wir in der Folge berichten.

Die Rache der Sozialdemokratischen Partei Europas ließ nicht auf sich
warten. Die Bewegung Demokratie und Fortschritt (MDP) wurde von ihr zum
Feind erklärt und, wie die Renzi-nahe Parteizeitung Unità am 3. 3.
bekanntgab, aus dieser - an sich weithin unbekannten - europäischen
sozialdemokratischen Dachorganisation (der unter anderem SPÖ, SPD, Pasok und
MSZP angehören!) ausgeschlossen.Sie gehen vor wie die Moskauer Kommunisten.
Kein Wunder, der Chef der Sozialdemokratischen Partei Europas, ein gewisser
Stanishev, kommt, über einige Vermittlungen, aus der bulgarischen
Nomenklatura und hat sich hier im Westen mit dem Know-How seiner Polit-Kaste
im Hintergrund eine Spitzenposition ergattert. Bei den Sozialdemokraten.
(gek.)



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