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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Februar 2017; 16:46
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Letzte Worte:

> Nicht freundlich zu Polizisten sein!

Da Richter, da Oide, da Kibara undn Jesus seine Haberer

"Abschätzige Bemerkungen zu Polizisten sind strafbar. Das stellte das
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in einem am Freitag veröffentlichten
Erkenntnis fest. Ein Fußballfan, der zu einem Polizisten 'Lassen Sie los,
Oida' gesagt hatte, kam aber noch mit einer Verwarnung davon." Das
berichtete die APA. Das Gericht, so berichtete der ORF, wäre zu der Ansicht
gelangt, daß "Oida" aus dem Wienerischen stamme und ein Synonym dafür sei
"Haberer". Und dies sei nicht zu tolerieren, denn Polizeibeamte seien keine
Haberer.

Dies wirft allerdings so einige Fragen auf. Denn zum einen ist "Oida" nicht
speziell Wienerisch. "Alter" in verschiedenen Stadien der Lautverschiebung
findet sich so ziemlich überall im deutschen Dialektkontinuum. Konkret im
Wienerischen aber heißt "Oida" bekanntermassen viel -- es muß nicht
unbedingt eine direkte Anrede sein, sondern kann je nach Betonung alles
Mögliche ausdrücken. (Die Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten dieses Wortes
muß aber anderswo erörtert werden -- dafür ist hier wirklich nicht der
Platz.)

Als Anrede allerdings ist "Oida" oder "Alter" kaum despektierlich zu
interpretieren und kann sogar Hochachtung ausdrücken -- was im
gegenständlichen Fall wohl nicht so gewesen sein dürfte. Insofern hat das
Gericht Recht, denn welcher Beamtshandelte wollte einem Polizisten schon
Hochachtung ausdrücken? Der Mißachtung hätte aber genausogut mit jeder
anderen Anrede Ausdruck verliehen werden können, dazu brauchte es nicht
diesen speziellen. Im Gegenteil, gerade dieser ist dafür völlig ungeeignet.
Immerhin ist der "Oide" auch als Ansage bei der Tarockvariante
Zwanzigerrufen üblich, dort bezeichnet er eben die Tarock XX, was eine sehr
hohe Karte ist. Auch die Krimiserie "Der Alte" bezeichnete im Titel eine
Respektsperson. Und Goethe läßt Mephistopheles im "Faust" gar Gott als den
"Alten" bezeichnen. So ganz allgemein kann also nicht die Rede davon sein,
daß "Oider" oder "Alter" als abschätzig gemeint angesehen werden muß.

Dem Verfasser ist es zwar ein Rätsel, wie der Richter auf den Vergleich mit
"Haberer" gekommen sein mag. Möglicherweise hatte er den Spruch "A Kibara is
ka Habarer" im Kopf, traute sich das aber nicht damit zu belegen. Egal, aber
erfreulich, gibt es doch die Gelegenheit, auch dieses schöne Wort, das
westlich von Hütteldorf kaum zum aktiven Wortschatz zu zählen ist und selbst
in Wien auszusterben droht und wohl hauptsächlich durch eben oberwähnte
Phrase am Leben erhalten wird, näher zu beleuchten.

"Haberer" ist noch nicht lange ein deutsches Wort, aber generell ein sehr
altes. Als Wolfgang Teuschl seiner Übersetzung des Markus-Evangeliums ins
Wienerische den Titel "Da Jesus und seine Hawara" gab, war er damit
keineswegs respektlos, sondern der sprachlichen Wirklichkeit der Erzählzeit
viel näher als die üblichen Übersetzungen in die deutsche Hochsprache. Denn
zum einen wird der Religionsführer seine Anhänger wohl kaum -- egal in
welcher Sprache -- als "Apostel" oder "Jünger" bezeichnet haben. Und zum
anderen sprach Jesus Aramäisch, eine Sprache nah verwandt mit dem
Hebräischen. Es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, daß Jesus seine
Haberer mit so etwas ähnlichem wie "Chaver" angesprochen haben wird -- und
genau daher stammt der wienerische Ausdruck. Man könnte den Haberer etwas
gewagt also als biblisch-krypto-apokryph bezeichnen -- weil es halt bislang
keinen Beleg dafür gibt, die Annahme aber, daß die Apostel eben Chaver
waren, durchaus naheliegend ist.

So gesehen ist der Oide aber kaum der Haberer. Mit Rückgriff auf oberwähnten
Goethe sind lediglich die Freunde des Sohnes des Oiden als Haberer zu
bezeichnen. (Zugegeben, die Vermutung, nämlicher Fußballfan hätte dem
Polizisten eine Apotheose zuteil werden lassen, erscheint tatsächlich etwas
weit hergeholt.)

Wie dem auch sei: Der Chaver ist der Bruder, der Genosse -- eine überaus
freundliche Bezeichnung also. Das Gericht stellte also nicht nur fest, was
uns ja eh allen bewußt ist, daß ein Polizist kein Haberer ist, sondern, daß
es bis hin zur Strafbarkeit unstatthaft ist, zu einem Polizisten freundlich
zu sein. Ob dies dem Gericht bewußt war, sei dahingestellt, doch läßt dieses
Erkenntnis wohl staunen. Immerhin galt doch bisher das Selbstverständnis der
Polizisten, diese seien "Freunde und Helfer". Das ist nun passé. Man wird in
Hinkunft bei Gelegenheit auf dieses Urteil zurückgreifen müssen.

Allerdings entschied das Gericht gemäß §1 Oö. Polizeistrafgesetz mit der
Bezeichnung "Wahrung des öffentlichen Anstandes". Als Anstandsverletzung ist
demnach "jedes Verhalten in der Öffentlichkeit anzusehen, das einen groben
Verstoß gegen die allgemein anerkannten Grundsätze der guten Sitte bildet".
Mit anderen Worten: Man darf doch zu Polizisten freundlich sein -- nur halt
nicht öffentlich!
*Mario Czerny*



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