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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 19. Januar 2017; 03:48
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Kommentierte Fakenews-Schau:

> Einbürgerungsgerüchte

Was einmal in der Welt ist, kann nicht mehr zurückgenommen werden. Das
wissen wir spätestens seit Dürrenmatts "Physikern". Leider gilt das auch für
unsere Medien. Und wenn einmal ein bürgerliches Medium "fake news"
produziert hat, dann nutzt es oft genug nichts, wenn selbst im gleichen
Medium eine Richtigstellung passiert. Denn es gibt immer jemanden, der diese
Richtigstellung nicht mehr lesen will, weil sie ihm nicht in den Kram paßt.
Zu solchen Leuten gehört natürlich auch unser Bumsti.

Der FPÖ-Chef verzapfte -- wenige Minuten vor Ende von "Im Zentrum" im ORF --
wieder mal die Geschichte, daß anerkannte Flüchtlinge ohne jegliche weitere
Prüfung nach 6 Jahren Aufenthalt österreichische Staatsbürger werden
könnten. Sein Adressat war der ihm gegenübersitzende Vizekanzler
Mitterlehner, der das zwar nicht glauben wollte, aber mangels Vorbereitung
auf diese Wuchtel auch nicht widersprechen konnte. Und so blieb diese
falsche Behauptung ein weiteres Mal im Raum einfach stehen.

Das diesbezügliche Gerücht hatte im April 2016 der Europarechtler Stefan
Brocza von der Uni Salzburg in einem Beitrag für "Die Presse" in die Welt
gesetzt. Nach Brocza gelte für Flüchtlinge bei der Einbürgerung: "Die sonst
von der politischen Diskussion geforderte nachhaltige persönliche
Integration bzw. der Nachweis von Deutschkenntnisse auf einem höheren Niveau
entfallen. Mehr oder weniger allein ausschlaggebend ist der Zeitablauf. Der
österreichische Gesetzgeber imaginiert, dass sechs Jahre Asylstatus
offensichtlich ausreichen, um Österreicher zu werden." (1) Daß das ein
Topfen ist, weist im selben Medium eine Woche später der Politologe Gerd
Valchars nach. Der Rechtsanspruch auf Einbürgerung würde auch bei
Flüchtlingen nach 6 Jahren nur bestehen, "wenn Mindesteinkommen,
Unbescholtenheit und Deutschkenntnisse erfüllt sind und der
Einbürgerungstest bestanden wurde. Wer anderes behauptet, irrt." (2)

Auch andere Autoren haben mittlerweile den Irrtum aufgeklärt, aber das
wollen natürlich weder der Bumsti noch seine Fans hören.

(1) http://diepresse.com/home/4964400
(2) http://diepresse.com/home/4969398

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> Wahrheitsministerium

Gleich zwei Leitartikler konservativer Medien bemühen George Orwells "1984"
angesichts der Forderung, "Fake News" unter Strafe zu stellen.

Andreas Koller in den "Salzburger Nachrichten": "Das neue Jahr begann, wie
das alte geendet hat: mit einer Verbotsdiskussion. Waren es in den letzten
Tagen 2016 sogenannte Fake News, also via Internet verbreitete Lügen und
Verschwörungstheorien, denen der Kampf galt, so ist es in den ersten Tagen
2017 das jugendliche Rauchen. Familienministerin Sophie Karmasin schlug vor,
den Erwerb und Konsum von Tabak für unter 18-Jährige zu verbieten. Das
Fake-News- und das Tabakverbot sind Ausdruck der irrigen und sogar
gefährlichen Annahme, dass alles, was gesellschaftlich unerwünscht ist,
verboten werden muss. Ob es nun der Schanigarten-Heizpilz ist oder
exzessiver Fettkonsum, ob es das Plastiksackerl ist oder die Glühlampe, ob
es die erste heimliche Zigarette ist oder der grassierende
Internet-Schwachsinn: All das ist nicht wirklich erstrebenswert. Aber gleich
ein Verbot? Wir sind auf dem besten Weg dorthin, doch es ist ein Irrweg.
Eine Gesellschaft, die alles, was nicht erstrebenswert ist, unter Strafe
stellt, entwickelt sich zu einer Diktatur der Tugendhaften. Ein gewisses
Ausmaß an abweichendem, sogar schädlichem Verhalten muss erlaubt sein,
schließlich handelt es sich bei uns Menschen um Wesen mit freiem Willen. Der
sollte uns nicht von einem übereifrigen Gesetzgeber wegdekretiert werden.
[...] Man könnte auch 'Wahrheitsministerium' dazu sagen, und ein solches
würde das Ende der Meinungsfreiheit einläuten. Und auch der Pressefreiheit.
Manche mediale Skandal-Enthüllung, manche kritische Wahrheit ist in ihrem
journalistischen Embryonalstadium von den Regierenden als Falschmeldung, als
Ente, als Fake News diskreditiert worden, ehe sie sich als richtig
herausstellte und ihre reinigende Wirkung entfalten konnte." (1)

Und so auch Michael Fleischhacker auf NZZ.at: "In Deutschland wurde zuletzt
über die Einrichtung eines Abwehrzentrums gegen Desinformationskampagnen
diskutiert. Die Institution, die Orwell-Leser an das 'Wahrheitsministerium'
erinnern wird, solle im Bundeskanzleramt angesiedelt werden, genauer im
Bundespresseamt des Regierungssprechers Steffen Seibert, wo ohnehin erst 500
Menschen für eine garantiert Fake-freie, objektive Kommunikation sorgen.
[...] Wieder einmal könnte man von Österreich lernen, wie es wirklich geht.
Denn hier bei uns gibt es die Anti-Fake-News-Gesetzgebung schon lange. Also,
gab es sie schon lange, denn der Paragraph 276 StGB ("Verbreitung falscher,
beunruhigender Gerüchte") wurde vor einem Jahr aufgehoben. Keine einzige
Verurteilung in 20 Jahren, totes Recht, wie man so sagt. Tot und lebendig
zugleich ist der Paragraph 264 StGB. Lebendig, weil er noch in Kraft ist und
die "Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl oder Volksabstimmung"
mit bis zu einem halben Jahr Freiheitsstrafe bedroht, das Vorlegen von
gefälschten Urkunden, die die Glaubwürdigkeit der falschen Nachricht
untermauern sollen, sogar mit bis zu drei Jahren. Tot, weil er genauso
sinnlos ist wie der abgeschaffte Paragraph 276. [...] Nein, gegen die
Verbreitung von Falschmeldungen helfen weder Paragraphen noch
Wahrheitsministerien. Wahrheitsministerien schon gar nicht, denn dass der
Pressesprecher des Regierungschefs darüber befinden soll, was wahr und was
falsch ist, so weit wären nicht einmal Hugenberg oder Suslow gegangen. Gegen
Fake-News hilft nur Bildung. Sei es die Medien-Erziehung, die manche
Pädagogen und Medienwissenschaftler schon lange als Pflichtfach fordern, sei
es die gute alte Allgemeinbildung, die beim Durchschnittsbürger früher oder
später die Frage aufkommen lässt, ob das, was er da gerade in seine Timeline
gespült bekommt, denn wirklich stimmen kann." (2)

Ja, den beiden Autoren kann man natürlich vorwerfen, daß dieser Protest auch
aus ureigensten Interesse passiert -- schließlich könnte ja auch deren
eigene Zeitungsenten, Kobuks und vor allem die leider so oft passierenden
kritiklosen Reproduktionen von Propagandameldungen westlicher Spindoktoren
und Geheimdienste zum Gegenstand solcher Anklagen werden (auch wenn das
natürlich realpolitisch unwahrscheinlich ist). Nichtsdestotrotz ist diese
Kritik wichtig und richtig. Speziell den Grünen, die da derzeit besonders
vorpreschen, sei dies unter die Nase gerieben

(1)
http://www.salzburg.com/nachrichten/meinung/standpunkt/sn/artikel/der-irrweg-in-die-verbotsgesellschaft-228590/

(2) https://nzz.at/oesterreich/geist/wahrheitsministerium-bitte-nicht
https://nzz.at/s/pUCUvux2

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> Bobodämmerung

Warum muß man eigentlich in Hipstermedien lesen, woran die Linke krankt,
damit die Chance besteht, daß das jemand ernstnimmt? Zwei von mehreren
Beiträge der letzten Monate seien hier zitiert.

Da wäre im November letzten Jahres einmal Manfred Klimek in vice.com. Der
meint über sich selbst er sei müde, "weil man sich als Prophet selber nicht
ertragen kann, als Klugscheißer, der dann doch recht hatte, wiewohl ihm
davor ekelte. Fakt ist: Diese akademische, linksgrüne Bobo-Elite ist am
Ende. Donald Trump, dessen Wahlsieg gerade richtig kommt, macht die Sache
klar: Das Projekt der liberalen Demokratie scheitert, weil die Gemeinschaft
der vermeintlich Anständigen eine Tat begangen hat, die leider in keinem
Strafgesetzbuch steht: die Errichtung einer neuen Klassengesellschaft."
Jetzt kämen diese "wohllebigen, um-die-Wette-gendernden,
Yogaschulbezirks-Linken (Kaffee ohne Koffein, Mehlspeisen ohne Zucker,
Multikulturelles ohne Konflikte, wie Slavoj Zizek sagt)" darauf, daß da
einiges schiefgelaufen sei: "Ja, so liest man selbstbezichtigend, man habe
die Abstiegsängste der Mittelschicht unterschätzt. Ja, man kapiere nun, dass
nicht nur die '30 Prozent Idioten, mit denen man leben muss' (wie Doris
Knecht vor zwei Jahren im Kurier sagte) zum Systemwechsel beigetragen haben,
sondern auch der in seinen Grundansichten liberale Facharbeiter, dessen Job
in Gefahr ist -- auch wenn er nicht in Gefahr ist und er einer eigentlich
irrationalen Ahnung Vorrang gibt. Ja, man kapiere auch, dass man als Linke
auf die Stammklientel der Linken vergessen und diese zum Teil sogar
verachtet hat, weil sie (zumindest in unseren Augen) Kik-Jeans und
Flachbildschirmen huldigt."

Doch das alles nütze nichts mehr, denn "erst der Wahlsieg Donald Trumps und
die bevorstehenden Machtübernahmen anderer Rechtspopulisten und
Rechtsextremer überall in Europa lassen die Hauptverantwortlichen zur
Selbstkritik schreiten. Man muss es ihnen entgegenbrüllen: 'Zu spät Leute,
ihr seid raus!' Denn das Postfaktische, das diese vermeintlichen Linken den
'Idioten' immer vorwerfen; dieses Postfaktische haben diese 'Linken' seit
Jahren selbst praktiziert." Doch gibt es laut Klimek Hoffnung: "Die alte
Linke -- die die Linke seit fast 30 Jahren deformiert und zum Aufstieg der
Rechtsextremen beigetragen hat -- diese Linke ist vorbei. Sie muss nun jener
Linken platz machen, die es eigentlich immer schon gab, die nur neben ihr
unterging; jener Linken, die weiß, wie man eine Gesellschaft baut, die so
wenige Verlierer wie möglich kennt; jener Linken, die das Verlangen der
Wirtschaft nicht als gottgegeben ansieht und die noch an die Gestaltung der
Verhältnisse glaubt, anstatt daran, sich im falschen Leben ein richtiges
einzurichten." (1)

Ähnlich tönt Anfang Jänner Peter Nowak in "Telepolis". Dieser macht seine
Kritik allerdings an der Liebe der Bobo-Linken zur EU fest: "Wenn Linke oder
Liberale auflisteten, was ihnen im vergangenen Jahr so besonders sauer
aufgestoßen ist, fehlte das Brexit-Votum selten. Die Entscheidung einer
knappen Mehrheit der britischen Bevölkerung, sich aus der EU zu
verabschieden, rangiert neben der Trump-Wahl und dem internationalen
Bedeutungszuwachs von Erdogan und Putin als Indikator für einen weltweiten
Rechtsruck. Nun ist nicht zu bestreiten, dass die Brexit-Kampagne mit großer
Mehrheit mit nationalistischen Argumenten geführt wurde. Die Lexit-Kampagne
linker Gruppen und einiger kleinerer Gewerkschaften, die mit ganz anderen
Argumenten ebenfalls für den Austritt aus der EU warben, hatte es schon in
Großbritannien schwer, wahrgenommen zu werden." Doch wäre sie laut Nowak in
Deutschland (und das gilt genauso für Österreich, meint der Zeitungsleser)
"gezielt ignoriert" worden: "Das zentrale Argument der Lexit-Kampagne wurde
nicht einmal diskutiert und kritisiert, sondern einfach nicht beachtet. Es
lautet: Die EU in ihrer aktuellen Form ist ein Desaster für Arbeiter-,
Gewerkschafts- und Flüchtlingsrechte. Sie ist also gerade nicht die von
vielen Linken und Liberalen so hochgelobte Alternative zur nationalistischen
Brexit-Kampagne, sondern nur die andere Seite der Medaille."

Denn: "Es sind Länder wie Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, wo
durchaus nicht mehr so klar ist, wie ein Votum über die EU heute oder in
einigen Monaten dort ausgehen würde. ... Über einen längeren Zeitraum gab
der portugiesische Autor Miguel Szymanski mit seiner Kolumne in der Taz
einen Einblick in das Ausmaß von Verzweiflung und Entrechtung, das gerade
junge Menschen in diesen Ländern durch die Austeritätspolitik von
Deutsch-Europa zu ertragen haben. Aber merkwürdigerweise wird über diese
Rechte junger Menschen, die ihnen durch die konkrete Politik der EU genommen
werden, bei denen nicht geredet, die jetzt darüber klagen, die
Brexit-Entscheidung habe jungen Briten Rechte als EU-Bürger genommen. Und es
scheint auch wenig wahrscheinlich, dass die beeindruckenden Schilderungen
der Folgen der Austeritätspolitik, die Szymanski in seinen Kolumnen
darlegte, bei manchen bedingungslosen EU-Befürwortern auch nur zum
Nachdenken geführt haben könnte." Nowak sieht abschließend das Votum der
Briten als Chance: "Diese Deutsch-EU muss nach dem Brexit hoffentlich noch
einige weitere Niederlagen einstecken, damit sich ein transnationales
europäisches Projekt entwickeln kann, das bestimmt nicht von Brüssel und
Berlin vorgegeben wird. Wann und wie es sich entwickelt, hängt von der
Bereitschaft ab, wie wir uns mit den Kämpfen von Menschen und Bewegungen
solidarisieren. Die Unterstützung der kleinen britischen Lexit-Kampagne bei
ihren Bemühungen, nicht den Rechten und Nationalisten in einem
Großbritannien ohne EU das Feld zu überlassen, könnte ein Anfang sein." (2)

(1) https://www.vice.com/alps/article/zahltag-zeitenwechsel
(2) https://heise.de/-3586612



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