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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Januar 2017; 10:04
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EU/Medien/Glosse:

> Nazisprech erreicht Mainstream

Bekanntlich fuhr vor kurzem das FPÖ-Führungspersonal nach Moskau, um dort
mit der Partei "Einiges Russland" einen "Freundschaftsvertrag" zu
unterzeichnen. Es gibt gute Gründe, diese Reise kritisch zu reflektieren -
und es gibt Gründe, die nicht bloß grenzwertig, sondern schlicht
neonazistisch sind.

So liest Conrad Seidl im "liberalen" Mainstream-Medium "Der Standard" der
FPÖ-Spitze wegen deren Moskau-Trip mit folgenden Worten die Leviten: "Die
Gründungsväter des VdU und der Freiheitlichen Partei werden sich im Grabe
umdrehen. Zehntausende Soldaten, die von Hitler in den Krieg gegen Russland
geschickt wurden und im Krieg gegen die sowjetische Herrschaft über
Osteuropa gefallen sind, ebenso".(1)

Das lässt tief blicken. Den Nachfolgern der Nazis wird quasi vorgeworfen,
dass sie keine richtigen Nazis mehr sind. Offensichtlich nach dem Motto
'Wenn das der Führer wüsste', geißelt Conrad Seidl die FPÖ als "geschichts-
und ideologievergessene Rechte". Dass "Hitlers Soldaten im Krieg gegen die
sowjetische Herrschaft über Osteuropa gefallen sind", wird Conrad Seidl
hoffentlich einen Eintrag im Dokumentationsarchiv des Österreichischen
Widerstands einbringen. Hitlers Angriffs- und Vernichtungskrieg im Osten
solcherart zu legitimieren, ist ein klassisches Stereotyp neonazistischer
Propaganda.

Es wäre freilich eine grobe Verharmlosung, den Kommentar Conrad Seidls als
einmaligen Ausrutscher eines Journalisten abzutun. Seidl hat die Nase im
Wind. Bereits im November 2014 verweigerten alle EU-Staaten - auch
Österreich! - einem Antrag gegen die wieder aufkeimende Verherrlichung des
Nationalsozialismus in der UNO-Generalversammlung die Zustimmung. Und am
20.12.2016 - just an dem Tag, an dem Seidls Kommentar veröffentlicht wurde -
hat sich dieser Skandal wiederholt. Erneut haben die EU-Staaten dem Antrag
"Kampf gegen Heroisierung des Nazismus, Neonazismus und andere Handlungen,
die die Eskalation von modernen Formen des Rassismus, der
Rassendiskriminierung, des Fremdenhasses und der damit verbundenen
Intoleranz fördern" in der UNO-Generalversammlung die Zustimmung verweigert.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die EU arbeitete beim Staatsstreich in
der Ukraine im Februar 2014 mit neofaschistischen und antisemitischen
Milizen zusammen, um einen prowestlichen Regimechange in Kiew durchzusetzen.
Diese Milizen verherrlichen NS-Kollaborateure wie Stephan Bandera. Die neue
prowestliche Regierung unter Petro Poroschenko ließ den 14. Oktober, den
Gründungstag der UPA (Ukrainische Aufständische Armee), zum Staatsfeiertag
ausrufen. Die UPA war während des 2. Weltkriegs in die NS-Kriegs- und
Vernichtungsmaschinerie integriert und für furchtbare Verbrechen an der
Zivilbevölkerung verantwortlich. Eine EU-Polizeimission trainiert derzeit
Einheiten des ukrainischen Innenministeriums, dem auch Milizen wie das
Asow-Batallion unterstellt sind. Dessen Anführer Andrij Biletzki sieht den
Kampf gegen die Aufständischen in der Ostukraine als "Kreuzzug für die weiße
Rasse" und zwar "gegen die von Semiten geführten Untermenschen". Zu den
beliebten Symbolen des Asow-Bataillons zählen SS-Rune und Hakenkreuz.

Je stärker sich der militaristische Kern des EU-Projekts herausschält, desto
hellsichtiger erweist sich die Analyse des Friedens- und Zukunftsforscher
Robert Jungk. Dieser hatte 1991 - als Präsidentschaftskandidat der Grünen! -
die EG bzw. EU als "eine höchst subtile Form des Faschismus" (2) bezeichnet.
Jungk hatte bereits vor zweieinhalb Jahrzehnten erkannt, dass dem
neoliberalen EU-Marktfundamentalismus ein enorm autoritäres,
militaristisches Potential innewohnt. Leute wie Conrad Seidl, der bei kaum
einer Gelegenheit verabsäumt, die weitere Militarisierung der EU zu
propagieren, belegen, dass auch in "liberalen" Kreisen die Scheu bröckelt,
den erneuten Drang nach Osten mit ideologischen Versatzstücken und
Feindbildern aus einer Ära zu legitimieren, als das weniger subtil geschah.

Der FPÖ-Spitze wird der Seidl-Kommentar ein paar Schenkelklatscher wert
gewesen sein. Als Kollateralnutzen ihrer Moskaureise dürfen sie verbuchen,
dass sie gegebenenfalls vom "liberalen" Mainstream rechtsaußen überholt
werden, wenn es dem gemeinsamen Ziel - Aufbau einer militärischen
EU-Großmacht - dienlich ist. Und bei braunen Rülpsern aus ihren Reihen, die
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder kommen werden, können
Strache & Co in Hinkunft augenzwinkernd auf ihren Spießgesellen in der
Standard-Redaktion verweisen.

Für die antifaschistische Bewegung in Österreich sollten solche Kommentare
ein Weckruf sein, den engen Zusammenhang zwischen imperialer
EU-Großmachtspolitik und dem Erstarken des Rechtsextremismus zu
reflektieren - und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Der Nazipropaganda
müssen wir überall entgegentreten! Demonstrieren wir in diesem Sinne am 4.
Februar 2017 in Linz gegen den Burschenbundball, gegen die schwarz-blaue
Sozialabbaupolitik in Oberösterreich und für ein neutrales,
antifaschistisches Österreich, das sich in keiner Form an der
EU-Militarisierung beteiligt!
(Gerald Oberansmayr, Solidarwerkstatt)

Quelle:
http://www.solidarwerkstatt.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1605:nazipropropaganda-erreicht-den-liberalen-mainstream&catid=19&Itemid=44

(1) Der Standard, 20.12.2016 (Anm. akin: Man könnte zur Ehrenrettung Seidls
annehmen, daß diese Bemerkung ironisch gemeint gewesen sei, um das Denken
der alten Nazis in der FPÖ zu illustrieren. Immerhin war aber der
Standard-Redaktion eine mögliche und naheliegende affirmative Interpretation
dieser Textstelle offensichtlich derart peinlich, dass sie den Artikel
kommentarlos aus der Online-Ausgabe löschte. Der Text ist aber noch in Kopie
im Netz zu finden, beispielsweise unter:
http://www.pressreader.com/austria/der-standard/20161220/282192240634802 )

(2) OÖ-Nachrichten, 9.12.1991

(3) Demonstration gegen den Burschenbundball (Linz), 4.Februar 2017, 16:00,
Treffpunkt: Bahnhofsvorplatz Hauptbahnhof Linz. Veranstalter: Bündnis Linz
gegen Rechts http://linz-gegen-rechts.at



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