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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Dezember 2016; 09:38
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> AMS-Melderegister-Novelle ist durch

Kommentar der *Aktiven Arbeitslosen*

Am 20.12. hat der Bundesrat eine Novelle zum Arbeitsmarktservicegesetz und
zum Arbeitslosenversicherungsgesetz verabschiedet, die neben einer
Verlängerung der Kurzarbeitsbeihilfe noch eine böse Weihnachtsüberraschung
für Arbeitslose bereit hält: Ab 1.1.2017 darf das AMS ohne irgendwelche
Einschränkungen auf konkrete Verdachtsmomente generell über alle Arbeitslose
beim zentralen Melderegister eine "Verknüpfungsanfrage" stellen und so die
Daten aller in einer Wohnung gemeldeten Menschen erhalten, auch wenn diese
nur in einer Wohngemeinschaft leben und sonst nichts mit den beim AMS
gemeldeten Arbeitslosen zu tun haben.

Der Sozialminister will nämlich laut Erläuterung im Regierungsentwurf, dass
"sowohl Scheinwohnsitze in Österreich wie auch (verschwiegene oder
bestrittene) Lebensgemeinschaften leichter überprüft und aufgedeckt werden
können." Wie groß die "missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen"
tatsächlich ist, nennt der Entwurf nicht, obwohl eine Kostenfolgeabschätzung
(Aufwand gegen Ertrag) vom Gesetz her vorgeschrieben ist.

Obwohl der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes in seiner kritischen
Stellungnahme bezugnehmend auf eine bereits 2008 vorgebrachte Stellungnahme
darauf verweist, dass die Abfrage aller im Haushalt lebender Menschen das
Grundrecht auf Datenschutz und das ebenfalls im Verfassungsrang stehende
Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8
Europäische Menschenrechtskonvention verletzt und Abfragen daher nur im
Falle konkreter Verdachtsmomente gemacht werden sollen, fährt Sozialminister
Alois Stöger über alle Bedenken, auch im Sozialausschuss von den Grünen
vorgebracht, drüber und peitscht die Regierungsvorlage - für die eine
verkürzte Begutachtung von nur 2 Wochen vorgesehen war - im Parlament durch.

Das AMS stellt bereits beim geringsten Verdacht ohne vorheriges
Parteiengehör bei dem die Betroffenen zu den Anschuldigungen Stellung nehmen
können, den Bezug ein und kehrt so die in der Verfassung festgeschriebene
Unschuldsvermutung de facto in eine Schuldvermutung um. Daher werden
tausende unschuldige Arbeitslose behelligt, bloß weil sie in einer
Wohngemeinschaft leben und das AMS ihnen eine mögliche Lebens- und
Wirtschaftsgemeinschaft unterstellt. Zudem schickt das AMS Schnüffler aus,
die unangemeldet einen Augenschein bis in die intimsten Winkel der Wohnung
vornehmen und mitunter den Überraschungseffekt ausnutzen, um rechtswidrige
Einvernehmungen, die eigentlich nur mit Ladung nach angemessener
Vorbereitungszeit auf der Behörde erlaubt sind, durchzuführen. Dass der
Zutritt zur Wohnung durch das im Verfassungsrang stehende Hausrecht
verweigert werden kann, sagen die Schnüffler den Überrumpelten im Regelfall
nicht, die mitunter auch gleich bei den Nachbarn Nachforschungen anstellen
dürften.

Das AMS wird also sensible Daten von abertausend Menschen erhalten, die -
weil diese in keiner Lebensgemeischaft mit Arbeitslosen leben - in keiner
Weise das AMS etwas angehen und vom Arbeitsmarktservicegesetz her auch nicht
erhoben oder gespeichert werden dürfen!

Anrechnung des Partnereinkommens wird verschärft

Obwohl auch in Partnerschaft lebende Menschen voll in die
Arbeitslosenversicherung einzahlen müssen, muss das AMS beim Bezug der
Notstandshilfe das Einkommen des/der Partner/in anrechnen. Die Freigrenze
ist mit Euro 642 Euro (Stand: 2016) derart gering, dass der Staat so
tausende Familien und Partnerschaften mit voller Gewalt weit unter die
offizielle Armutsgrenze drückt: Jeder Euro den der Partner mehr verdient,
wird vom AMS-Bezug beinhart abgezogen. Pro Kind gesteht der Staat nur 279
Euro als Freigrenze zu! Und das, obwohl die Notstandshilfe - je nach
Versicherungszeiten - sowieso schon auf 895 bzw. 1043 Euro "gedeckelt" wird
und auch so deutlich unter der Armutsgrenze liegt.

AK und ÖGB?

Obwohl die AK immer wieder die Abschaffung der Anrechnung des
Partnereinkommens zumindest am Papier fordert, stimmt sie unisono ebenso wie
die Industrieellenvereinigung der Datenübermittlung an das AMS zu und
rechtfertigt diese Schikane auch noch: "Die Angaben von Personen zu
eventuellen Lebensgemeinschaften, die einen Antrag auf Notstandshilfe
stellen, können so besser überprüft werden. Da eine faktenbasierte
Entscheidung sowohl im Interesse der Arbeit Suchenden als auch im Interesse
der Versichertengemeinschaft ist, wird auch gegen diese Änderung kein
Einwand erhoben."

Der ÖGB geht wie so oft, wenn die Rechte der Arbeit Suchenden
ArbeitnehmerInnen eingeschränkt werden, ganz auf Tauchstation, was
angesichts dessen geradezu reaktionäre Verteidigung der strukturellen Gewalt
durch das Existenz bedrohende Sanktionenregime vielleicht besser ist, denn
im Frühjahr hatte der ÖGB Bundesvorstand gar die Ausschöpfung der
Sanktionsandrohung bei der Mindestsicherung sowie Direktzahlungen an
Vermieter und Energielieferanten gefordert, was ebenfalls das Grundrecht auf
Datenschutz verletzt und die Ärmsten auch noch bloßstellt!
(gek.)

Kontakt:
Aktive Arbeitslose Österreich, +43-676-35 48 310
http://www.aktive-arbeitslose.at

Infos
TT-Interview: Stöger will mehr Urlaub und neue Steuern (20.12.2016)
http://www.tt.com/politik/innenpolitik/12401869-91/st%C3%B6ger-will-mehr-urlaub-und-neue-steuern.csp
Begutachtungsentwurf samt Begutachtungsverfahren (Stellungnahmen unter dem
Reiter "Vorparlamentarisches Verfahren")
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_01344/index.shtml
Foglar: Bedarfsorientierte Mindestsicherung weiterentwickeln statt kürzen
(30.3.2016)
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160330_OTS0125



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