**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. Oktober 2016; 18:04
**********************************************************

Recht/Polizei/Termin:

> WKR2012: Gerichtsprozess am 3.11.

Eine Sachverhaltsdarstellung

Ein Spalier von DemonstrantInnen am Wiener Kohlmarkt, sie rufen immer
wieder: Nazi verpisst euch, keiner vermisst euch! In Ost und West - nieder
mit der Nazi-Pest! und Hinter dem Faschismus steht das Kapital, der Kampf um
Befreiung ist international!

Zwischen den zwei dichten Reihen Protestierender streben BallbesucherInnen
der Hofburg zu, immer wieder werden sie von PolizistInnen begleitet. Am
Michaeler Platz kurz vor der Hofburg ist eine Polizeisperre und nur Leute
mit Karten für den Burschenschafter-Ball werden durchgelassen. Es ist der
17. Februar 2012, etwa 20:30 Uhr.

Plötzlich schert ein in der Mitte der Straße gehender Ballbesucher aus und
stürzt auf einen Demonstranten zu, der mit einer Handy-Kamera Filmaufnahmen
der Burschenschafter macht. Die Kamera wird zur Seite gestoßen, es kommt zu
einem kurzen Gerangel mit Geschrei. DemonstrantInnen, Burschenschafter und
Polizisten sind daran beteiligt, dann marschiert der Angreifer weiter
Richtung Ball-Eingang.

Wenige Minuten später wird einer der Demonstranten von zwei Polizisten zu
Boden gerissen, sie knien sich auf ihn, bis ein weiterer Polizist hinzukommt
und sagt: Der wehrt sich doch eh net! Lasst ihn doch aufstehen! Der zu Boden
gedrückte Demonstrant mit zwei Polizisten am Rücken hat schon wiederholt
gebeten: Lasst mich aufstehen, ich kann mich ausweisen!

Ein halbes Jahr später eine Gerichtsverhandlung mit der Anklage: Versuchte
Körperverletzung und tätlicher Angriff auf einen Beamten. Hauptzeugen sind
drei Polizisten (zwei davon rissen damals den Demonstranten zu Boden). Der
vierte Zeuge der Anklage ist ein freiwilliger Zeuge, der sich spontan bei
der Polizei gemeldet hat. Wie er im Prozess angibt, war er zufällig mit
einem Bekannten bei der Polizeisperre spazieren und nicht auf dem Weg zum
Burschenschafter-Ball. Er sah, wie der Angeklagte "mit einem Gegenstand ...
vergleichbar mit der alten Gummiwurst der Polizei . versuchte . von unten,
also nicht gut sichtbar, gegen einen WKR-Ballbesucher vorzugehen" (Aussage
Zeuge Pr. vom 16.4.12)

Im Lauf der Verhandlung stellt sich allerdings heraus, dass der Angeklagte
eine weiße Fahnenstange in der Hand gehalten hatte. Der Richter zeigt die
Stange dem freiwilligen Zeugen und dieser meint, das könnte es auch gewesen
sein. Die Polizei-Zeugen sprechen übereinstimmend von einem Schlag von oben
und die Wortwahl ihrer Aussagen decken sich - kein Wunder, einer der
Polizisten gibt zu Protokoll: "Mir werden nunmehr zu Beginn der Vernehmung
die Angaben des Kollegen Tr. vorgelegt." (Protokoll Ei. 5.4.12)

Aber das sind nicht die einzigen Ungereimtheiten: So kann der angeblich
angegriffene Polizist Tr. nicht bestätigen, dass er angegriffen wurde - er
hat es nur von seinem Kollegen Ei. erfahren. (Aussage Tr. 2.4.12: "Erst
Kollege Ei. machte mich darauf aufmerksam, dass der Manifestant mit der
Holzstange auf mich einschlug"). Während des Zwischenfalls stand er mit dem
Rücken zum Angeklagten, also mit dem Gesicht zum rabiaten Ballbesucher, den
er zu beruhigen und abzudrängen versuchte.

Der Angeklagte hat gleich in seiner ersten Aussage vor Gericht klargestellt,
dass der Vorwurf absurd sei: Dieser Polizist Tr. hat den angegriffenen
Demonstranten geschützt und den rabiaten Burschenschafter verjagt. Sowohl
der angebliche Angriff auf den Beamten als auch die angeblich versuchte
Körperverletzung seien Schutzbehauptungen, um den rechtswidrigen
Polizeieinsatz gegen den Angeklagten im Nachhinein zu rechtfertigen. Der
Angeklagte sei willkürlich aus der Menge von DemonstrantInnen gepackt
worden, möglicherweise, weil er nicht schnell genug zurückgewichen sei und
eine Fahnenstange in der Hand gehalten habe (die er allerdings noch vor
seiner Festnahme fallen ließ, um nicht "Widerstand gegen die Staatsgewalt"
angehängt zu bekommen).

Am 3. November 2016 - viereinhalb Jahre danach - findet der jetzt 4.
Prozesstermin statt. Der Angeklagte hat inzwischen den filmenden und
attackierten Antifaschisten ausfindig gemacht und als Zeugen aussagen
lassen. Auch der Film zeigt deutlich, wie der Burschenschafter auf ihn
losgeht. Der Angeklagte hat zur Bestätigung seiner Aussage und seiner
Entlastung nur eine weitere Zeugin nominiert, weil gegen drei Polizisten
spielt die Anzahl der Entlastungszeugen ohnehin keine Rolle. Jetzt drohen
ihm bis zu einem Jahr Haft, weil er nicht weglief, als ein Burschenschafter
einen Antifaschisten angriff. Der Angeklagte hat jedenfalls schon vor
Gericht klargestellt, dass er auch im Falle einer Verurteilung wieder gegen
Faschismus und Rassismus auf die Straße gehen und demonstrieren werde.

Der Angeklagte ist jetzt Pensionist, war Jahrzehnte lang als Unabhängiger
Gewerkschafter aktiv, als solcher auch jahrelang Mitglied der Bundesleitung
der BMHS-Lehrer/innengewerkschaft und heißt
*Othmar Zendron*

Prozess am 3.11.2016 im Bezirksgericht Marxergasse 1a, 1030 Wien um 10:00 im
Saal 223, 2.OG



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW