**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. Oktober 2016; 17:56
**********************************************************

Kommentierte Presseschau:

> Justiz als Spektakel

"Die rechtlichen und moralischen Fragen, die Ferdinand von Schirach in
seinem Theaterstück 'Terror - Ihr Urteil' aufwirft, beschäftigen ein breites
Publikum. Die für das Fernsehen adaptierte und von der ARD verfilmte Version
konnte am Montag sowohl in Deutschland als auch in Österreich gute Quoten
einfahren." Schreibt der "Standard".

Das freut sicher die ORF- und ARD-Verantwortlichen -- da hat man eine Show
gut platziert und kann sich noch dazu rühmen, Bildungsfernsehen mit hohem
Anspruch produziert zu haben.

Thomas Fischer ist Richter am deutschen Bundesgerichtshof. Und der sieht das
ein bisserl ganz anders: "'Moral und Recht', so wird der Zuschauer ein ums
andere Mal belehrt, sind 'strikt zu trennen'. Das soll sich angeblich
irgendwie aus Kant ergeben. Leider ist diese holzschnittartige Behauptung so
falsch, dass man sich schämen sollte, sie Herrn Kant nachzurufen. Denn die
Behauptung, wie sie Schirach und seine Drehbuch-Künstler vortragen,
desavouiert ja gerade das, was Kant am Wichtigsten war. Das Recht, so
Schirach, liefert bestenfalls irgendwelche Argumente: Manche sagen so,
manche sagen so. Man kann es drehen und wenden, wie man will.
Spitzfindigkeiten, 'irgendwelche Absätze von Paragrafen'. Die Wahrheit liegt
jenseits des Rechts - so fantasiert das Stück daher, ohne sich dem Recht
überhaupt angenähert zu haben."

Ja, Fischer kommt in seiner "Zeit"-Kolumne oft ins Dozieren. Und manche
Formulierungen sind sicher auch verquast oder mißverständlich. Natürlich ist
der Text ebenso wie Schirachs Theaterstück so geschrieben, daß er sein
Publikum finden kann. Dennoch ist Fischers Artikel nicht nur unterhaltsam
sondern auch lehrreich, denn er stellt klar, daß Rechtsprinzipien ein
bisserl komplexer sind als das, was man dem Fernsehzuseher zumuten wollte --
zum Beispiel, daß Rechtswidrigkeit und Schuld nicht das Gleiche sind. Dem
Rezensenten gehen zwar beim Lesen ein wenig Fragestellungen wie etwa die
bezüglich des Unterschieds zwischen Schuldhaftigkeit und Strafbemessung ab,
aber Fischers Kolumne hat mit 4500 Wörtern sowieso schon geringe
U-Bahn-Zeitungstauglichkeit. Und natürlich ist hier auch die Einschränkung
anzumerken, daß es sich dabei um deutsches Strafrecht handelt, das gegenüber
dem österreichischem StGB bei Tötungsdelikten andere Definitionen verwendet
(auch deswegen, weil die deutschen Normen zum Teil noch auf NS-Gesetzgebung
beruhen, aber das ist eine andere Geschichte). Dennoch: Wer sich ernsthaft
mit dem Strafrecht auseindersetzen will, ist mit dieser Kolumne sicher
besser beraten als mit quotenheischenden Fernsehshows.

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/ard-fernsehen-terror-ferdinand-von-schirach-fischer-im-recht/komplettansicht

*

> Lamento als Austeritätspropaganda

"Vor 50 Jahren, im Jahre 1966, begann für die Zweite Republik ein neues
Kapitel ihrer Geschichte. Bundeskanzler Josef Klaus bildete aufgrund einer
absoluten Mandatsmehrheit der ÖVP erstmals eine Alleinregierung in
Österreich und startete mit einer reformorientierten Politik in eine neue
Ära." Das steht so unrelativiert als feststehende Tatsache in der
Parlamentskorrespondenz zu lesen. Erst wenn man weiterliest, wird klar, daß
sich diese doch eher bestreitbare Geschichtsauffassung lediglich der Zweite
Nationalratspräsident Karlheinz Kopf von der ÖVP augehirnt haben dürfte. Was
folgt ist das Lamento: "Warum laufen Regierungen mit Reformwillen und Mut
zur Entscheidung Gefahr, abgewählt zu werden?" Unter diesem Motto jammerte
zusammen mit Kopf eine Veranstaltung an der auch "der ehemalige
Staatssekretär, Bundesminister, ÖVP-Klubobmann und Zweiter
Nationalratspräsident Heinrich Neisser, die Chefredakteurin des 'Standard',
Alexandra Föderl-Schmid, der Geschäftsführer von 'Public Affairs' Thomas
Hofer, der Managing Director von 'Agenda Austria', Franz Schellhorn"
teilnahmen. Sozialdemokraten nahmen nicht an dieser Veranstaltung im
Parlament (veranstaltet von der Politischen Akademie der ÖVP und NZZ.at)
teil, wurden von Kopf allerdings als positive Beispiele angeführt "für eine
mutige Politik, die das Notwendige tut": Göran Persson und Gerhard Schröder.

Solche Veranstaltungen sind die Hintergrundmusik für die Begehrlichkeiten
des jetzigen Finanzministers oder die jüngst gezielt lancierten Überlegungen
eines leitenden Beamten im Finanzministeriums, doch wiedermal die
Körperschaftssteuer zu senken.

Schade nur, daß die Parlamentskorrespondenz statt wie gewohnt distanziert
und um Objektivität bemüht solche Veranstaltungen derart affirmativ
reportiert.

https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2016/PK1059/index.shtml

*

> Die Kunst des Zitats

"Politologe Thomas Schmidinger von der Universtität Wien teilt die
Einschätzung über die Gefahr von Terrorismusanschlägen in Österreich. Es
gebe derzeit zwar keine spezifische Bedrohung, sagt Schmidinger, der
Dschihadismus sei aber eine Bedrohung. Grundsätzlich seien überall in Europa
dschihadistisch motivierte Anschläge möglich. Das Risiko gehe dabei nicht
von den vielen Kämpfern aus, die von Österreich nach Syrien in den Krieg
ziehen, sondern von jenen, die sich in der Mehrheitsgesellschaft
radikalisieren." So liest sich das unter: vorarlberg.orf.at.

Anlaß für dieses Statement war die jüngste Wortmeldung des
ÖVP-Innenministers, der zitiert wird mit: "Wir wissen: Der nächste Anschlag
wird stattfinden, nur nicht wann und wo. Das ist eine traurige Wahrheit. Und
es gibt ja bestimmte Ethnien, die besonders anfällig sind."

Was aber hatte Schmidinger wirklich gesagt?

Das kann man in seinem Facebook-Statement nachlesen: "Dem Journalisten des
ORF Vorarlberg habe ich gesagt, dass dieses 'Es wird sicher ein nächster
Anschlag stattfinden' (äh -- wann und wo war eigentlich der letzte
jihadistische Anschlag in Österreich?) genauso falsch wäre wie ein 'Es wird
sicher keiner stattfinden.' Derzeit sind selbstverständlich in ganz Europa
jihadistische Anschläge möglich und durch den militärischen Niedergang des
IS sogar kurzfristig wahrscheinlicher als noch vor 2 Jahren. Deswegen zu
behaupten, dass sicher einer stattfinden werde, halte ich aber aus dem Mund
eines Innenministers für falsche Panikmache."

Der Bericht auf orf.at: http://vorarlberg.orf.at/news/stories/2803049/

*

Zeitungsleser: -br-


***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW