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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. Januar 2016; 15:30
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International:

> Kolonialer Handel mit Afrika

*Johanna Weichselbaumer* von der Solidarwerkstatt fordert von Österreichs
Regierung und Parlament ein Nein zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und
den AKP-Staaten.
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Das EPA (Economic Partnership Agreement) ist ein seit 2003 von der EU
gefordertes Freihandelsabkommen mit den 77 AKP-Staaten
(Afrika-Karibik-Pazifikstaaten außer Kuba), davon 48 Subsahara-Staaten,
allesamt ehemalige europäische Kolonien. Im Juni 2000 wurde in Cotonou/Benin
das Cotonou-Assoziierungsabkommen von allen damaligen EU-Mitgliedsstaaten
und den Mitgliedsstaaten der AKP-Gruppen unterzeichnet. Basis für die daraus
folgenden EPA-Verhandlungen war Art. 36 des Cotonou-Abkommens, in dem es
heißt: Wirtschaftspartnerschaftsabkommen werden mit den AKP-Ländern
abgeschlossen, die sich in der Lage sehen, dies zu tun, in dem von ihnen als
angemessen empfundenen Umfang und im Einklang mit dem von der AKP-Gruppe
festgelegten Verfahren und das unter Berücksichtigung der regionalen
Integration in der AKP-Gruppe.


Während hierzulande die Debatte über TTIP in vollem Gange war, fanden die
Vorgänge außerhalb Europas kaum Beachtung, obwohl die AKP-Staaten bereits
seit 2004 von der EU-Kommission mit dem EPAs-Freihandelsdiktat unter Druck
gesetzt werden. Dieses Freihandelsabkommen ist nach demselben Muster wie
TTIP & Co gestrickt. Enthalten ist ebenfalls die Öffnung von
Dienstleistungssektoren und ein umfassender Investorenschutz mit
Investor-Staat-Schiedsverfahren. Darüber hinaus gibt es die sogenannte
"Stillstandsklausel", die bedeutet, dass Zölle auf einem bestimmten Stand
einfach eingefroren werden können. Die "Klausel zur nationalen Behandlung"
besagt, dass Produkte aus Afrika nicht anders behandelt werden dürfen als
Produkte aus der EU. Das heißt, es gibt keinen Schutz mehr für die
regionalen Produkte. Die "Meistbegünstigten-Klausel" bedeutet, dass
afrikanische Länder zuerst die EU konsultieren müssen, wenn sie bessere
Handelsbeziehungen mit anderen Partnern eingehen wollen. Mit dieser Klausel
versucht die EU im Wettbewerb andere (USA, BRICS-Staaten,.) auszustechen.
Das Fatale daran ist, dass sie gezwungen werden, sich den
Freihandelsstandards und Normen der Mächtigen anzupassen. Wie der frühere
EU-Handelskommissar Karel De Gucht sagte: "Wir Europäer müssen globale
Standards setzen damit es nicht andere für uns tun."

Selbstermächtigung nicht zugelassen

In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Bevölkerung Afrikas ein
Bewusstsein entwickelt, aus dem heraus sich Kräfte der Selbstermächtigung,
zur Überwindung der Kolonialzeit und deren Folgen herausbilden konnten, die
eigene Projekte und Ziele anstrebten. Dessen Weiterentwicklung wurde immer
wieder von imperialen Mächten mit allen Mitteln unterbunden. Die Ablöse
erfolgte meist durch Militärs, die wiederum in europäischen Schulen
ausgebildet wurden. Das sind jene, die das Kolonialsystem verinnerlicht
hatten und deren Privilegien nutzten; jene, die den ausländischen Konzernen
Tür und Tor öffneten, die Länder möglichst billig zu plündern und sich Grund
und Boden anzueignen ohne Rücksicht auf Bevölkerung und Umwelt. Das sind die
beliebtesten Geschäftspartner auch der europäischen Konzernmächte.

Seit den 1980er Jahren wurde durch die Liberalisierung und "strukturelle
Anpassungsprogramme" bereits eine fatale Marktöffnung erreicht. Wir alle
kennen die Berichte und Bilder aus Westafrika und Kamerun von der
Überschwemmung der dortigen Märkte mit billigsten, hochsubventionierten
Hühnerkleinteilen, mit Trockenmilch, Tomatenpaste etc. aus der
Überproduktion der EU-Länder. Die Geflügelproduktion in Ghana ist damals
total zusammengebrochen, bis zu 100.000 Arbeitsplätze sind verloren
gegangen, die Existenz tausender Kleinbauern wurde zerstört. Kamerun wehrte
sich mit hohen Importzöllen, eine Option, die mit dem EPA nicht mehr möglich
ist. Im Vergleich: deutsche Schlachtereien exportierten im Jahr 2000
lediglich 5.000 Tonnen, im Jahr 2012 bereits knapp 43 Millionen Tonnen
Hähnchen an Staaten südlich der Sahara(1). Mit EPAs soll nun die neoliberale
Ausbeutung zugunsten der EU-Eliten und zum Ruin der Völker Afrikas
einbetoniert werden. Die schwächeren Nationalökonomien Afrikas wären dann
dem EU-Freihandelsregime schutzlos ausgeliefert. Durch den Abbau der Zölle
auf ca. 80% der Waren, durch ein Verbot von Exportsteuern auf Rohstoffe
würden die Staatshaushalte enorme Einnahmen verlieren. Der Aufbau von
staatseigenen Industrien und die regionale Integration in allen Beziehungen
werden dadurch erschwert oder gänzlich verhindert.

Widerstand in Afrika

Die von der EU diktierte Frist, die EPA sollen bis 1.1.2008 in Kraft treten,
konnte durch viele Verhandlungsschwierigkeiten und den daraus erwachsenden
Widerstand nicht eingehalten werden. Dr. Boniface Mabanza von der
Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (Heidelberg): "Die EU-Kommission
verfügt über einen Riesenapparat, um in verschiedenen Regionen gleichzeitig
zu verhandeln und hat die Kapazitäten zur Durchschlagskraft. Diese Stärken
haben wir nicht. Die EU wollte uns Verhandlungsexperten zur Verfügung
stellen. Diese von der EU bezahlten Experten wollten wir nicht. Das würde
bedeuten, dass die EU mit sich selbst verhandelt. Der aktuelle Präsident von
Namibia, damals (2009) Handelsminister, machte darauf aufmerksam, dass die
AKP-Unterhändler von den EU-Verhandlern respektlos behandelt wurden. Wir
wollen keine Praktiken die uns in die Kolonialzeit zurückführen."

Nach dem Scheitern bis zur 1. Frist wurde eine 2. Frist bis Oktober 2014
gesetzt. Der Terror seitens der EU gegenüber den AKP-Staaten erreichte in
diesem Zeitraum ein enormes Ausmaß. Wie vertraglich ausgemacht, wurde durch
den anhaltenden Widerstand nicht mehr regional verhandelt, sondern einzelne
Staaten unter Druck gesetzt, insbesondere die wirtschaftlich stärkeren. Auf
Kenias Exporte wurden solange 30% Strafzölle verhängt, bis sie zum Aufgeben
gezwungen waren, da die ArbeiterInnen nicht mehr bezahlt werden konnten,
weil die Waren nicht mehr exportiert werden konnten und verdarben. Mit der
Androhung von Strafen wie diesen wurden auch andere Länder erpresst, Staaten
gegeneinander ausgespielt und mit verlogenen Hilfsangeboten weichgekocht.
Die AKP-Staaten, die kein vollwertiges oder vorläufiges EPA unterzeichnet
oder angewandt haben, haben ab 1.Oktober 2014 den bevorzugten Zugang zum
EU-Markt verloren.

Auf Grund dieser schamlosen Vorgangsweisen sind bereits viele AKP-Staaten
eingeknickt. Der Widerstand seitens der Regierungen hat immerhin seit 12
Jahren angehalten und einige weigern sich noch weiterhin. Der Widerstand in
der Zivilgesellschaft Afrikas ist ungebrochen, die Orientierung wird sich
nun auf die Verhinderung der Ratifizierungen in den nationalen Parlamenten
richten.

Ratifizierungsablauf durchkalkuliert

In den EU-Mitgliedsstaaten müssen alle Nationalstaaten dieses Abkommen
unterzeichnen und ratifizieren, weil die (völlig unzureichenden)
Kompensationsmaßnahmen, wie im Falle Westafrikas, von allen
EU-Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden. Für die AKP-Staaten
wurden diese Prozesse anders geregelt. Im Falle Westafrikas (ECOWAS) müssen
nur 2/3 der Mitgliedsstaaten ratifizieren, damit es in Kraft treten kann. Da
zeitgleich (Jänner 2015) aber auch die schon lange geplante westafrikanische
Zollunion verabschiedet wurde, wird es für die Nicht-Unterzeichner zunehmend
schwerer werden, ihre Märkte gegen EU-Importe zu schützen, die im Rahmen der
Zollunion eingeführt werden(2). Mit dieser 2/3 Ratifizierung werden
blockierende Staaten, wie Nigeria, umgangen. Nigeria stellt mehr als die
Hälfte der Bevölkerung und Wirtschaftskraft der Westafrikanischen
Gemeinschaft (16 Länder) dar. So werden Staaten unter dem Druck der EU
gegeneinander ausgespielt, wirtschaftlich ruiniert und neuer Zündstoff für
Konflikte gelegt.

Auch eine Fluchtursache

Um Fluchtursachen wirklich zu bekämpfen. fordern wir von der
österreichischen Bundesregierung und dem Nationalrat Ablehnung aller
EPA-Verhandlungen und FAIRhandel statt Freihandel - wirkliche
Partnerschaftsabkommen auf gleicher Augenhöhe!

Warum nicht einmal den Spieß umdrehen und die Handelsvereinbarungen- und
abkommen, wie in diesem Fall, von den AKP-Staaten bestimmen lassen, statt
durch das Großmachtstreben der EU-Eliten immer neue Fluchtursachen zu
schaffen! Die EU-Politik produziert durch diese Freihandelsregime die
Flüchtlinge, lässt diese ohne Gewissensbisse jämmerlich auf den tödlichen
Pfaden durch die größte Wüste der Welt zu Tode kommen, liefert sie den von
ihnen an die Macht geputschten Terrormilizen in Libyen aus oder lässt sie
mit Beihilfe von Frontex im Meer ertrinken. Diese EU-Politik errichtet
tödliche Zäune und Mauern an den EU-Außengrenzen, die verhindern sollen,
dass die Flüchtlinge zu jenen kommen, die sie um ihre Existenz und Zukunft
beraubt haben.
(bearb.)

(1) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59231
(2)
http://www.zenithonline.de/deutsch/wirtschaft/a/artikel/zeit-zu-handeln-004423/

Quelle:
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1405



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