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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. November 2015; 08:22
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Medien/Glosse:

> Vom Stürzen einer Regierung

"Die Revolution ist für Dienstag angesetzt: Bei einer Parlamentsabstimmung
wollen die linken Parteien Portugals die Mitte-rechts-Regierung stürzen --
und anschließend die Macht übernehmen."
(Spiegel Online, 8.11.2015)

"Bei der Parlamentswahl vom 4. Oktober hatten die linken Parteien im
Lissabonner Parlament zusammen eine Mehrheit der Sitze errungen.
Staatspräsident Anibal Cavaco Silva ernannte jedoch Passos Coelho erneut zum
Regierungschef, weil dessen Mitte-rechts-Bündnis aus der Wahl als stärkste
politische Kraft hervorgegangen war."
(Die Presse, 8.11.2015)

"Die linken Oppositionsparteien in Portugal wollen die konservative
Minderheitsregierung morgen mit einem Misstrauensvotum stürzen."
(ORF.at, 9.11.2015)

So oder ähnlich formuliert findet die Berichterstattung in fast allen
Massenmedien statt über das, was derzeit in Portugal passiert.

Da stimmt doch irgendwie was nicht!?

Eigentlich stimmt da gar nichts. Oder zumindest sind einige Formulierungen
eher unpassend oder Wichtiges auslassend. Gut, daß in vielen Berichten nur
von einer "Mitte-Rechts-Regierung" und einem "konservativen Regierungschef"
gesprochen wird und eher selten der Name seiner Partei genannt wird, ist
schon irgendwie verständlich. Denn die Partei von Pedro Passos Coelho trägt
den Namen "Partido Social Democrata" (PSD). Diese Partei in den Berichten
als sozialdemokratisch zu bezeichnen, wäre allerdings sehr falsch, ist sie
doch Mitglied der "Europäischen Volkspartei". Die Parteibezeichnung könnte
den Leser doch etwas verwirren, also umschreibt man die Partei lieber. Es
könnte aber auch sein, daß es wirklichen Sozialdemokraten peinlich ist, wie
weit eine Partei, die tatsächlich mal eine sozialdemokratische sein wollte,
nach rechts rücken kann.

Die Bezeichnung "Sozialistische Partei" (PS) wird aber sehr wohl verwendet.
Das klingt heute schon sehr nach streng marxistisch -- die PS ist allerdings
die portugiesische Sozialdemokratie und in den selben internationalen
Dachorganisationen wie die SPÖ. Die Bezeichnung "linke Parteien", von denen
die PS die stärkste ist, ist also auch Ausdruck einer nur sehr relativen
Einschätzung gegenüber den bisherigen Regierungsparteien.

Und die wenigsten Berichte erwähnen, daß der Präsident halt nicht einfach
der weise Staatsonkel ist, sondern einer der Vorgänger von Passos Coelho
sowohl als Ministerpräsident als auch Chef der PSD. Würde man das nämlich
erwähnen, könnte man auf die Idee kommen, daß der Staatspräsident einfach
nicht will, daß seine Partei die führende Rolle in der Regierung aufgeben
oder sogar in die Opposition muß.

Ja, nicht alle Berichte in den Massenmedien sind so schleißig und
tendenziös, aber zumindest die meisten. Zur Ehrenrettung des "Spiegel" sei
gesagt, daß er -- bei aller sonstigen Tendenz -- wenigstens weiß, welcher
Partei der Staatspräsident angehört. Was aber so gut wie in allen Berichten
vorkommt -- meist in der Headline --, ist das Wort vom "Sturz". Nun ist es
doch in europäischen Parlamenten eigentlich immer so, daß eine Mehrheit im
Gremium der gewählten Volksvertreter die Zusammensetzung der Regierung
bestimmt. Nur weil der Staatspräsident sturerweise einen anderen
Regierungschef möchte, ist bei Portugal von "Sturz" die Rede? Der "Spiegel"
schreibt sogar von "Revolution" und "Machtübernahme" -- eine seltsame
Formulierung für einen stinknormalen Regierungswechsel! Viel fehlt da nicht
mehr bis zu: "Putsch".

Oder hat das gar etwas damit zu tun, daß die Kommission für Wahrheit und
Weisheit mit ihren Stammsitzen in Brüssel, Berlin und Frankfurt sich davor
fürchtet, daß diese neue Mehrheit im Parlament ihre Wahlversprechen wahr
machen und den beinharten Austeritätskurs Portugals beenden oder zumindest
abmildern könnte? Will da die deutschprachige bürgerliche Presse einen neuen
Tsipras an die Wand malen? Will man da Stimmung machen, wie man es bei
Griechenland schon sehr erfolgreich praktiziert hat?

Demnächst sind auch Wahlen in Spanien. Sollte dort Podemos doch noch
stärkste Partei werden, wird man dann auch von einer "Machtübernahme"
schreiben?

Wir reden da ja nicht über wirkliche Linke, sondern nur über nicht völlig
korrupte Sozialdemokraten. Die wollen auch einmal den Regierungschef stellen
und haben sogar eine Mehrheit im Parlament dafür! Horribile dictu! Da sei
die bürgerliche Presse vor! *Bernhard Redl*



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