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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. November 2015; 08:43
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Medien/Glosse:

> Fragen über Fragen

Warum ein Interview kein Kommentar sein sollte

Der Schweizer Psychoanalytiker Aron Bodenheimer hat sich sehr ausführlich
mit der Frage beschäftigt. Nein, nicht mit der "Frage nach..." sondern mit
dem Fragen an sich. In seiner Schrift "Warum? Von der Obszönität des
Fragens" führt er als sehr frühes Beispiel einer niedergeschriebenen Frage
jene Stelle im 3.Kapitel der Genesis an, wo Gott fragt: "Wo bist du, Adam?"
Als ob Gott, der Allwissende, das nicht wüßte! Danach will Gott auch noch
wissen: "Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du von dem Baum
gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?" Das sind aber alles keine
Fragen im eigentlichen Sinne. Gott weiß das alles und er weiß auch, warum
sich Adam so schämt, daß er sich verstecken will. Bodenheimer: "In dieser
Episode kommt zum erstenmal das Fragen ins Bewußtsein des Menschen: das
Fragen als zunächst verhülltes Beschuldigen; als Präludium des
Paradiesfluches. Als Beginn der Geistesgeschichte."

Ganz ähnlich sieht Bodenheimer auch die Frage: "Liebst Du mich?" Denn eine
solche Frage bedeute ja, daß "sie die 'nein'-Antwort antizipierend
ausschließt. Dieser obszöne Trick macht eine Frage zur Waffe aus dem
Hinterhalt."

Derlei sind keine echten Fragen. Da will niemand etwas wissen. Vielleicht
ist hier die Kategorie "rhetorische Fragen" angebracht, aber das Instrument
der Frage gehört nun mal ursächlich in den Bereich der Dialektik und nicht
der Rhetorik. Wer etwas im eigentlichen Sinne fragt, will eine Antwort
hervorrufen, sprich: provozieren. Daher ist nur eine provokante Frage eine
wirkliche Frage.

Warum kommt mir das jetzt in den Sinn? Nun, weil "Was hat jemand wie Sie im
österreichischen Parlament verloren?" eben keine Frage ist. Vielleicht ist
das, was da ORF-Interviewer Armin Wolf der seltsamen
Nationalratsabgeordneten Susanne Winter entgegengeschleudert hat, ein
Vorwurf oder eine Rücktrittsaufforderung.. Vielleicht ist es auch ein
Kommentar, der nicht an die Interviewte sondern an das Publikum gerichtet
ist, und meint im Klartext: "Winter hat nichts im Parlament verloren!" Das
wäre eine Feststellung oder sogar ein Imperativ, aber sicher keine Frage.

Der Ex-Grünpolitiker Johannes Voggenhuber hat diese Frage als "Lynchjustiz"
gebrandmarkt, weil Wolf das freie Mandat damit in Frage gestellt habe. Darum
geht es hier zwar nicht, doch im Zuge dieser Debatte verwies Armin Wolf
mehrmals auf einen Text seines verstorbenen Kollegen Hans Benedict, der
gemeint hatte, ein Interviewer solle sich nicht selbst zum "Mikrophonhalter"
degradieren. Benedict schrieb aber in diesem von Wolf zitierten
ORF-Schulungsmanuscript auch: "Das echte Gesprächsinterview verlangt immer
nach einer gewissen Spannung zwischen Fragern und Befragten -- diese darf
aber weder vom Ton noch vom Inhalt her den Anschein der Feindseligkeit
enthalten." Halte -- so Benedict weiter -- der Interviewer dem Interviewten
"Argumente oder gar polemische Beschuldigungen vor, die für das Publikum
erkennbar Gedankengut von Gegnern des Interviewten sind, so ist strenge
Zitierung und indirekte Fragestellung am Platz. (...) Keinesfalls soll der
Interviewer die jeweilige politische Polemik 'adoptieren'. Tut er dies, wird
er vom Publikum natürlich als Gegner des Interviewten qualifiziert."

Wenn auch Wolf sich 2015 auf Benedict beruft, der diesen Text 1973
geschrieben hat, so hat sich generell einiges seither im ORF geändert. Nicht
zuletzt Wolf ist es zu verdanken, daß im Staatsfernsehen heute Interviews
häufiger mit einer erhöhten Aggressivität geführt werden, was man als
erfreuliche Entwicklung betrachten kann. Und man muß einem Journalisten auch
im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugestehen, daß er seiner Meinung
Ausdruck verleihen darf und sie nicht immer hinter einer bemühten, aber nie
realisierbaren "Objektivität" verstecken muß. Das ist auch deswegen wichtig,
weil diese Meinung damit angreifbar und diskutierbar wird, was bei der sonst
üblichen Produktion einer Sphäre von angenommenen Selbstverständlichkeiten
nicht so leicht möglich ist. Das Problem dabei: Der explizite Kommentar wird
in den Nachrichtensendungen des ORF kaum gepflegt. Wenn, dann ist das eine
"Analyse", die aus Banalitäten besteht, die niemandem wirklich wehtun.

Wolf will aber wehtun. Doch er steckt nicht in der Rolle des Kommentators
sondern in der des Interviewers. Also will er mit Fragen wehtun. Oft sind
das Fragen, mit deren Beantwortung der Interviewte sich schwer tut. Und das
ist gut so. Wolfs Interviewtechnik ist an sich vorbildhaft. Nur: Wenn Wolf
Fragen stellt, die keine sind, weil nicht beantwortbar, wird es
problematisch. Dann kommt eine dezidierte Meinungsäußerung im Kleid der
bescheidenen, wißbegierigen Frage daher. Nicht nur wird dadurch aber das
Interview als solches zerstört, weil keine Diskussionsbasis mehr vorhanden
ist, sondern diese "Frage" wird zu dem, was Bodenheimer als "Waffe aus dem
Hinterhalt" bezeichnet.

Vielleicht sollte man sich im ORF überlegen, ob man nicht auch deklarierte
prägnante und kontroversielle Kommentare zulässt und sich dafür in
Interviews auf das Provozieren von Antworten beschränkt. Das wäre sauberer.
*Bernhard Redl*



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