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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. August 2015; 17:12
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Polizei/Recht:

> OGH: Davonlaufen ist Körperverletzung

Salzburg. Rudolfskai, Nacht von Freitag auf Samstag, 1 Uhr früh. Besoffene
randalieren vor einem Beisl. Polizei kommt und mischt sich ein. Also das
Übliche für diesen Ort zu dieser Zeit. Zwei Männer, die an der Schlägerei
beteiligt waren, haben keine Lust, beamtshandelt zu werden und laufen davon.
Kommt auch häufiger vor. Eine Polizistin will die Beiden verfolgen und über
eine Mauer springen, verletzt sich dabei aber. Volkstümlich ausgedrückt ist
sie über ihre eigenen Haxen gestolpert. Auch sowas kommt bisweilen vor. Ein
Fremdeinwirken war also nicht gegeben, von Körperverletzung nach dem
Strafrecht kann also keine Rede sein.

Aber jetzt wird es seltsam: Die Polizistin klagt die beiden Männer, deren
Identität letztlich doch noch festgestellt werden konnte, zivilrechtlich.
Die Erstinstanz und das Berufungsgericht wundern sich nur darüber und weisen
die Klage ab: Zwischen der Verpflichtung, an der Feststellung der Identität
mitzuwirken und dem eingetretenen Schaden bestehe kein
Rechtswidrigkeitszusammenhang. Die Beklagten hätten durch ihre Flucht auch
keine derart eminente Gefahrenlage geschaffen, daß sie für die Verletzung
haftbar gemacht werden könnten.

Doch die Beamtin bleibt stur und geht zum Obersten Gerichtshof, der bis
dahin dazu nur unzureichende Judikatur hatte. Der OGH nimmt daher die Klage
an und liefert am 18.Juni einen Spruch dazu. Zwar "bestehe keine
Rechtspflicht für den einer Straftat Verdächtigen, sich der Strafverfolgung
zu stellen, also nicht zu flüchten. Die Flucht als solches ist daher auch
nicht Grundlage für eine zivilrechtliche Haftung des Fliehenden für Schäden
aus der Verfolgung", so der OGH. Dennoch gäbe es in der Judikatur des OGH
Fälle von "Verfolgungsschäden", für die sehr wohl die Verfolgten
zivilrechtlich haftbar gemacht werden könnten. Daher gibt der OGH der
Klägerin recht, jemand könne durch seine Flucht "für den Verfolger eine
eminente Gefahrenlage" schaffen: "Solange die durch die Flucht geschaffene
Gefahrenlage für den Verfolger aufrecht erhalten werde, verletze der
Fliehende diese dem Schutz des Verfolgers dienende Rechtspflicht."

Mit anderen Worten: Wer von Polizeibeamten verfolgt wird, muß dafür Sorge
tragen, daß diese sich nicht wehtun. Da man in diesem Fall nicht einmal
behaupten kann, die Beamtin wäre in eine Falle gelockt worden -- denn sie
wollte einen anderen Weg als die beiden Flüchtenden nehmen --, heißt das
letztlich, daß in jedem Fall einer Flucht vor der Polizei die Verfolgten
damit rechnen müssen, für Verletzungen ihrer Verfolger haftbar gemacht zu
werden. Und zwar auch dann, wenn ihnen konkret keine Straftat oder auch nur
Verwaltungsübertretung anzulasten gewesen wäre und die polizeiliche
Verfolgung sich im Nachhinein als unnötig herausstellte.

Sollten mit dieser Höchstgerichtsentscheidung solche Klagen Mode werden,
können wir uns beispielsweise bei Demo-Polizeieinsätzen in Hinkunft auf
recht teure Zivilverfahren einstellen. Denn jedesmal wenn sich ein Polizist
verletzt, kann er behaupten, er hätte just eine Person verfolgt, deren Daten
später in diesem Zusammenhang aufgenommen worden waren.
-br-

Entscheidung: OGH GZ 1Ob97/15v
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20150618_OGH0002_0010OB00097_15V0000_000/JJT_20150618_OGH0002_0010OB00097_15V0000_000.html

Presseaussendung OGH:
http://www.ogh.gv.at/de/entscheidungen/weitere/verdaechtige-einer-straftat-die-durch-flucht





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