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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. August 2015; 17:08
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Medien/Glosse:

> Solidarität mit der Klowand

Die Frage, was in Zeiten von Web X.0 als "Journalismus" bezeichnet werden
kann, ist nicht nur akademischer Natur
*

Was ist Journalismus? Nein, bei dieser Frage geht es mir nicht um die
Qualität im Sinne von gut oder schlecht oder gar böse. Es geht mir um die
Qualität im Sinne von "Was ist als Journalismus zu qualifizieren?" Schon
Karl Kraus machte mit seiner Wortprägung von der "Journaille" klar, daß die
Frage, ob etwas Journalismus sei, nicht davon abhängt, wie seriös er ist und
welchen moralischen Anspruch er zu erfüllen hätte. Also was ist nun als
Journalismus zu bezeichnen? Die Abgrenzung zur Literatur ist relativ
einfach: das eine geht um Fakten, das andere um Fiktion. Aber wie ist die
Abgrenzung zur Agitation möglich? Kann man dann sagen das Mittagsjournal auf
ö1 ist Journalismus, die Kronenzeitung hingegen Agitation? Ist es so
einfach? Die Krone-Journalisten würden sich wohl dagegen wehren und hätten
damit nicht unrecht, denn auch die Wahl der Themen, Quellen und
Interviewpartner eines als seriös angesehenen Mediums sind nicht objektiv,
sondern willkürlich und von der Grundhaltung der Verantwortlichen bestimmt -
und beim ORF dann auch noch durch ein Gesetz.

So gehts also nicht.

Wie komme ich überhaupt auf diese Fragestellung?

Nun, schuld daran ist Michael Fleischhacker von nzz.at, also der
Österreich-Online-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung. Dieser verfaßte einen
Kommentar über die deutsche Affäre um netzpolitik.org, wo es um eine
Ermittlung wegen Landesverrat ging, weil die Betreiber der Site Dokumente
ins Netz gestellt hatten, die nach der Veröffentlichung von deutschen
Behörden als Staatsgeheimnisse deklariert worden waren - eine klassische
Whistleblower-Geschichte also. Vorerst geendet hat die Affäre mit dem
Rauswurf des Generalbundesanwaltes. Markus Beckendahl, der Gründer von
Netzpolitik.org wird in diesem Zusammenhang mit den Worten zitiert: "Die
Message, die diese kleine Staatsaffäre bisher vielleicht mit sich gebracht
hat: Bloggen lohnt sich. Legt Euch nicht mit dem Internet an."

Fleischhacker öffnete daraufhin in seinem Kommentar eine begriffliche
Nebenfront, in dem er schrieb, er sei zwar inhaltlich weitgehend auf der
Seite der Netzpolitik.org-Aktivisten. "Aber ich denke, dass eine gesunde
Portion Skepsis angebracht ist gegenüber Aktivisten, die sich als
Journalisten präsentieren und sich in der Vorstellung gefallen, 'das
Internet' zu sein. Und ich finde es erschreckend, wie wenig die digitale
Avantgarde dabei findet, zur Durchsetzung ihrer politischen Vorstellungen
Mittel einzusetzen, die wir im analogen Zeitalter mit dem Begriff 'Mob'
beschrieben hätten."

Und weiter schreibt Fleischhacker: "Wollen wir, wenn wir von Pressefreiheit
und von ihrer Verteidigung reden, einen Unterschied zwischen Journalismus
und Aktivismus machen? Auch wenn man anerkennt, dass diese Grenzen in der
digitalen Welt schwerer zu ziehen sind als in der analogen: es gibt sie
weiterhin. Netzpolitik.org ist keine journalistische Organisation, sondern
eine aktivistische."

Okay, ich versteh, wenn Fleischhacker sich über einen Sager aufregt der
irgendwie in die Richtung 'Le Internet, c'est moi' geht - aber da gleich von
Mob zu reden? Hätte ein handelsüblicher Journalist in genauso
überschwänglicher Laune gesagt: "Legt euch nicht mit der Presse an" wäre das
nicht genauso mob-artig? Und ist es nicht eine Errungenschaft, daß die
Vierte Gewalt bisweilen tatsächlich echte Kontrolle ausüben kann?

Wo ist der große Unterschied zwischen klassischen Journalisten und den
Bloggern. Ich hab via Twitter bei Fleischhacker nachgefragt. Seine Antwort:
"Für den Journalisten ist der Journalismus nie nur Mittel zum Zweck. Für den
Aktivisten schon."

Guter Sager, zugegeben. Aber was erklärt man damit? Will ein Journalist
einfach nur über die Welt aufklären? Oder will er sie nicht auch verändern?
Wozu sonst wäre investigativer Journalismus nütze, als Mißstände
aufzuzeigen? Nur um zu sagen: Die Welt ist so und so, findet euch damit ab?
Oder geht es nicht darum, die Welt zu verbessern? Wo wäre dann die Funktion
der sogenannten Vierten Gewalt, wenn nicht eine Kontrolle auszuüben, die
dann auch tatsächlich Folgen haben kann?

Fleischhacker weiß allerdings noch, daß er über einen gewissen Grad an
Herabstufung der Blogosphäre nicht hinausgehen darf, ohne massiv selbst an
Reputation zu verlieren. Ein anderer Twitterant ging jedoch soweit zu
behaupten, daß, wenn Blogger Journalisten wären, könnten "sich auch die
Klowand-Schmierer Journalisten nennen. Blogs = Internet-Klowände."

Da rappelts aber ordentlich im #Neuland! Natürlich, was da manchmal an
Shitstorms im Netz zu beobachten ist, kann bisweilen grauslich sein. Aber
einmal abgesehen davon, daß sich diese Shitstorms auch auf den Online-Seiten
der Massenmedien abspielen, geht es doch bei netzpolitik.org zwar um
politisch in eine bestimmte Richtung tendierende, jedoch durchaus seriöse
und faktenorientierte Berichterstattung, die vom Staat kriminalisiert wurde.
Dagegen wehrten sich die Berichterstatter -- mit den Mitteln der
Öffentlichkeit. Und deswegen sind diese Berichterstatter keine Journalisten
mehr?

Worum geht es in dieser Debatte aber wirklich? Zweierlei: Das eine ist, daß
herkömmliche Journalisten schwer verunsichert sind -- die Blogosphäre macht
ihnen unheimlich viel Konkurrenz. Herkömmliche Medien -- vor allem die zu
bezahlenden Printmedien sind am Eingehen und da man aufwendige Recherche mit
Werbung alleine nicht völlig ausfinanzieren kann, sind die Arbeitsplätze von
Journalisten schwer gefährdet. Das ist tatsächlich ein gesellschaftlicher
Mißstand, der diskutiert werden muß. Allerdings waren seriöse Printmedien
auch schon früher durch den Boulevard gefährdet -- man sehe sich nur den
Marktanteil der Kronenzeitung vor der Verbreitung des Internets an.

Deswegen muß man aber nicht der Konkurrenz das Journalistentum absprechen
und seine Profi-Dünkel pflegen. Schließlich ist das ziemlich unsolidarisch
und letztlich selbstschädigend. Denn -- und das ist der zweite Punkt, um den
es geht -- mit dem Status des Journalisten ist auch der Begriff der
Pressefreiheit verbunden, die weiter geht als die klassische
Meinungsfreiheit. Die Pressefreiheit gibt dem Journalisten zum Beispiel das
Recht des Quellenschutzes. Gerade im Fall von netzpolitik.org ist das sehr
wichtig, wenn man die Macher vor einem Gericht fragen wollte, wo sie denn
diese Staatsdokumente her hätten -- wer also die undichte Stelle in der
Behörde war. Jemand ohne Journalistenstatus kann zu einer Aussage gezwungen
werden, ein Journalist hat das Zeugnisentschlagungsrecht. Wenn der Staat
eine Zeitungsredaktionen durchsuchen lassen möchte, muß er sich juristisch
sehr warm anziehen, beim Büro einer NGO ist das zumeist kein Problem. Auch
Abhörmaßnahmen und ähnliches sind bei Journalisten sowohl rechtlich als auch
politisch extrem heikel. Journalistisch tätige Menschen aber, die nur als
"Aktivisten" firmieren sind da viel weniger geschützt.

Die Begrifflichkeiten verschwimmen. Die Frage, was denn nun eigentlich ein
Medium nach Medienrecht sei, ist juristisch immer noch nicht restlos
geklärt. Doch klar ist, daß man sogar für einen Tweet haftbar gemacht werden
kann und Benutzer Sozialer Medien, wenn sie nur eine entsprechend große
Followerschar haben, einen ähnlichen medialen und damit gesellschaftlichen
Impact haben wie die Massenmedien.

Twitter ist wohl nicht unbedingt als klassisches journalistisches Medium
anzusehen, aber bei den Bloggern sieht die Sache schon ganz anders aus. Je
mehr aber die Grenzen zwischen klassischem Journalismus und Blogosphäre
verschwimmen und auch Anstellungsverhältnisse bei klassischen Redaktionen
immer seltener werden, könnten plötzlich auch klassische kritische
Journalisten auf den Status "Aktivisten" zurückgestuft werden. Was wird dann
aus der Vierten Gewalt? Schutz vor Polizei und Justiz hätten dann nur mehr
die Hofberichterstatter, weil die ja dem Staat nicht wehtun.

Der Journalismus, wie wir ihn noch im 20.Jahrhundert verstanden, wird immer
mehr an den Rand gedrängt, weil öffentliche Kommunikation heute eben ganz
anders aussieht. Das bringt Probleme, aber auch Chancen. Damit müssen wir
lernen umzugehen -- und das müssen auch professionelle Journalisten
kulturkonservativer Medien lernen. Unseriösen Journalismus und Hetze gab es
damals wie heute. Einen Staat, der meint, kritische Stimmen mundtot machen
zu dürfen ebenso. Derlei muß bekämpft werden mit den richtigen Mitteln. Den
Bloggern ohne Unterschied die journalistische Qualität und Professionalität
abzusprechen, gehört nicht zu diesen Mitteln.
*Bernhard Redl*



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