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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. August 2015; 17:06
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Immer wieder erreichen die Redaktion Beschwerdebriefe über das Arbeitsamt
und wie sich die Menschen dort gedemütigt und verunsichert fühlen. Einen
davon wollen wir hier wieder einmal dokumentieren:

An: ams.johnstrasse{AT}ams.at
Betreff: Beschwerde

> Sehr geehrte Damen und Herren!

Leider sehe ich mich dazu gezwungen, eine Beschwerde über die Praktiken des
Arbeitsmarktservice (AMS) Wien bei Ihnen zu deponieren. Am Fr., dem
14.8.2015, hatte ich einen Termin beim "Laufbahn- und Karrierecoaching",
namentlich bei Frau Magistra L. im AMS Hietzinger Kai. Die Zubuchung zu
diesem Termin erfolgte durch die AMS-Filiale Johnstrasse, unter der
Argumentation "ich solle mir das doch bitte einmal anschauen".

Ich war um die 20 Jahre berufstätig. Seit nunmehr rund 4 Monaten bin ich
arbeitslos, nachdem ich den von mir geleiteten Betrieb schliessen musste. In
diesem Zusammenhang traten auch schwere gesundheitliche Probleme auf (Burn
Out), die einen mehrmonatigen Krankenstand zur Folge hatten.

Als Mechatroniker habe ich bislang keine neue Arbeit gefunden, ich erhielt
nicht einmal Antworten auf meine Bewerbungen. Daher habe ich mich
entschlossen, meine Perspektiven zu erweitern und auch andere
Beschäftigungsfelder zu suchen, in denen ich Stärken habe.

Zu Beginn des Termins wurde ich nicht so wie sonst üblich namentlich
aufgerufen, sondern ähnlich einer polizeilichen Anhaltung nach meinem Namen
gefragt und abschätzig gemustert. Nach einer einleitenden Erklärung (Dauer
der Massnahme, Ziel des dort angebotenen Coachings, was ein Ziel wäre und
wie es sich definiere und dass ich eines bräuchte) wurde ich nach meinen
beruflichen Zielen gefragt. Ehrlich musste ich antworten, dass ich derzeit
keine konkreten Ziele in diesem Sinn hätte.

Ich konnte auch keinen Aufschluss darüber geben, warum ich dann diesen
Termin bekommen hatte. Nach dem Eingangsreferat und aufgrund der Angaben im
AMS-Infoblatt vermutete ich einen möglichen Zusammenhang mit einem mir bei
meinem letzten Beratungstermin angebotenen Berufsorientierungskurs, den ich
als unnötig empfand. "Sie brauchen sich nicht wundern, wenn Sie gesperrt
werden, wenn Sie einen Kurs nicht machen, sich nicht bewerben oder einen
Termin nicht einhalten."

Ich durchlebte einen kurzen Schock, in dem ich befürchtete, dass meine
Bezüge gesperrt wurden oder werden sollen. Selbstverständlich bewerbe ich
mich, habe meine Termine, verpflichtende wie auch freiwillige, eingehalten
und verhalte mich auch sonst entsprechend meiner Versicherungskonditionen.
Auch der Umstand, dass ich aus eigenem Antrieb Termine gesucht habe, sollte
für meine Kooperationsbereitschaft sprechen.

"Als Mechatroniker?" Als Mechatroniker habe ich noch keine Stelle gefunden.
"Sie können ja zum BILLA gehen", war der nächste Vorschlag. "Wo ich auch
nicht genommen werde" meine Antwort. Bei erneuter Nachfrage nach meinen
Zielen sagte ich, dass für mich eine Weltrevolution wohl das einzige
wirklich anstrebenswerte Ziel ist. "Dann gehen Sie in die Politik." "Dort
bin ich." "Aber so, dass Sie Geld dafür bekommen."

Der Aussage "Sie können nicht erwarten, dass eine Gesellschaft Sie erhält,
für die Sie nichts tun." musste ich entgegenhalten, dass ich das nicht so
sehe. Ebenso verwunderlich wie die Unterstellung, dies wäre meine Absicht,
ist für mich der Umstand, dass ausgerechnet AMS-Bedienstete gegen ein
bedingungsloses Grundeinkommen agitieren. Es stellt sich mir die Frage, auf
welcher Rechtsgrundlage eine derartige Agitation stattfindet, bzw. ob die
Linie "was nicht bezahlt wird, ist keine Arbeit" respektive "wer nicht
arbeitet soll auch nicht essen" dem AMS Wien sogar für
Gleichbehandlungsbeauftragte als geeignet erscheint. Ein solches Verständnis
von "Gleichbehandlung" ist jedenfalls nicht das meine.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich erwarte nicht, dass
meine politische, kulturelle, reproduktive und sonstige gemeinnützige Arbeit
vom AMS honoriert wird. Es ist für mich aber definitiv nicht akzeptabel,
dass solche im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten nur dann gebilligt
werden, wenn sie entlohnt sind. Die Geschichte der Menschheit ist der beste
Beleg dafür, dass die meiste und oft auch die wirkunsvollste und nötigste
Arbeit unter der Prämisse der Selbstausbeutung geleistet worden ist und
immer noch geleistet wird.

Auf den weiteren Gesprächsverlauf, der nur noch das Ziel einer schnellen
Terminbeendigung widerspiegelte, werde ich nicht weiter eingehen, da er
hinsichtlich meiner Beschwerde unerheblich ist. Einzig den Umstand, dass mir
die Tür gewiesen wurde, ohne dass ich Aufklärung über die nötige weitere
Vorgehensweise erhielt, möchte ich noch festhalten. Erst auf Nachfrage
erhielt ich einen neuen Kontrolltermin. War es vielleicht das Ziel, mich zu
einem Fehler zu treiben, um meine Bezüge sperren zu können?

Leider muss ich zugeben, dass dieses Erlebnis für mich in keinerlei
Zusammenhang mit den im AMS-Infoblatt aufgeführten Angeboten zu bringen ist.
Was konkret ich in welchen Bereichen unternehme, um Beschäftigung zu finden,
war in keinem Moment Thema oder von Interesse. Also bleibt für mich der
Eindruck eines weiteren Diskriminierungsversuches aufgrund meines Äusseren,
mit denen ich seit meiner Jugend immer wieder konfrontiert bin. Überdies
empfinde ich es mehr als Zumutung denn als Hilfestellung, mir nunmehr
monatlich "Gehen Sie zum BILLA!" bzw. "Melden Sie sich ab!" anhören zu
müssen.

In Erwartung Ihrer Stellungnahme und einer respektvolleren und
menschenwürdigeren Zukunft,

mit freundlichen Grüssen

Gerhard Wogritsch




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