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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Juni 2015; 17:05
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Debatte/Innenpolitik:

> Rotblau ist nicht das Problem

Wer von der ÖVP nicht reden will, der schweige von der FPÖ.
Aber das mit der SPÖ-Spaltung ist schon eine gute Idee.

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Vorbemerkung: Eigentlich hätte ich so einen Text nicht schreiben sollen.
Erstens, weil er gegen jede Regel für einen guten Essay ist und zweitens
weil er sicher auch ungerecht ist und mich dafür einige Leute wohl werden
hauen wollen. Aber angesichts der verworrenen innenpolitischen Gemengelage
der letzten zwei Wochen konnte nur ein provokanter, undifferenzierter und
konfuser Text entstehen -- eine Art automatisierten assoziativen Schreibens.
Ich bitte um Verständnis.

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"Es ist alles sehr kompliziert!" So wird Fred Sinowatz immer wieder zitiert.
Ob er es jemals so gesagt hat, weiß ich gar nicht. Aber es war seine Art, zu
regieren und das war nicht die schlechteste. Sinowatz war der Bundeskanzler
einer rotblauen Regierung. Das war eine Regierung, die sicher auch ein paar
Rückbauten des Kreiskyschen Sozialstaates zu verantworten hatte, diese aber
doch äußerst moderat anging. Aber es war vor allem eine Regierung, die
wußte, daß man nicht über alles drüberfahren kann, nur weil man im Parlament
eine Regierungsmehrheit hat. Und so wurde Hainburg nicht gebaut. Natürlich
hatte das zuerst einer starken Volksbewegung bedurft, aber es brauchte auch
eine Regierung, die verstanden hat, daß man nicht gegen das Volk regieren
soll -- und bisweilen "Nachdenkpausen" braucht. Die damalige rotblaue
Regierung war sicher nicht die schlechteste der zweiten Republik.


Alles anders?

Gut, die FPÖ ist heute sicher nicht die Partei von damals. Aber: Weniger
Nazis hat es in der damaligen FPÖ auch nicht gegeben. Der einzige wirkliche
Unterschied ist, daß die FPÖ heute sehr viel stärker ist als 1983 oder auch
1970, als Kreisky sie benutzte, um seine Minderheitsregierung zu etablieren.
Damals zumindest waren die Blauen einfach benutzbar. Sind sie es heute noch
oder ist das jetzt alles ganz anders?

Die diesbezüglich immer wieder als Abschreckung ins Treffen geführte
schwarzblaue Regierung ist zumindest kein Argument für eine andere
Situation. Schwarzblau war eine grausliche Regierung, ja. Aber warum? Nicht
wegen der Blauen. Die waren unfähig zu regieren und haben in ihren
Ministerien hauptsächlich Unsinn verzapft. Hingegen: Alles das, was von dort
an gravierenden Entscheidungen kam, ist auf dem Mist der ÖVP gewachsen. Die
ÖVP hat diese Regierung kontrolliert und war das Schlimme daran, weil sie
mit der FPÖ einen Koalitionspartner hatte, auf den sie noch weniger
Rücksicht zu nehmen hatte als früher auf die SPÖ. Die FPÖ begnügte sich
damit, daß die ÖVP sie im Bund ein bisserl die Korruption blühen und in
Kärnten Haider Landesfürst spielen ließ.

Genauso ist auch bei den seither passierenden rotschwarzen Koalitionen die
ÖVP das Problem, weil sie mit der FPÖ drohen kann. Da lassen die Schwarzen
die Sozialdemokraten lediglich bei der Raucherhatz auch ein bisserl was
entscheiden, doch bei den harten Fragen der Politik bestimmt schon die ÖVP,
wo es langgeht. Privatisierungen, Neoliberalismus, Abbau des Sozialstaats,
EU-Fanatismus etc. verdanken wir der führenden Rolle der ÖVP in allen
Regierungen seit 1987 -- und damit wohl auch das zweimalige Erstarken der
FPÖ.

Und jetzt ist in einer Landesregierung die ÖVP einmal an einer
Landesregierung nicht beteiligt worden. Grand Malheur? Eher nicht.
Burgenlands SP-Chef Niessl denkt sich wohl: 'Die Blauen sind zu deppat zum
Regieren, die kann ich locker über den Tisch ziehen. Und der ÖVP tut die
Oppositionsrolle nicht gut, da geht sie eher ein. Warum also nicht Rotblau?'

Vom Kalkül her ist es also vielleicht nicht unschlau, die Blauen mit ins
Boot zu holen. Rotblau im Burgenland hat aber noch einen anderen Benefit:
Die Linken in der SPÖ sind plötzlich aus ihrem Dauerschlaf erwacht. Leider
reagieren sie aus dem falschen Grund und mit falschen Mitteln. Weil: Sie
empören sich über Rotblau. Während eine schwarze Innenministerin alles daran
setzt, den Polizeistaat auszubauen, und Flüchtlinge einfach nur mies
behandeln läßt und der angebliche Integrationsminister Ausländern noch
weniger Sozialleistungen zukommen lassen will, sind die Maulhelden von der
FPÖ für die Linken das große Problem. Diese SP-Linken regen sich nicht
darüber auf, daß die SPÖ im Nationalrat zu allen Plänen der Innenministerin
immer brav Ja und Amen sagt. Sie regen sich auch nicht darüber auf, wenn die
SPÖ angesichts eines perversen Spardiktats zum Beispiel die Invalidenrente
praktisch abschafft. Sie haben nicht so laut aufgeschrien, daß die SPÖ bei
jeder neuen Koalitionsbildung sich mit Ministerien abspeisen ließ, mit denen
man nur dieses Spardiktat eines schwarzen Finanzministers exekutieren kann.
Nein, die Blauen sind die große Gefahr für Sozialstaat und Demokratie, eh
kloa!


Themenverfehlung

Was diese SP-Linke tun müßte, wäre die Politik der SPÖ und deren
Gängelbarkeit thematisieren. Denn genau diese Gängelbarkeit hat die FPÖ
stark gemacht. Strache treibt wie weiland Haider die SPÖ vor sich her -- die
ÖVPler muß man da nicht antreiben, die machen rechte Politik ganz
freiwillig.

Und genau wie dieser SP-Linken rotschwarze Austeritätspolitik eben keine
schlaflosen Nächte bereitet, sondern eben nur Strache ihr Blut in Wallung
bringt, so wenden diese Genossen auch komplett falsche Mittel an:
Presseaussendungen, die den SPÖ-Spitzen nicht wirklich wehtun. Aber
parteischädigendes Verhalten will man sich ja nicht vorhalten lassen und
ganz sicher nicht eine echte Revolte anzetteln. Denn Sozialdemokraten
brauchen -- wie etwa in Deutschland mit Oskar Lafontaine -- einen
Oberrevoluzzer, damit sie in die Gänge kommen und klar machen, daß entweder
sich radikal etwas ändert oder man eben aus der Position einer starken
innerparteilichen Opposition eine neue Partei aufmacht. Tacheles: Wichtig
wäre eine konzertierte Austritts- und Abspaltungsbewegung und zwar auch von
Mandataren. Jetzt könnte die SPÖ noch eine chancenreiche linke Abspaltung
hervorbringen. Jetzt könnte sie noch einen linken Flügel etablieren und
gemeinsam mit anderen eine schlagkräftige linke Partei gründen. Aber das tun
sie natürlich nicht. Sie werden solange mit der Spaltung warten, bis nicht
mehr genug da ist, um etwas zu spalten. Erst wenn die SPÖ an Mandaten und
Mitgliedern so klein geworden sein wird, daß eine Spaltung zur
Bedeutungslosigkeit beider Hälften führen muß, dann werden sie sich
abspalten. Sozialdemokraten halt.

Das ist so wie mit dem Austritt Sonja Ablingers aus der Partei -- jetzt wo
sie kaltgestellt worden ist und kein Mandat mehr hat, tritt sie aus. Jetzt!
Nicht vorher, als es schon auch genug Gründe gegeben hätte. Und: Sie könnte
dennoch mit ihrer Prominenz vielleicht noch was bewegen. Nur das tut sie
natürlich nicht -- man versucht nichtmal auf anderem Wege mit vielleicht
einer neuen Partei etwas zu ändern. Man tritt aus der Partei einfach aus und
das wars -- und hofft, die Partei würde daraus irgendwas lernen. Nur der
Partei ist das wurscht, denn Dissidenten, die einfach verschwinden und nie
wieder auftauchen, sind ja was Wunderbares für die Partei. So ein Austritt
ist langfristig erfreulich für den Apparat und warum sollte man aus einer
Wohltat etwas lernen?


Grausliche Parteien

Es ist aber auch generell ein Problem der österreichischen Linken. Der
antifaschistische Reflex ist verständlich. Die FPÖ ist eine grausliche
Partei und man braucht gar nicht zu versuchen, sie sich schönzureden. Meine
Einschätzung dieser Partei darf ich hier gar nicht hinschreiben, weil das
dann klagsfähig wäre.

Doch darum geht es nicht. Die ÖVP ist auch grauslich. In Österreich gibt es
nur Koalitionen aus Parteien, die entweder grauslich oder feig sind. Es ist
schon wurscht. Und ich sehe eigentlich nicht ein, wieso ein Herr Voves, der
mit seiner Drüberfahrkoalition in der Steiermark diesen FPÖ-Erfolg erst
möglich gemacht hat; .... Ein Herr Voves, der sich von der ÖVP -- explizit
oder nur per Andeutung -- erpressen läßt und als Vorsitzender der stärksten
Landtagspartei seinem Koalitionspartner den Landeshauptmann schenkt, damit
dieser eine Regierung anführen kann, die weiter reformpartnert, noch
radikalere Austeritätspolitik fährt und damit auch weiter die FPÖ anfüttert;
... Wieso also wird ein solcher SP-Landesoberindianer von vielen Linken nun
als Beispiel eines integren Politikers gefeiert?

Wäre die FPÖ wirklich die neue NSDAP, wie sie von vielen gesehen wird, würde
ich dieses Verhalten ja noch verstehen. Aber Strache ist kein Hitler,
sondern nur ein Bumsti und vor allem: Hinter ihm steht nicht das Großkapital
und es ist weder irgendwo ein Hindenburg zu finden noch eine andere rechte
Partei, die so blöd wäre, ihn zum Kanzler zu machen. Die FPÖ dürfte ja doch
nur wieder Beiwagerl bei der ÖVP sein. Also was soll dieses Starren des
Kaninchens auf eine Schlange, die unbeachtet eigentlich nur das Zeug zum
Regenwurm hätte?


Jobs, Jobs, Jobs

Szenenwechsel! Oberösterreich und Wien: Die mitregierenden Grünen wollen vom
jeweiligen Landeshauptmann (einmal Rot, einmal Schwarz) das Zugeständnis,
daß er sich doch deklarieren möge, daß nach der Wahl die gleiche Koalition
weitergeführt werde. Und Häupl und Pühringer sagen unisono: 'Mir wurscht,
ich laß euch betteln.' Also bitte, eine selbstbewußte Partei bettelt doch
nicht. Aber da geht es halt auch um Posten. So wie es bei der Nichtspaltung
der SPÖ auch um Posten geht. Genauso wie das der eigentliche Grund für die
gar so moralische Empörung der burgenländischen ÖVP ist, die diesmal leider-
leider durch die Finger schaut. Das läuft halt bei den Grünen genauso. Wir
haben eine Politikerkaste, die nicht für Inhalte brennt, sondern für Jobs.


Linke aller Parteien, vereinigt Euch!

Und damit schließt sich der Kreis: Denn natürlich tauchte prompt wieder die
Forderung nach einer brauchbaren linken Partei auf. Einmal abgesehen davon,
daß sich da natürlich wieder einmal die steirische KPÖ empfahl, die halt
bundesweit kaum jemand wählt, und es auch sehr fraglich ist, ob man eine
solche Partei gründen solle, wenn dieser sich ab ovo gleich als alternativer
Koalitionspartner anbieten wollte, ist die Notwendigkeit einer solchen
Partei natürlich gegeben. Nur: Das Lamento darüber, daß es eine solche
Partei eigentlich geben müßte, höre ich jetzt schon seit gut 20 Jahren, als
klar geworden war, daß die Grünen das eben nicht sind. Und immer wieder
erlebe ich die Versuche, diese irgendwie herbeizubeten. Aber funktioniert
tut das nicht. Nicht in Österreich. In Österreich gibt es selten
schlagkräftige Bewegungen, die nicht von vornherein mit einer Partei
verbandelt sind und daher auch zur Gründung einer neuen Partei führen
können -- einzige Ausnahme sind da eben die Grünen. Ansonsten werden in
Österreich immer nur dann neue Parteien in den Gremien etabliert, wenn sie
von Personen getragen werden, die von vornherein als Mandatare oder
zumindest Funktionäre in diesem System verankert sind -- wie wir das bei
LIF, BZÖ, TS oder Neos erlebt haben.

Eine Bewegung gibt es nicht. Und sie wird auch nicht entstehen. Also geht es
nur, wenn die Linken bei der SPÖ oder auch den Grünen, die noch irgendwo ein
Mandat haben, sich von ihren alten Parteien verabschieden und ein neues
Projekt etablieren. Aber dazu sind sie ja dann doch alle zu feig. Weil da
hängen Jobs dran. Aber nicht allein Jobs, sondern auch Freundschaften. Denn
der Parteifreund ist oft genug nicht -- wie es im Bonmot heißt -- schlimmer
als der Feind, sondern häufig wirklich ein echter Freund und Parteien sind
natürlich auch so etwas wie Familie. Gerade in der Sozialdemokratie ist
diese Verbundenheit enorm stark. Und diese Familie will man nicht
verraten -- selbst dann nicht, wenn man von ihr nie profitiert hat und immer
nur als schwarzes Schaf angesehen worden ist.

Und deswegen bleiben sie alle in dem selben Boot. Bis es untergeht. Wenn
dann aber wirklich einmal eine schwarzblaue Koalition sich stabilisiert --
und nicht so etwas wie diese Farce 2000-2007 -- und diese dann langfristig
einen asozialen, neoliberalen, nationalistischen und klerikalen Polizeistaat
etabliert, dann werden genau diese Sozialdemokraten, die sich heute über die
FPÖ erregen, aber nie bereit waren, sich gegen autoritäre Politikmache zu
empören, sagen, daß sie es gleich gewußt hätten.

Danke für die Aufmerksamkeit! Und posthum danke, Genosse Sinowatz, für dein
Zitat! Auch wenn Du es vielleicht nie so gesagt hast.
*Bernhard Redl*



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