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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 3. Juni 2015; 16:54
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Wahlen/Debatte:

> Warum ich Strache wählen würde

Natürlich werde ich nie Strache oder die FPÖ auf irgendeiner Ebene wählen.
Ich würde einen Strache wählen, wenn er nicht nationalistisch wäre, keine
Kreuzritterallüren hätte und aufhören würde, gegen Menschen mit falscher
Hautfarbe, Muttersprache oder Religion zu hetzen. Aber dann wäre er nicht
mehr der Strache.

Doch das Gedankenexperiment sei gestattet. Denn ich habe jetzt eine ganze
Menge an Analysen gehört und gelesen -- alle von Strache-Gegnern und alle
unbefriedigend. Dabei ist das meiste sehr klug und teilweise richtig. Aber
es greift nicht. Ich stelle mir einmal vor, ich wäre kein alter Linker und
Antifaschist, sondern jemand der beim Versuch, in der Wahlzelle FPÖ
anzukreuzen, keine spontane psychosomatisch bedingte
Sehnenscheidenentzündung bekäme. Ich stelle mir vor, ich wäre nur
Wutbürger -- denn der ist natürlich auch in mir.

Als dieser Wutbürger sehe ich mir die Politik an -- nicht nur die
Landespolitik oder die Bundespolitik, sondern auch die europäische und
globale. Ich sehe mir diese Staatenlenker an, egal ob neusozialdemokratisch
oder christlich-neoliberal und höre sie Staatstragendes verkünden. Ich denke
mir, schon an ihrer Nasenspitze könne ich ihnen ansehehen, wie sie lügen und
betrügen. Vor meinem geistigen Auge laufen da lauter Pinocchios rum, deren
einzige Sorge es ist, den ebenso meterlangen Nasen der Mitpinocchios
auszuweichen. Das Wort Angela Merkels von der "marktkonformen Demokratie"
ist eine der wenigen Aussagen dieser Langnasen, die ich für ehrlich halten
kann.

Der Denkzettel

Es stehen Wahlen an. Da präsentieren sich dann wieder die Sozialdemokraten
und die Konservativen und sagen: Zwischen uns könnt ihr wählen, das ist
demokratisch. Alle anderen sind pfui, weil das sind Populisten und Spinner,
die keine Ahnung haben, wie schwierig es ist, zu regieren. Und ich, der
Wutbürger, denke mir: Ah, die sagen, die anderen sind pfui? Na, wenn
ausgerechnet die das sagen, dann sind diese verschmähten Parteien vielleicht
ursuper. Und selbst wenn sie das nicht sind, zumindest mögen die hohen
Regierungsvertreter und Staatsparteien diese Schmuddelkinder nicht und
ärgern sich, wenn diese gewählt werden. Über welche Partei scheinen sie sich
am meisten zu ärgern? Vor welcher Partei fürchten sie sich am meisten? Die
nehm ich doch glatt! Das Programm ist mir dabei genauso egal wie die
führenden Personen -- ich mach den Wahlzettel einfach zum Denkzettel! Weil
eine andere Möglichkeit, diesen Leuten meine Meinung zu sagen, so daß sie
diese ernst nehmen müssen, hab ich ja nicht.

Es geht hier nicht zuletzt um Würde. Würde? Wieso? Nun: Sozialdemokratie und
Konservative versuchen gar nicht mehr den Eindruck zu erwecken, als stünden
sie für verschieden Gesellschaftsmodelle. Sie bunkern sich ein in (nicht
mehr ganz so) Große Koalitionen, erklären ex cathedra, was gut für das Volk
ist und verfügen selbstherrlich, wie denn der Staat zu verwalten sei. There
is no alternative -- Thatchers Dogma ist, nicht nur was die Ökonomie
anbelangt, die einzige Regierungsattitüde, die in der westlichen Welt noch
zulässig ist. Gab es früher noch die auch nicht gerade verlockende Wahl
zwischen Scylla und Charybdis, so sieht sich der Bürger heute der
Einheitspartei der beiden gegenüber, wo er gerade noch aufgefordert wird,
einer der beiden eine Vorzugsstimme zu geben. Und nach der Wahl sagt man
ihm: Selber schuld, du hast uns ja legitimiert mit deiner Stimme. Und da
soll man noch seine Würde bewahren?

Nein, der Wutbürger wird für jene Partei stimmen, die der Herrschaft
zumindest dem Anschein nach den meisten Ärger bereitet. Der englische
Wutbürger wählt UKIP, der schottische SNP, der österreichische FPÖ, der
deutsche AfD und der griechische Syriza. Zugegeben, der griechische
Wutbürger hätte da auch eine eigene Partei, die ANEL (die jetzt als
Regierungsbeiwagerl agieren darf), aber den Großteil des Grantes hat ja doch
der Gottseibeiuns der Troyka kanalisieren können. Das war die Partei, vor
der nicht nur die lokalen Staatsparteien ND und PASOK geradezu panisch
warnten, sondern auch "ganz Europa", wie das die hiesigen Zeitungen nannten,
sprich: die EU-Regierungschefs und die Gläubiger der griechischen Schulden.
Als dann letztlich doch Syriza die Regierung übernehmen konnte und der neue
Finanzminister Varoufakis mediengerecht der Troyka den Sessel vor die Tür
stellte, ergaben Umfragen, daß weitaus mehr Griechen hinter ihrer Regierung
stünden, als Syriza und ANEL gemeinsam an Stimmen bei der Wahl gehabt
hatten. Umfragen sind natürlich immer so eine Sache, aber dieser glaube ich,
denn das Ergebnis ist logisch: 'Wir Griechen haben uns jahrelang demütigen
lassen, jetzt aber haben wir endlich richtig gewählt und den Bonzen in
Brüssel und Berlin gezeigt, was eine Harke ist' -- da entsteht das Gefühl
der Rückgewinnung einer nationalen Würde. So ein Gefühl ist natürlich nicht
unbedenklich, aber wer will den Griechen deswegen böse sein?

Grant schlägt Geschichte

Eine derartige soziale Devastierung wie in Griechenland haben wir
hierzulande noch nicht zu gewärtigen -- aber das Gefühl, daß "die da oben"
glauben, sie könnten mit "uns" machen, was sie wollten, kennen wir hier
auch. Und zumindest teilweise erklärt das den Erfolg der FPÖ. Denn im
Prinzip ist der Höhenflug der Partei ja nichts Neues. Vor etwa eineinhalb
Jahrzehnten stand die damalige Haider-FPÖ in der Wählergunst etwa dort, wo
heute Strache steht. 2000 kam die Beteiligung an der Bundesregierung, die
die FPÖ entzauberte, und Jörg Haider selbst führte das Land Kärnten in den
Bankrott. Haben die jetzigen FPÖ-Wähler das vergessen? Sind sie so dumm, dem
Haider-Nachfolger Strache zu glauben? Sind sie der Ansicht, die Strache-FPÖ
wäre nach der Parteispaltung so eine ganz anderer Verein als die Haider-FPÖ?
Kaum. Sie denken wohl eher, daß ihnen in diesem Land sonst keine Möglichkeit
bleibt, effizient Protest zu formulieren. Und sie wollen nicht
mitverantwortlich sein für eine Regierung, die sie doch nur ständig durch
den Kakao zieht. Mit Erich Kästner gesagt, wollen sie diesen Kakao nicht
auch noch trinken.

Daß in der Steiermark das Wahlergebnis jetzt gar so deutlich ausgefallen
ist, ist ebenfalls ein Indiz für ein Bürgerwutsyndrom -- denn gerade dort
hat man mit der "Reformpartnerschaft" eine alternativenlose
Selbstherrlichkeit zelebriert, die sogar für österreichische Verhältnisse in
ihrer Borniert- und Betoniertheit auffällig war.

Als Linker kann ich nur den Kopf darüber schütteln, daß soviele die FPÖ
angekreuzt haben. Ich hätte wohl -- bei aller Detailkritik -- die
kommunistische Protestpartei gewählt.

Aber der Wutbürger in mir kann die FPÖ-Wähler gut verstehen.
*Bernhard Redl*



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